Interview: ADAM ANGST – Die Schubladen explodieren lassen

Es rauscht. Und rumpelt. Und rattert. Mitunter muss man sich die Augen reiben. Immer dann, wenn Adam Angst mit neuer Musik um die Ecke kommen, denn man kann sicher sein, dass das Quintett um Felix Schönfuss elegant und leichtfüßig an der Schmerzgrenze gesellschaftlicher Wunden entlang tänzelt. Nach „Adam Angst“ (2015) und „Neintology“ (2018) ist ihr aktuelles Album „Twist“ bohrender, drängender und relevanter denn je. Kurz vor dem 10-jährigen Bandjubiläum samt anstehender Tour sprachen wir mit Sänger Felix darüber, warum es eine Befreiung ist, Musik nicht hauptberuflich zu machen und warum eine gewisse Verweigerungshaltung trotzdem zum Erfolg führt. Er verrät aber auch, warum ihm der Alltag schon genug Inspiration für Songideen liefert.

Ihr feiert im März euren 10. Bandgeburtstag – hättest du das zu Anfang gedacht?

“Eigentlich sind wir durch Zufall darauf gestoßen. Unser Schlagzeuger, Joe, hat uns darauf gebracht. Natürlich habe ich mir bei der Bandgründung gewünscht, dass es mal eine Band gibt, mit der man lange unterwegs sein kann. Aber richtig daran geglaubt habe ich nicht, weil ich bis dato immer sehr umtriebig und unstet war, was meine Musikalität betrifft.”

Wie würdest du sagen hat sich euer Musikstil auf “Twist” entwickelt?

“Es ist sehr viel bandlastiger geworden. Ich habe zum ersten Mal zusammen mit David, unserem Gitarristen, Songs geschrieben. Am liebsten schreibe ich Songs in meinem stillen Kämmerlein, mit Kopfhörern, damit es niemand mitkriegt und mache sie auch immer komplett fertig. Im Studio müssen sie nur noch nachgespielt werden und es gibt sonst nichts mehr zu tun. Diesmal wollten wir das zusammen ausprobieren und uns gegenseitig befruchten. Wir sind immer noch keine Band, die im Proberaum zusammenkommt und auf einem Riff herumjammt. Was man auf „Twist“ aber schon merkt, ist, dass wir uns frei gemacht haben und verschiedene Stile verwenden und gar nicht mehr als die typische Punkrockband wahrgenommen werden. Es sind auch viele Popsongs darauf, was der Zusammenarbeit mit David geschuldet ist: Scheiß auf die ganzen Grenzen! Das wollen wir auch weiterführen, dass man uns irgendwann in keine Schublade mehr stecken kann.”

Bist du jemand, der sehr sensibel auf Stimmungen reagiert und das auch in die Texte einfließen lässt?

“Ich mache sehr viel Homeoffice und sehe meine Kolleg*innen daher gar nicht so oft. Was ich aber auf jeden Fall sehr stark wahrnehme, sind die kleinen Details, die wahrscheinlich jeder Büromensch kennt: Die Gags, die immer gleichen Sprüche – das versuche ich dann schon hier und da in einem Song zu verarbeiten.”

Weiß man als Band schon in der Entstehungsphase, ob ein Album gelungen ist, oder braucht man dafür erst einen gewissen Abstand?

“Bei der zweiten Platte hatten wir so ein bisschen das Damoklesschwert der Erwartungshaltung der Leute über uns und haben uns davon auch beeinflussen lassen. Das haben wir jetzt abgelegt, es war uns wichtig, dass wir erst einmal mit der Platte happy sind. Wenn wir sie gut finden, dann wird es auch Leute geben, die nicht sagen, dass das totaler Rotz ist.
Aber wie die Platte dann performt, wie sie ankommt, oder sich verkauft, hängt wieder von vielen anderen Faktoren ab. Die können und wollen wir nicht immer beeinflussen. Mit einem unbegrenzten Budget oder wenn wir die Single bei Late Night Berlin veröffentlicht hätten, wäre sie vielleicht erfolgreicher geworden. Aber der wichtigste Indikator für uns ist, wie viele Menschen zu unseren Konzerten kommen – und das sieht am Ende wirklich gut aus.”

