25 Jahre Exile On Mainstream Records – Ein Festival und ein Interview mit Labelboss Andreas Kohl

Ach Leutchen, wie die Zeit vergeht… Es war doch gerade erst soweit, dass Andreas Kohl und sein Team von Exile On Mainstream Records das 20-jährige Labelbestehen feierte. Der Blick auf den Kalender verrät: es ist tatsächlich schon wieder fünf Jahre her! Man soll die Feste bekanntlich feiern wie sie fallen und das tut man auch im Falle von EOM. Zwischen dem 8. und 11. Mai wird dann auch ordentlich gefeiert – in gleich zwei Städten mit jeweils zwei zweitägigen Festivals. Die Neue Zukunft in Berlin sowie das UT Connewitz sind die auserwählten Orte, an denen viele Freunde und Weggefährten des Labels zum Tanz aufspielen. Das Programm liest sich äußerst lecker und für einen Kartenpreis von je 50 € wird ordentlich „value for money“ geboten (an der Abendkasse wird es nur Tageskarten für je 30 € geben). Was genau, das seht ihr hier:

Tickets sowie weitere Infos zu den auftretenden Acts und zum Rahmenprogramm bekommt ihr auf der Festivalwebseite www.eom25.de.

Auf einige Highlights der Labelgeschichte haben bereits im Rahmen den letzten Jubiläums zurückgeschaut. Den entsprechenden Artikel findet ihr hier. Die Empfehlungen gelten nach wie vor. Aber natürlich sind noch weitere Schmankerl hinzugekommen. Zu fast allen findet hier ihre ein paar Worte. Persönlich hervorheben möchte ich aber insbesondere das spannende „Wahn und Sinn“ von Label-Intimus Conny Ochs, das recht spezielle Duo Might mit ihrem immer noch aktuellen „Abyss“, die Instrumentaltruppe Gaffa Ghandi und die in Kürze mit einem neuen Album in den Startlöchern stehenden Sons Of Alpha Centauri. Ach ja, und The Antikaroshi, Kristian Harting und COR-Sänger Friedemann Hinz mit seinem Soloprojekt haben auch erwartungsgemäß ziemlich abgeliefert.

Darüber hinaus sind die Feierlichkeiten mal wieder eine gute Gelegenheit mit dem Kanzler, wie ihn seine Freunde nennen, über seine Arbeit zu sprechen (das letzte Interview von vor fünf Jahren findet ihr hier). Wie bei allem sonst in seinem Leben, ging er auch hier sehr leidenschaftlich zu Werke und war in seinem Redefluss kaum zu bremsen – besonders wenn es um sein Lieblingsthema geht: das „schwarze Gold“, auf dem wir unsere Musik wahrscheinlich am liebsten hören. Umso schöner für uns. Hier ein Ausschnitt aus dem Gespräch:

 

Meinen Glückwunsch, Andreas. 25 Jahre Exile on Mainstream Records. Das ist länger als viele Ehen halten! Die letzten fünf Jahre gingen gefühlt allerdings auch schnell vorüber. Gerade die Covid-Zeit fühlt sich für mich irgendwie wie ein schwarzes Loch im Rückblick an. Wie war es für Dich, Deine Familie und auch das Label? Außer Deinem Jobwechsel ist sicher noch einiges passiert.

Tatsächlich. Meine Ehe wird erst im nächsten Jahr 25! (lacht) Bezüglich der Covid-Zeit hast du Recht. Als wir angefangen haben das Festival zum 25-Jährigen zu planen konnte ich selbst kaum glauben, dass EOM20 schon wieder fünf Jahre her ist. Es ist so, als ob es in der kulturellen Wahrnehmung die Pandemiejahre gar nicht gegeben hat. Das ist ja aber auch verständlich. Wenn Erfahrungen und Erlebnisse nicht gemacht werden können, gibt es halt auch nichts, was in der Erinnerung einen Zeitraum abbildet. Trotzdem waren wir natürlich nicht untätig. Wir haben Platten veröffentlicht und waren an einigen, geradezu magischen Momenten beteiligt, wie zum Beispiel den gestreamten Shows von Might und Trialogos auf dem Roadburn Redux Festival 2021. Das war eine ganz neue Erfahrung, zuhause vor der großen Leinwand zu sitzen, aber trotzdem Teil eines Festivals zu sein. Nicht dass ich das jetzt immer haben muss, aber es war schon ein besonderes Erlebnis. Und ja, einen Jobwechsel gab es auch. Ich habe nach fast zehn Jahren beim Presswerk optimal media aufgehört und bin nun wieder selbständig, als Consultant für eine britische Firma namens Key Production, die ebenfalls Vinyl, CD und Verpackungen herstellt, allerdings als so genannter Broker. Das ist ein super Job, weil ich einerseits vieles von dem weitermache, was ich auch bei optimal gemacht habe, aber nun mit einer anderen Reichweite und vielen Partnern und wesentlich höherem kreativen Anteil. Aktuell ist alles mal so richtig super, also auf persönlicher Ebene. In der Welt ist es das natürlich nicht.

