20 Jahre Exile On Mainstream Records – 10 Empfehlungen aus dem Labelkatalog

Am 1. April 2019 (kein Aprilscherz!) feiert das ostdeutsche Label Exile On Mainstream Records sein 20-jähriges Bestehen. An anderer Stelle findet ihr ein interessantes Interview mit Inhaber Andreas Kohl, in dem er die Geschichte und das Selbstverständnis seiner Firma ausführlich erläutert. An dieser Stelle soll es sich aber ausschließlich um die Musik selbst drehen.

90 Veröffentlichungen werden im Labelkatalog von EOM gelistet. 90 Veröffentlichungen die nicht nur für den Kanzler, wie er oft liebevoll genannt wird, besonders sind, sondern die meist auch besonders klingen. Musik abseits des Mainstreams – so vielfältig wie spannend. Da die Firma keinen klar definierbaren Stil verfolgt, macht jede Veröffentlichung wieder von Neuem interessant. Wir haben exemplarisch mal zehn Schmankerl chronologisch geordnet als eine Art „Einstiegsdroge“ herausgegriffen. Ich geb’ zu, die Auswahl ist schon ein wenig subjektiv. Aber das macht ja in diesem Fall mal nix. Musikalisch zu entdecken gibt auch hier so oder so einiges.

Nun denn, los geht’s!

 


 

A Whisper In The Noise „Dry Land” (2007)

Das Musikprojekt A Whisper In The Noise aus Minnesota ist das Baby von West Thordson. „Dry Land“ war das vierte Album der Truppe und das erste, welches bei Exile On Mainstream erschien. Wobei Truppe fast etwas übertrieben ist. Denn eingespielt und -gesungen wurde das Ganze zum großen Teil von Thordson selbst. Irgendwie ist der Mann auch so etwas wie der amerikanische Mark Hollis.

Und der Vergleich mit dem kürzlich verstorbenen Kopf von Talk Talk ist gar nicht so abwegig. Denn die Musik von A Whisper In The Noise wird gerne mit dem Spätwerk der Engländer verglichen. Wenn man schon eine Schublade für „Dry Land“ finden möchte, dann muss man schon den Postrock-Schuber bemühen. Popstrukturen sind hier nicht so wichtig. Der Sound ist getragen und atmosphärisch. Ja, über weite Strecken sogar regelrecht elegisch. Wobei es doch immer wieder lautere Momente gibt. Ein Kollege beschrieb die Musik damals als Wettlauf zwischen lauten Moll- und leisen Zwischentönen.

Nur schwer zu beschreiben. Man muss es wohl gehört haben, diesen Ritt zwischen zerrissener Traurigkeit und purer, melancholischer Schönheit. Zu hören: elegische, leicht verträumte Melodien, etwas abwesender, ätherischer Gesang und ein geschmackvolles Klanggebrodel mit passenden Gitarrenflächen, ein bisschen Glockenspiel hier und sphärische wie auch bodenständige Keyboard- und Klaviertuper dort, sowie ganz viele, nie zu seichte Streichertöne. Das komplette Album klingt mutig und ist geschmackvoll instrumentiert. Es wimmelt von feinen Harmonien und einer angenehmen Dramatik.

Spektakulär unspektakulär.

Die an dem Projekt partizipierenden Matt Irwin (Gitarre) und Hannah Murray (Geige) verließen bald nach „Dry Land“ A Whisper In The Noise und gründeten kurz darauf ihre eigene Band namens Wive. Jenes veröffentlichte ebenfalls bei EOM ein Album. „Pvll“ (2010) wildert in ähnlichen Gefilden und ist auch ein empfehlenswertes Stück Musik.

 

 


 

We Insist! „Oh! Things Are So Corruptible” (2008)

Von den USA geht’s weiter in unser Nachbarland Frankreich. We Insist! (nur original mit Ausrufezeichen) stammen von dort. Ihr Bandname bezieht sich auf ein Jazzalbum von 1960 von Schlagzeuger Max Roach. Jazz ist schon mal ein guter Fingerzeug. Denn die hier als Sextett agierende Band hat sich einer recht ausgeflippten Kombination aus Jazz- und Math-Rock verschrieben. Bereits die Besetzung mit zwei Saxophonen ist ungewöhnlich.