Wie sieht euer typischer Proben- und Schreibprozess aus?

“Eine Probe hat bei uns überhaupt nichts mit dem Schreibprozess zu tun. Wir haben sowieso schon Schwierigkeiten, genug Termine zu finden, um für unsere Tour zu proben. Wir haben auch keinen eigenen Proberaum, sondern zecken uns bei anderen Bands ein oder sind mal in einer Musikschule. Technisch klappt das zum Glück immer, weil unsere ganze Technik, unser Monitoring – das haben wir beisammen und haben dann den gleichen Monitorsound wie auf der Bühne.”

Mir fällt auf, dass sich viele Bands aus diesem Jahrzehnt von den anfänglich oft kryptischen Texten entfernt haben. Ist das eine normale Entwicklung oder wichtig, um gehört zu werden?

“Das ist eine sehr gute Frage. Für mich war es immer wichtig, dass möglichst viele Menschen schnell verstehen, worum es geht. Ich war auch ganz schlecht darin, etwas mit Bildern und Metaphern zu umschreiben oder eine Stimmung zu erzeugen, aber damit etwas ganz anderes erklären zu wollen – das konnte ich nie. Mir war es wichtig, eine klare, deutliche Sprache zu wählen, aber die Gratwanderung zur Peinlichkeit ist in der deutschen Sprache immer da. Es gibt bestimmt Leute, die unsere Musik peinlich finden. Aber wir versuchen, damit es nicht ganz so plump wirkt, es mit einem gewissen Witz und Cleverness zu machen. In der deutschen Sprache rutscht man da sehr schnell ab.”

Apropos plump. Mit „Unangenehm“ habt ihr einen ganz besonderen Song veröffentlicht. Hattet ihr keine Angst, dass der irgendwie in einer falschen Playlist landet?

“Erst mal finde ich es gut, wenn wir über Playlists irgendwo auftauchen, so werden die Leute auf unsere Band aufmerksam. Bei „Unangenehm“ war das die Intention: Diese Grauzonen-Rock-Parodie, welche die Leute in den ersten 30 Sekunden gut finden – erst danach lösen wir den Song ja auf. Das war der Witz, den wir uns erlaubt haben, denn am Ende eignet sich der Song ja doch nicht für ein falsches Klientel.”

Gab es denn einen Song, auf den ihr öfter angesprochen worden seid?

“Nein, da hast du schon recht …”

Empfindest Du es als Last oder Befreiung, die Musik nicht hauptberuflich zu betreiben?

“Beides. Vor einigen Jahren hätte ich noch Last geantwortet, heute tendiere ich eher zur Befreiung. Dadurch, dass man auch ein normales Leben hat, verfügt man über Material, aus dem man für die Texte schöpfen kann. Vieles von dem, was ich schreibe, kommt auch gerne aus dem Arbeitsalltag. Das hilft mir total. Außerdem natürlich der finanzielle Aspekt: Musik, die gemacht wurde, weil sie gemacht werden musste, ist auch schnell mal nicht so gut. Weil ich weiß, dass ich mit der Musik niemals meine Miete bezahlen muss, kann ich viel freier arbeiten. Alle Menschen sehnen sich danach, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen und sich zu verwirklichen. Ich habe da mittlerweile einfach eine andere Einstellung und zu viel Respekt vor. Wenn man einmal angefangen hat und es nicht schafft, seine Leidenschaft aufrechtzuerhalten, kann das Leben auch ganz schön hart werden.”

Ist es nicht auch schwierig, diese beiden „Jobs“ auszufüllen?