 

Neben den von Dir eben genannten Roadburn-Shows konntest Du vor zwei Jahren den beim letzten Interview schon geäußerten Wunsch umsetzen, in den Dolomiten eine Art Festival zu organisieren – die Bliss Mountain Sessions 2022, welche auch für YouTube aufgezeichnet wurden. Und auch ein South of Mainstream in Berlin gab es wieder. Machte das erst Recht Lust auf das Jubiläum im Mai?

Es ist nicht so, dass mir irgendwie die Lust abhanden gekommen wäre. Aber gerade das South Of Mainstream im vorletzten Jahr hat eine ganze Menge Emotionen zurückgeholt, die seit der letzten Edition 2012 irgendwo schlummerten. Trotzdem wird es das letzte SOM bleiben, weil sich auch dieses Mal bereits im Vorfeld gezeigt hat, dass man, um so was heute zu stemmen, viele Kompromisse machen muss, die ich eigentlich nicht machen will. Die Bliss Mountain Sessions waren das Gegenteil davon – die Antithese zu jeder Art Kompromiss. Und sie waren tatsächlich etwas ganz besonderes. Vor so einer Kulisse, in einem wirklich kleinen Kreis einfach nur Musik zu machen, ohne große organisatorische Verantwortung, das war toll. Und die Videos auf YouTube schaue ich mir tatsächlich regelmäßig an. Da haben wir was gemacht, was irgendwie bleibt – so eine Art Artefakt dessen, was Exile On Mainstream ausmacht.

 

 

Das Jubiläumsprogramm ist recht handverlesen und hält einige sonst weiniger oft zu sehende Acts wie A Whisper In The Noise parat. Nach welchen Kriterien hast Du die Auftretenden an diesen beiden Tages ausgewählt und auf was freust Du Dich persönlich besonders?

Als wir 2019 das EOM20-Festival in Leipzig beendet haben, waren wir alle so emotional aufgeladen, dass Künstler, wir und die Betreiberinnen des Venues das am liebsten gleich noch mal genauso gemacht hätten. Man kennt das ja: es gibt so Momente, in denen man so restlos glücklich ist, dass man sie ewig strecken oder gleich wiederholen möchte, obwohl man natürlich weiß, dass es nicht funktioniert. Trotzdem haben wir uns damals das Versprechen gegeben, uns nicht aus den Augen zu verlieren. Solche Events sind also nicht nur musikalisch wichtig und bescheren den Fans ein tolles musikalisches Erlebnis, sondern wir tun das auch für uns. Vor allem die Bands aus den USA und wir hier in Europa sehen uns viel zu selten und es ist mit erheblichen Kosten verbunden, weshalb man das nicht einfach mal so macht. Ein Festival ist also nicht nur Anlass, sondern auch Möglichkeit und Gelegenheit. Und so wird die Sache eben auch in der Auswahl rund: die Vergangenheit des Labels mit Bands wie Ostinato, A Whisper In The Noise, Darsombra und End Of Level Boss mit der Gegenwart verbinden: Might, The Moth, Treedeon, Crowskin, Gavial, Gaffa Ghandi. Na ja, und dann sind da Bands, die sich wie ein roter Faden durchziehen und immer da waren: Bulbul, The Antikaroshi und natürlich Conny Ochs. Das alles sind Kriterien für die Auswahl und beantwortet dann auch Deine Frage danach, auf was ich mich am meisten freue: mit diesem ganzen verrückten Tribe rumzuhängen und ums musikalische Feuer zu tanzen!

 

Warum gibt es dieses Mal gleich zwei Veranstaltungen – in Berlin und schon fast traditionell in Leipzig? Wobei der Termin mit dem verlängerten Wochenende schon interessant ist, um vielleicht beides mitzunehmen.