Die Musik nicht viel weniger. Sie ist alle andere als leicht verdaulich und massenkompatibel – dafür umso spektakulärer. Traditionelle Strophe-Refrain-Strophe-Strukturen hat man bei den Parisern zu Hause im Proberaum gelassen und man musiziert ganz ungeniert über alle Grenzen hinweg. Die Songs sind dabei voll von Polyrhythmen, zahlreichen Breaks, aufgeregten und abgehackten Gitarrenriffs (meist unverzerrt gespielt), fantasiereichen Bassparts und dem interessanten Gesang von Schlagzeuger Etienne Gaillochet. Und nicht zu vergessen diverse Spielereien der beiden Saxophonisten Cyrille Mechin und Francois Wong, die das eh schon dezent vorhandene Jazzfeeling noch ausbauen, aber mehr im Hintergrund agieren, anstatt sich nach vorne zu spielen.

Es macht es an sich auch keinen großen Sinn We Insist! mit anderen Bands zu vergleichen, da sie einfach zu viele Einflüsse zu einem eigenen Ganzen vereinen. Seien es abgefahrene Bassrhythmen á la Primus, die Intensität von At the Drive-In, das Freigeistige eines Frank Zappa, die Verschrobenheit von Tool, das kompromisslos Rockige von Queen of the Stone Age, die Experimentierfreunde einer Free-Jazz-Band oder einen noisigen Hang Richtung Shellac. Das Ganze wird sehr emotional vorgetragen und mit viel Leidenschaft auf Platte gebannt.

Dass dabei manches etwas schräg klingt und an den Nerven des Hörers zerrt, liegt dabei wohl in der Natur der Sache. Auch verlieren sich manche Songs ein wenig in einer etwas zu sehr nach Jamsession klingenden Atmosphäre. Aber sei’s drum, We Insist! haben mit ihrem fünften Album „Oh! Things Are So Corruptible“ ein echtes Ausrufezeichen im damals stagnierenden Rockzirkus gesetzt und hätten damit ein möglichst großes Publikum verdient gehabt.

Das zwei jähre später auf demselben Label veröffentlichte „The Babel Inside Was Terrible“ war ähnlich spannend. Allerdings ein Stück fokussierter und vor allem düsterer. Seit einigen Jahren hört man von der Band nicht mehr allzu viel. Schade eigentlich.

 

 


 

The Antikaroshi „per/son/alien“ (2010)

Über das Brandenburger Trio The Antikaroshi haben wir bei uns schon mal berichtet (auch interviewt). Hier haben wir es mit drei sympathischen Sonderlingen zu tun. Drei Freaks, die einfach ihre Musik für sich sprechen lassen. Man musiziert auf seinen vier bisher veröffentlichten Platten (alle recht treu von EOM in die Welt geschickt) namenlos. Social Media und den ganzen Käse klammert man komplett aus.

So, mit was haben wir es nun hier zu tun? Gar nicht so einfach zu sagen. Post- oder Avant-Rock? Progressivem Punk und Hardcore? Irgendwie alles und doch nichts. Der Geist von DIY und ein Hauch von DC-Underground durchwehen spürbar die zehn Songs ihres zweiten Albums „per/son/alien“. Diese musikalische Herkunft macht sich aber nicht ständig bemerkbar. Vielmehr möchte man das Trio in die Postrock-Ecke drängen. Denn offene Songstrukturen und einfallsreiche Spielereien bestimmen den Sound der Band. Eine zarte Knospe von Psychedelik blüht ebenfalls auf.

Dabei geht der Band die langweilende Lethargie so vieler Postrockbands so gut wie komplett ab. Instrumentale Passagen? Gibt es nicht gerade wenige. Der Gesang ordnet sich oft selbst unter. Mit nicht selten getappten statt angerissenen Saiten und einem stets treibend groovendem rhythmischen Untergrund begeben sich The Antikaroshi in faszinierende Klangwelten, die sich vor dem geistigem Auge ausbreiten. Dazu nutzt man auch gerne mal einen pluckernden Synthesizer („Quandt“) oder emotional vorgetragene Saxophonklänge („Achilles“).