“Das ist schon auch hart. Ich habe in dem Kontext das Glück, keine Kinder zu haben, da geht es anderen anders. Die Band ist ja nicht nur ein Hobby, wir verdienen ja auch Geld – wenn auch nicht so viel wie manche denken. Nur weil man einmal in den Top 20 war, schwimmt man nicht im Geld. Nach Abzug der Steuern kann ich mir im besten Fall einen schönen Urlaub leisten, so muss man sich das vorstellen. Aber es ist megahart, das auf dem Level zu machen, auf dem wir das tun. Du kannst nicht mehr einfach so auf Tour gehen, dir eine Setlist ausdenken und das war’s. Da hängt mittlerweile so ein Rattenschwanz dran, was alles geklärt, geregelt und kalkuliert werden muss – ohne Management, Label und Booking wäre das nicht zu stemmen. Aber wer weiß, wo das mit der Band mal hinführt: Wenn sie zu viel abwirft, muss ich mich dieser Frage nochmal stellen.”

Gleichzeitig fallen mir aber eine ganze Handvoll Bands ein, die trotz gewisser Verweigerungshaltung erfolgreicher denn je sind. Der Lohn fürs Durchhalten?

“Das ist total spannend zu beobachten, ich bin da aber auch noch zu keinem Ergebnis gekommen. Ich glaube immer noch dass es Bands gibt, die sich ein Publikum erspielen: Auch wenn sich die Regeln geändert haben, wie Bands bekannt werden, wie man aus diesem ganzen Sumpf durchsticht und es schafft, den Algorhitmus für sich zu nutzen. Langsam, nach 10 Jahren, gehören wir da auch dazu. Ich glaube fest daran dass Menschen wiederkommen, wenn man keine beschissene Musik macht und live gut ist. Ein Konzerterlebnis ist einfach etwas ganz Eigenes.
Einerseits spielen wir unsere größte Show im Kölner E-Werk, die wir allem Anschein nach ausverkaufen werden, anderseits gibt es Städte, wo es – sagen wir – moderat läuft. Machen wir nicht genug Werbung, nicht genügend Social Media? Man denkt sich: Früher haben wir ja gar kein Social Media gemacht, da hat das alles gepasst. Jetzt macht man umso mehr und es geht dann doch nicht.”

Du hast dir deine Klavier-Skills per YouTube-Tutorials angeeignet. Bist du nervös, das jetzt auch live umzusetzen?

“Jein. Die meisten Songs, die wir jetzt auf der Tour spielen werden, haben wir schon auf der Support-Tour mit den Donots gespielt – da konnte ich schon üben. Ich bin immer noch kein wirklich guter Pianist. Das Schlimme am Klavier ist – mehr noch als bei einer Gitarre – wenn du dich verspielst, hört das einfach jeder. Bei der Gitarre kannst du so etwas immer gut überspielen, beim Klavier geht das nicht. Außerdem musst du in der Lage sein, superschnell wieder in den Song zu finden und im Konzept zu bleiben. Das macht die Nervosität natürlich nicht kleiner. Bisher hat das gut geklappt, aber ich bin mir sicher, auf dieser Tour den Moment geben wird, an dem ich mich so verspiele, dass wir abbrechen und von vorne anfangen müssen. (Sorry!)”

Wolltet ihr mit dem Klavier auch spezielle Momente erzeugen?

“Voll. Was ich mir gewünscht habe, ist dass man nicht heavy-punkrock-mäßig durchbrät, mit Moshpit, Gebrüll und Geschrei, sondern dass man ein Konzert macht, bei dem mal eine andere Stimmung angesagt ist: Menschen auch mal runterfahren können, man kann dann auch mit dem Licht ganz anders arbeiten. Ich finde das sehr schön – für alle: die Band und das Publikum. Ein Konzerterlebnis lebt von den verschiedenen Stimmungen und so wird es kurzweiliger und runder. Ich habe mir von der Support-Tour Videos angeschaut und finde das schön. Die beiden Gitarristen rennen nicht die ganze Zeit hin und her und das Licht flackert nur, sondern alle stehen an einem Punkt. Wenn der Song es hergibt, kann man auch so unterhalten.”

Fotocredit: Esteban Sierra

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