Die Erklärung ist einfach. Die beiden Venues haben einen wirklich wichtigen Anteil an unserer Geschichte und dem was EOM ausmacht: die Philosophien ähneln sich sehr und beide Venues sind so was wie Wohnzimmer für unsere Bands. Alle diese Bands haben in einem oder beiden Läden schon gespielt. Manu und Luggi von der Zukunft, Almuth, Fensi und Sebastian vom UT in Leipzig empfangen unsere Acts immer mit offenen Armen. Wir haben das EOM20 2019 in Leipzig gemacht und das South Of Mainstream 2022 in der Zukunft, die damals ganz schnell und unbürokratisch eingesprungen sind, als klar wurde, dass wir das Ding nicht als Open Air wie geplant durchziehen können. Na ja, und dann bin ich eben auch ein sentimentaler Pragmatiker. Wenn ich mich zwischen zwei Optionen (hier: Venues) entscheiden muss, mache ich das einfach nicht, sondern dann wird eben in beiden Venues gespielt. Fertig.

 

Neben Musik wird es auch Kunst zu sehen geben. Was erwartet uns da – eine einfache Ausstellung von Gemälden wird es wohl nicht sein?

Hey, Musik IST Kunst! (lacht) Im Ernst, nein, eine einfache Ausstellung wird es nicht sein. Wir haben das ja bereits auf dem EOM20 und dem South Of Mainstream 2022 gemacht. Die Künstler Conny Ochs, Roland Scriver, Pierre Zoller und Matt Irwin werden live zeichnen und sich dabei von der Musik inspirieren lassen. Conny, Roland und Pierre kennen das schon, Matt ist erstmalig dabei. 2022 in der Zukunft am Ostkreuz sind dabei drei höchst unterschiedliche, aber doch zusammenhängende Gemälde entstanden, die wir eigentlich für einen guten Zweck versteigern wollten. Das habe ich dann aber nicht übers Herz gebracht und sie hängen jetzt nebeneinander in meinem Musikzimmer. Ich konnte mich nicht trennen. In diesem Jahr wird wieder etwas entstehen, was wir wiederum nicht vorher planen. Zusätzlich gibt es natürlich auch Werke der Künstler zu sehen und zu erwerben. Für mich ist es immer besonders wichtig zu zeigen, dass an einer Veröffentlichung nicht nur ein Musiker beteiligt ist, sondern das Artwork, Mastering und sogar die Herstellung eigene Kunstformen sind, die Würdigung erfahren müssen. Wenn es technisch möglich wäre, würde ich auch eine Schallplatten-Schneidmaschine und eine Pressmaschine aufbauen. (lacht)

 

 

Ein wichtiger Part scheint dabei auch wieder Conny Ochs zu sein, der nicht nur als Musiker in Deinem Umfeld auftritt, sondern schon mehrfach Coverartworks für einige „Deiner“ Künstler erstellt hat. Wie wichtig ist generell der optische Aspekt einer Veröffentlichung für Dich, bzw. euch?

Wie eben schon erwähnt, ist der optische Aspekt für mich immens wichtig. Machen wir uns nichts vor, Musik genießen wir immer auch durch Visualisierung. Wenn wir einen Song hören, formt sich vor unserem inneren Auge ein Film. Wenn wir auf ein Konzert gehen, schauen wir den KünstlerInnen bei der Arbeit zu. Und ein Coverartwork beeinflusst unsere Wahrnehmung der Musik. Und na ja, in diesem Verständnis triffst du dann noch auf einen Typen wie Conny Ochs, der diese Gleichwertigkeit auch noch personifiziert, der also musikalischer und bildender Künstler gleichermaßen ist. Unser Verhältnis geht darüber aber noch weit hinaus. Wir sind auf eine gewisse Art Seelenverwandte, teilen dieselben Ideale und stellen immer wieder fest, dass wir sogar zeitgleich dieselben Gedanken haben – es gibt so ein unsichtbares Band zwischen uns.

Ein Beispiel: während ich deine Fragen beantworte, ist vorhin folgendes passiert: Conny war seit fast zwei Wochen abgetaucht, brauchte eine Pause von digitaler Kommunikation und wir haben in dieser Zeit keine Nachrichten oder E-Mails ausgetauscht. Ich hab gerade das erste Mal seit ca. zwei Wochen die Platte „Wahn und Sinn” von ihm aufgelegt, die ich sonst eigentlich mehrmals pro Woche höre. Der erste Song war noch nicht vorüber, da kommt eine WhatsApp von ihm mit Antworten auf Fragen, die ich ihm vor zwei Wochen geschickt hatte. Das kam mir so vor wie dieses Batman-Logo, das in Gotham an den Himmel projiziert wird, wenn der Dark Knight gebraucht wird. Nur war’s bei mir die Platte. Strange, oder? Conny ist mit seiner Musik und seiner Kunst ein integraler Bestandteil dieses Labels, so eine Art spiritueller Guru. Unser Slogan Love.Noise.Freedom. ist z.B. auch von ihm. Ohne den Kerl wäre EOM nicht das was es ist, womöglich würde es das Label sogar gar nicht mehr geben. Er war der erste, der Ende 2012 zu mir gesagt hat: du kannst nicht aufhören! Das wollte ich damals nämlich tatsächlich.