Regelrechte Ohrwurmhits einzuspielen ist nicht das erklärte Ziel von des Trios. Einen beim ersten Mal schon eingängigen Titel wie „Fistful“ vom 2009 veröffentlichten Debüt „Crushed Neocons“ gibt es hier keinen. Was aber nicht heißen soll, dass es nicht genug Widerhaken gäbe, an denen man sich genussvoll aufreiben kann. Aber „per/son/alien“ ist vielmehr ein Album zum Zu- und nicht Nebenbeihören. Eine Platte die ihre Stärke in den vielen liebevollen Details ausspielt und sich so ins Herz spielt. Eine Songsammlung, die es am Ende schafft Kopf und Bauch anzusprechen.

Und das ist auch der Grund, dass man das Ding auch nach all den Jahren noch gerne aus dem Regal zieht.

 

 


 

Astrosoniq „Quadrant” (2010)

Gegen das restliche Labelprogramm klingen die Holländer Astrosoniq schon fast gewöhnlich. Denn im Kern bietet man einfach feine, zeitlose Rockmusik. Zumindest auf „Quadrant“. Denn an sich ist man eine waschechte Psychedelic-/Stoner-Band. Die klangliche Ursuppe des Quintettes Band ist leicht auszumachen: Black Sabbath, Blue Cheer, Thin Lizzy und mit Sicherheit auch die Spacerocker Hawkwind standen Pate. Wenn Astrosoniq loslegen, knallen sie einem kantige Riffs um die Ohren und das Schlagzeug gibt einen kräftigen Punch zum Besten. Dazu gesellt sich eine warme und Whiskey getränkte Stimme sowie ein bisschen Weltraum-/Psychfeeling. Verpackt wird das Ganze in griffige Songs mit zahlreichen Hooklines, die einen schnell in den Bann ziehen.

Während es „Faustian Bargain“ noch ein wenig gemächlicher angehen lässt und sich die Band langsam warmgroovt, folgt mit „Cloud Of Decay“ gleich ein erster richtig garstiger Rocker, der genauso wie „Bored“ und „Play It Straight“ zeigt, dass die Band in härteren Zeiten auch nicht vor dunkleren Tönen zurückschreckt. Das genaue Gegenteil hiervon ist das lässige und schweinecoole „Bloom“, das mit entspannten Pedalsteel-Sounds ein wenig Country- und Classic-Rock-Hochgefühl verbreitet. Überhaupt Classic Rock: Selten bekommt man eine Platte zu hören, die so selbstverständlich traditionelle Sounds in die Neuzeit transferiert, ohne gleichzeitig gezwungen retro zu klingen. Ein Genuss damals in Zeiten, in denen die Retrorock-Welle richtig Fahrt aufnahm.

Dass Astrosoniq auf „Quadrant“ zwischendurch auch in Experimentierlaune waren, beweist nicht nur „Lured“, bei dem anfangs Synthie- anstatt Gitarrenriffs den Ton angeben, sondern besonders auch „Zero“. Eine Art Mashup-Song, den die Band zusammen mit den Kollegen Zeus aufgenommen haben. Während Astrosoniq auf dem rechten Tonkanal zu hören sind, rocken Zeus auf dem linken. Spielt man dabei ein wenig am Balance-Regler herum, ergibt sich jeweils ein anderes Hörerlebnis. Den Vogel schießt die Band allerdings so richtig mit der viertelstündigen Weltraumoper „As Soon As They Got Airborne“ ab, bei der man sich fast selbst in der Kanzel eines einsam umherziehenden Weltraumfrachters sieht. Dieser überlange Titel, der mal sanft vor sich hinköchelt und dann wieder richtig Gas gibt, schafft dabei grandios den Spagat zwischen Psychedelic- und groovigem Hardrock, mit tollen Gitarrensounds, Orgeltönen und starkem Gesang.

Die Band und besonders dieses Album darf man als Rockfan gerne wiederentdecken. Astrosoniq sind einfach cool, auch ohne Flammenhemden, getunten US-Kisten oder barbusigen Schönheiten auf dem Plattencover. Lieber überzeugt man mit tollen Songs, grandioser Musikalität, jeder Menge Gefühl und warmer, natürlicher Klangkulisse.

 

 


 

Rising „To Solemn Ash“ (2011)

Wer öfter auf diesen Seiten vorbeischaut, dem ist vielleicht schon mal der Name Rising ins Auge gestochen. Die Dänen um Gitarrist Jacob Krogholt haben sich vor drei Jahren als Quintett quasi neu erfunden und seitdem zwei tolle Alben zwischen klassischen Metaltugenden und kantigen Sludge-Sounds eingespielt.

Sein Albumdebüt „To Solemn Ash“, nach einer 2009 selbst veröffentlichten EP, gab man allerdings bei Exile On Mainstream. Die Band war noch eine andere – besetzungstechnisch und musikalisch. Es standen nur drei Leute auf der Bühne. Und man suhlte sich damals voll im schweren Sludge-Bereich, der Anfang der 2010er selbst in seiner Blüte stand. Risings die Zutaten waren auch sattsam bekannt: grobes Schlagzeuggeknüppel, zupackende Bulldozer-Grooves, sägende Sprengkörperriffs und eine Stimme,die so haarig männlich klingt, dass es nicht mehr besser geht.

Damit fand man sich stilistisch definitiv in der Nachbarschaft von Truppen wie Kylesa, Baroness oder auch Mastodon wieder. Bands eben, die ihre traditionell gearteten Inspirationen (sprich Maiden, Slayer, Celtic Frost, Priest & Co.) jeglichen Klischees beraubt in die Neuzeit transportierten und dabei trotz kerniger Attitüde noch unheimlich cool wirkten, ohne es eigentlich zu wollen. Und das trifft auch auf Rising zu. Hier knarzt und poltert es an allen Ecken und Kanten. Doch im Unterschied zu manch anderer neuzeitlicher Band haben die drei Herren auf „To Solemn Ash“ nicht vergessen, dass es die Hooks und kleinen Melodien sind, an die man sich erinnert und nicht nur der grobe Knüppel und die massiven Riffs.

Tracks wie „Sea Of Basalt“, „Heir Of The Flames“ oder „Passage“ besitzen alle feine Widerhaken, die einen einfangen. Noch dazu „swingt“ die Chose trotz aller Massivität regelrecht. Da bleibt einem nichts anderes übrig, als begeistert mit zu moshen. Damit es nicht langweilig wird, variieren Rising immer wieder geschickt in Sachen Tempo und Eindringlichkeit. Bei Bedarf doomt es auch mal („Cohorts Rise“) oder die Band föhnt einem im Uptempo die Frisur neu („To The Eyes Of Catalysis“). Überhaupt legt man viel Liebe fürs Detail an den Tag, auch wenn man das anfangs gar nicht so recht würdigen mag. Gerade bei Songs wie „Heir Of The Flames“ oder „Under Callous Wings“ wimmelt es von kleinen Spielereien und gewitzten Arrangements.

Zeitloses Songwriting und damals moderner (Sludge-)Sound gehen beim ersten Albumanlauf der Dänen Hand in Hand und sorgen für zahlreiche Endorphinschübe. Zwei Jahre später funktionierte das mit dem extrem kantigen Nachfolger „Abominor“ (erste Veröffentlichung auf Krogholts Label Indisciplinarian) leider nicht mehr ganz so gut. Aber da bestand die Band auch nur noch auf dem Papier, bevor sie nach einer Kreativpause gestärkt auferstand.

 

 


 

Black Shape Of Nexus „Negative Black“ (2012)

Ja, jetzt wird es richtig groß – und verdammt düster. Der Albumtitel ist schließlich mit Bedacht gewählt und beschreibt den musikalischen Inhalt recht gut. Was die mächtigen Mannheimer Sludge-Doomer Black Shape Of Nexus (oder kurz B.Son) hier veröffentlicht haben, ist ein wahrhafter Koloss geworden. Und das nicht nur wegen seiner üppigen Spielzeit von rund 80 Minuten, sondern vor allem wegen der darauf enthaltenen Musik, die wie ein schwarzer Monolith in der Landschaft steht, der sich anschickt von einem Höllenschlund verschluckt zu werden. Nebenbei zeigt die Band, dass es sehr wohl verschiedene Schattierungen der dunkelsten aller (Nicht-)Farben geben kann. Denn Schwarz ist nicht gleich Schwarz.