 

Kommen wir nach ein paar Fragen zum Jubiläum mal auf die allgemeine Ebene bei EOM zurück. Bei unserem letzten Gespräch vor fünf Jahren meintest Du noch, Du möchtest es etwas ruhiger angehen lassen. Jetzt hast Du dann mit der im März kommenden Sons of Alpha Centauri doch wieder 20 Alben zusammen, also durchschnittlich 4 Stück pro Jahr. Also doch nicht so ganz ruhiger?

Diesen Unsinn erzähle ich ja immer mal wieder. Ich weiß auch nicht. So ein Label ist ein beständiges Auf und Ab. Du entdeckst was, willst das unbedingt rausbringen, investierst jede Menge Arbeit und Enthusiasmus und dann ist es raus und muss auf eigenen Füßen stehen. In solchen Momenten kochst du dann schlagartig runter und verschnaufst. Und dann stellt man die Sinnfrage. Wenn dich dann noch ein Dayjob so in Beschlag nimmt, dass du kaum noch geradeaus denken kannst, willst du in einem Moment alles hinschmeißen. Aber dann hängst du wieder mit Leuten rum, kriegst eine nette Mail mit ein paar Rohmixen von ein paar Tracks von Leuten, mit denen du immer schon mal was machen wolltest und dann geht das Ganze wieder von vorne los. Ich glaube, das mit dem Kürzertreten wird nichts mehr. Wobei man ja auch sagen muss, dass vier Platten im Jahr nun nicht so viel sind. Wenn ich mir da andere Labels anschaue wie zum Beispiel so Leute wie Aston von Boss Tuneage – der pumpt Platten raus wie mit einem Maschinengewehr. Dagegen bin ich ein regelrechtes Faultier.

 

 

Was steht in nächster Zeit sonst noch auf Deiner Agenda, was muss unbedingt mal bei EOM veröffentlicht werden?

Aktuell konzentrieren wir uns tatsächlich auf „Pull”, die neue Platte von Sons Of Alpha Centauri, die Du ja schon erwähnt hast. Die ist der direkte Nachfolger des Albums „Push” aus dem Jahr 2021 und hat wieder Jonah Matranga am Gesang und Mitch Wheeler von Will Haven am Schlagzeug. Die Platte ist so ein geiles Brett! Als nächstes wird Conny Ochs mit einem neuen Album kommen, dieses Mal wieder in englischer Sprache. Dafür werden wir dieses Mal was anderes ausprobieren und über den Frühling und Sommer einige Songs digital als Singles mit Videos veröffentlichen bis dann im Herbst die Platte kommt. Ja, und dann spielt das Caspar Brötzmann Massaker ja auch nicht ohne Grund auf unserem Festival in Berlin. Da darf man also auch gespannt sein. Die Zusammenarbeit mit Caspar ist tatsächlich ein wahr gewordener Traum für mich. Apropos wahr gewordener Traum: Anfang 2025 werden wir das Debütalbum von Karla Kvlt veröffentlichen, der neuen Band von Markus E. Lipka (Eisenvater, Rossburger Report). Noch so ein Held meiner Jugend. Ja, ich weiß, retrospektive Phase und so. Worüber sich alte Säcke eben so freuen, ha. Allerdings hat das gar nichts Altbackenes, in der Band sind nämlich auch Mitglieder von Melting Palms und die sind ja nun so was von im Jetzt.

 

In der Szene sind die exorbitant gestiegenen Vinylpreise ein großes Gesprächsthema. Gerade was die größeren Labels betrifft, bei kleineren Firmen ist es doch noch ausgewogener. Trotzdem schaffst Du es selbst mit einer beigelegten CD unter 20 € zu bleiben. Wie machst Du das, wie lange geht das noch gut, ohne draufzuzahlen?

Nun, über diese Frage könnte man ein ganzes Buch schreiben. Und man muss vorsichtig sein, hier nicht anzuecken. Fakt ist zunächst, dass die Preise für Herstellung und Transport von Platten in den letzten Jahren tatsächlich durch die Decke geschossen sind. Die Gründe sind vielfältig und das wäre tatsächlich Thema für ein eigenes Interview. Nun ist es aber so, dass in unserer Branche immer noch mit prozentualen Aufschlägen gerechnet wird, die natürlich, selbst inflationsbereinigt in den letzten Jahren auch höhere Gewinne zur Folge hatten – zumindest auf die entsprechenden Einheiten, nicht unbedingt auf Mengen, gerechnet. Hersteller, Versandunternehmen, Labels, Vertriebe, Plattenhändler schlagen für ihre Services einen bestimmten Prozentsatz auf. Und 10 % von 10 EUR sind einfach mehr als 10 % von 8 EUR. Das ist noch lange kein Gewinn, sondern federt eben auch gestiegene Kosten in anderen Bereichen ab: Büromieten, Porto, etc. Mit anderen Worten, die tatsächlich gestiegenen Kosten potenzieren sich noch mehr.

Das alles verläuft parallel zu sinkenden Verkaufszahlen, was ja auch logisch ist. Ein Plattenkäufer hat ja ein mehr oder weniger fixes Budget, von dem er sich vor ein paar Jahren vielleicht drei bis fünf Platten pro Monat kaufen konnte, während es jetzt nur noch zwei oder drei sind. Das Label muss nun also von weniger verkauften Platten trotzdem noch die Kosten decken. Natürlich ist das alles nur ein milchmädchengerechnetes Beispiel. Was man dabei aber ebenso nicht außer Acht lassen darf: Schallplatten gehören zu den wenigen Konsumgütern, die über Jahrzehnte nominell kaum nennenswerte Preissteigerungen erfahren haben. Anfang der 70er Jahre kostete eine Platte im Durchschnitt etwa 20 D-Mark. Das entsprach fast 30 Bier in der Kneipe. Das war sagenhaft teuer! Erst gegen Ende der 90er Jahre wurden Platten verhältnismäßig günstig. Während Einkommen und Kaufkraft stetig stiegen, sogar bereinigt um Lebenshaltungskosten, pendelte sich die Platte bei einem Preisniveau ein das fast 40 Jahre nominell stabil blieb. Im Verhältnis wurden Platten also immer billiger. Die aktuellen Preissteigerungen kommen nun sehr plötzlich und sehr stark und deshalb empfinden wir sie als sehr drastisch.

Warum ich dennoch 20 EUR als magische Grenze ansehe, ist eine persönliche Entscheidung. Es geht. Man kann das machen. Wir predigen allen Leuten immer, den Gürtel etwas enger zu schnallen und sich mit Verzicht auseinanderzusetzen. Ohne das jetzt zu politisch werden zu lassen: ich fange da einfach mal an und verzichte halt auf ein paar Prozente Gewinn und hoffe, dass sich dann der eine oder andere da draußen eine Platte auf Exile noch leisten kann, die er sonst vielleicht nicht gekauft hätte. Das ist jetzt kein Rezept oder eine Empfehlung an andere, es ebenso zu machen und es enthält auch keine Kritik an anderen Herangehensweisen. Es ist eine persönliche Entscheidung – ich mach das eben einfach so. Im Mittel funktioniert das auch noch, ohne draufzuzahlen. Wie lange noch, darauf gibt meine Kristallkugel keine Antwort. Wenn das Konto irgendwann leer ist, werde ich das merken und dann werde ich drüber nachdenken.

 

 

Planbarkeit ist in Sachen Vinyl ein ebenso großes Thema. Aufgrund des Hypes müssen gerade kleinere Firmen oft enorm lange Wartezeiten bei den Vinyl-Pressen in Kauf nehmen. Mehrere Monate scheinen immer normal zu sein. Kannst Du das auch bestätigen und ist das für Dich ebenso ein Problem?

Dieser Eindruck hält sich tatsächlich immer noch hartnäckig, ist aber inzwischen tatsächlich kalter Kaffee. Auch hier könnte man wieder eine längere Abhandlung schreiben. Dass in den Pandemiejahren die Nachfrage nach Platten brutal in die Höhe gegangen ist, wurde ja nun ausschweifend diskutiert. Ebenso wie die Gründe dafür. Und, nein, es waren nicht nur die Major-Labels und auch nicht Adele oder Abba. (lacht) Diese Nachfrage, die die Presswerke tatsächlich zwischen 2020 und 2022 nicht bedienen konnten, haben zu einem Schneeballeffekt geführt, der vor allem zwei Trigger hatte. Insbesondere Major Labels, aber auch Indies haben die Platte als Geschäftsmodell viel ernster genommen als zuvor. Heißt, sie haben veröffentlicht was geht. Katalog, olle Kamellen, aber auch neue Platten von Künstlern, die aufgrund der Situation Zeit und Möglichkeit hatten, aufzunehmen und das auch mussten um über die Runden zu kommen.