Das Album beginnt gleich mit einer ziemlichen Zerreißprobe. „Illinois“ ist nicht viel mehr als Nerven zerfetzendes Gitarrenfeedback, untermalt von extrem drückendem Dröhnbass und passender Perkussion. Doch wer diese sechs Minuten hinter sich gebracht hat, wird anschließend von feinstem, sehr massivem Doom-Sound begrüßt, der mit seiner Basslastigkeit angenehmes Kribbeln in der Magengegend verursacht und sich sofort ins Unterbewusstsein fräst. Die Band agiert wahnsinnig dicht und legt einen schier undurchdringlichen Teppich für den „Gesang“ von Malte Seidel aus. Mit allerlei Effekten ausgestattet setzt er ein garstiges Ausrufezeichen zwischen Gebell der Marke Jan-Chris de Koeijer (Gorefest) und verzweifelt krankem Schreien. Der Mann nennt eine interessante Palette an negativen Emotionen sein Eigen.

Kleine Variationen in Sound und Tempo sorgen dafür, dass man sich nicht gelangweilt fühlt. Am Ende ist man sogar recht erstaunt wie kurzweilig die per se einfach strukturierten und überlangen, bis zu 22 Minuten dauernden Stücke sind. Und das ohne, dass wirklich allzu viel darin passiert. Gerade der abschließende Titeltrack ist zu zwei Dritteln ereignisloser Drone-Nihilismus, der nur von einem leichten Aufbäumen lebt, bevor gegen Ende das Ganze richtig zum Leben erwacht und es den Hörer endgültig plattwalzt. Hach, so schön kann Doom Metal sein, der von einer Band gespielt wird, die hörbar nicht wirklich in einem Metal-Umfeld musikalisch sozialisiert wurde.

Am Ende haben sich Black Shape Of Nexus mit „Negative Black“ endgültig ihre eigene Nische im Sludge/Doom-Umfeld geschaffen, die mit erhöhter Emotionalität und ihren karstigen und tonnenschweren Klanglandschaften beeindruckt. Das ist Musik die man nicht nur hören, sondern vor allem fühlen muss.

Nach ein paar kleineren Veröffentlichungen konnte man sich 2016 noch einmal für ein Album („Carrier“) zusammenraufen. Danach zerfiel die Band aber. Ist sie an ihrer eigenen Kompromisslosigkeit zu Grunde gegangen? Ein Teil der Truppe beglückt die Welt mittlerweile allerdings unter den Namen Bellrope, was sogar mehr als nur eine Ersatzdroge ist.

 

 


 

Obelyskkh „Hymn To Pan“ (2013)

Und weiter geht es in Sachen Doom. Geografisch wandern wir nur ein klein bisschen südöstlicher, Richtung Fürth, Franken. Dort beheimatet sind Obelyskkh. Die Band schlug mit ihrem zweiten Album „White Lightnin’“ erstmals 2012 bei Exile On Mainstream auf. Ein Jahr später erblickte dann „Hymn To Pan“ das Licht der Händlerregale. Und ganz persönlich halte ich jenes für das Highlight im Katalog der Band.

Die Band widmet sich hier – wie es der Name bereits verrät – dem griechischen Hirtengott. Glücklicherweise nicht mit den Tönen der nach ihm benannten Flöte, sondern natürlich mit schweren Riffs. Ich weiß nicht genau an was es liegt, vielleicht an der thematischen Umspannung. Aber Obelyskkh klingen hier wesentlich geerdeter und reduzierter, als noch auf dem schimmernden Vorgänger, mit seinem psychedelischen Hang.

Dadurch wirken die Songs auf der einen Seite zwar reduzierter, entfalten durch das Augenmerk auf Riffs und Gesangsmelodien allerdings erst richtig ihre Größe. „The Ravens“ ist ein gutes Beispiel für die mitreißende Intensität der Band. Was einfach mit Doom-typischen Gitarrensounds beginnt, verwandelt sich mit zunehmender Spielzeit und Dynamikwechseln in einen regelrecht einnehmenden Taumel.

Obelyskkh lassen den einzelnen Stücken wieder genügend Zeit, um sich zu entwickeln. Dabei muss man ihnen dazu gratulieren, den Hörer ohne weiteres bei der Stange halten zu können, ohne ihn zu langweilen. Unter sieben Minuten schleift sich nämlich kein Song über die Ziellinie. Das abschließende „Revelation: The Will to Nothingness“ ist dafür sogar fast dreimal solang. Bis man ganz am Ende versöhnliche Klaviertöne vernehmen darf, watet man dort durch tiefen Matsch und weite Flächen, wie sie sonst nur Earth in ihren besten Zeiten erzeugten.