Und um einer Kritik mal gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: diese Platten wurden und werden alle gekauft, auch die ollen Kamellen. Und der zweite Trigger war eben die Unwägbarkeit, die du eben angesprochen hast. Wenn die Nachfrage die Kapazität der Hersteller beständig übersteigt, stellen sich alle Produktionen in eine Schlange, die immer länger wird. Wenn das dann auch noch medial ordentlich begleitet und ausgewertet wird, gerät eine Branche langsam in Panik. Bei Majors und größeren Indie-Labels, die Kataloge haben, die beständig verkaufen (müssen), kommt dann die Frage der Lieferbarkeit dazu. Heißt: sie müssen genug Bestände lagerhaltig haben, um ihr Geschäft aufrecht zu erhalten und werden in solchen Zeiten noch mehr pressen und sich die Lager vollhauen. Wenn ich nicht einfach mal 2000 Platten in ein paar Wochen nachpressen kann, mach ich doch lieber gleich von Anfang an 10.000 statt 5.000. Das Resultat: noch mal höhere Nachfrage und noch mal längere Schlangen. Und genau das ist in den letzten drei Jahren passiert. Die Presswerke haben dem entgegengesteuert, indem sie massiv aufgerüstet haben, neue Maschinen eingekauft und die Produktion erweitert haben – was aber auch nicht über Nacht geht, sondern mit einiger Verzögerung passiert.

In der Zeit wurden die Schlangen nochmal länger. Neue Presswerke kamen dazu. Von gerade mal 35 weltweit in 2016 auf nunmehr über 200 ist die Zahl gestiegen. Tja, und dann kam 2023 und mit dem Ende der Pandemie fielen viele der eben beschriebenen Trigger weg, während zeitgleich die Lager voll sind und nun erstmal abverkaufen müssen. Die Presswerke haben jetzt Überkapazität und seit etwa einem halben Jahr gibt es diese Probleme gar nicht mehr. Platten kann man mittlerweile in vier Wochen gepresst bekommen und das Problem scheint sich sogar in die andere Richtung zu drehen. Viele kleine, neuere Presswerke haben nicht genug Aufträge und mich beschleicht die Sorge, dass es einige vielleicht nicht schaffen werden. Das alles ist aber tatsächlich keine Überraschung und wenn man den Markt in den letzten fünf bis zehn Jahren aufmerksam beobachtet hat, verwundert die Entwicklung gar nicht. Man kann entsprechend seine Hausaufgaben machen und sich darauf einstellen. Ein kleines Label wie Exile On Mainstream kann das gut. Wenn die Platte fertig ist, kommt sie eben raus. Bei größeren Firmen war das in den letzten Jahren eher ein Problem, da an einer VÖ-Planung ja viel mehr hängt als nur eine Herstellung. Da muss Promoarbeit gemacht werden, eine Tour gespielt werden, Anzeigen geschaltet werden. Da müssen viele Zahnräder ineinander greifen und wenn’s bei einem hakt, fliegt einem das ganze Getriebe um die Ohren.

Um deine Frage zu beantworten: nein, für mich ist das alles kein großes Problem. Ich lass das einfach laufen, passe mich an, erkläre die Situation unseren Künstlern und bin so transparent wie möglich. Aber ich muss auch ehrlich sein: ich kann mir so eine Herangehensweise leisten. Die Welt wartet nicht händeringend auf meine Platten und ich bin in der glücklichen Lage, finanziell nicht vollständig von dem Label abhängig zu sein. Es geht hier eben um eine bestimmte Kultur und nur zweitrangig um kommerzielle Interessen. Deshalb sind einige meiner Statements bitte nicht als Kritik oder Empfehlung an denen oder die, die kommerziell agieren müssen, miss zu verstehen.

 

Vielen Dank für das schöne Gespräch, Andreas. Es war sehr interessant. Am Ende bleibt mir dann nur noch zu sagen: auf die nächsten 25 Jahre!

An mir soll’s nicht liegen! (lacht)