Schwere Urgewalt, die nie zum Selbstzweck wird, düstere Schönheit, verpackt in kniffige Songs, wie man sie in diesem Genre nicht immer findet – genau das bekommt man auf „Hymn to Pan“.

 

 


 

Wino „Adrift” (2010)
Conny Ochs „Black Happy” (2013)
Wino & Conny Ochs „Freedom Conspiracy” (2015)

Jetzt wird es für das Label besonders. Labelboss Andreas Kohl war nicht nur großer Fanboy von der quasi Doom-Legende Scott „Wino“ Weinrich (Saint Vitus, The Obsessed), nein, er hatte auch das Vergnügen seine damals neue Band The Hidden Hand zu betreuen. Der Kontakt riss nie ab und Kohl überzeugte den Amerikaner seine Songs doch mal im Akustikgewand zu präsentieren. Das geschah dann auch in Form von „Adrift“.

Noch nie bekam man Wino so persönlich und eindringlich zu hören wie hier. Er zeichnet das Bild eines alten Kämpfers, der trotz der vielen Steine, die ihm in den Weg geworfen wurden, immer noch aufrecht seinen Weg geht. Textlich bewegt er sich durchaus auf den Spuren der alten, großen Songwriter wie Townes Van Zandt oder Hank Williams. Musikalisch ist „Adrift“ aber nicht gerade eine typische Singer/Songwriter-Platte, sondern eine intensive Reise durch Blues, Rock, Doom und Americana. Das hat auch mit der abwechslungsreichen Gitarrenarbeit, die mehr ist, als nur ein paar begleitende Akkorde zu schrammeln.

Die Reise geht vom keltisch anmutenden und großartigen Titelsong „Adrift“, über die ruhigen Töne der instrumentalen Ballade „Suzanes Song“, bis zur wilden und von einem Gitarrenduell dominierten Protestnummer „Green Speed“ und über äußerst bittere Pillen wie „Old And Alone“ und den beschwingten Durchhalteparolen von „Whatever“, die Wino mit seiner markanten und rauen Stimme äußerst glaubwürdig interpretiert. Thematisch ins Bild passen da auch die beiden Coverversionen von Motörheads „Iron horse/Born to lose“ und Savoy Browns „Shot in the head“, die er fast zu bluesigen Eigengewächsen macht.

Ein starkes Akustikrock- bzw. Singer/Songwriter-Album!

Fast zu selben Zeit stieß Kohl auf den Songwriter Conny Ochs, welcher mal Mitglied bei Zombie Joe und Baby Universal war. Er wollte nun auch alleiniger Singer/Songwriter sein. Sein Debütalbum „Raw Love Song“ wurde 2011 von EOM herausgebracht und bot sehr spartanische, kantige Akustiknummern. Prägnant, aber auch noch ausbaufähig. Sein zweiter Streich „Black Happy“ war noch etwas mitreißender.

Der Ton ist ein ähnlicher wie auf dem Solodebüt. Doch schon instrumental ist „Black Happy“ voluminöser. Zur Unterstützung der teils schlichten Nummern greift der musikalisch getriebene Ochs neben der akustischen, auch des Öfteren zur unverzerrten, elektrischen Gitarre, füttert seine Songs mit mehrstimmigen Harmonien an oder baut auch mal ein wenig Mundharmonika mit ein, macht auch mal Ausflüge in Richtung Blues und A Capella. Doch am Ende sind die zu hörenden Stücke wieder ganz pure und traditionelle Songwriter-Songs in der Tradition von Nick Drake oder ebenso Townes Van Zandt.

Das Stimmungsbarometer schlägt zwischen abgrundtiefer Melancholie und purer Liebe aus. Ochs hält mit seinen Gedanken nicht hinter dem Berg und das ist dann wohl auch die beschworene Authentizität des Künstlers. „What’s the prize you pay, a life for love and a phantom pain“ ist eine recht treffende Songzeile aus dem ruhigen „Phantom Pain“ – eines der Highlights des wieder recht kurzen Albums. Andere hören auf die Namen „No Sleep Tonight“, „Stable Chaos“, „Trust In Love“ oder auch „Blues For My Baby“. „Please believe me when I say, I’d rather be with my baby than sing this song anyway“ singt Conny Ochs dort mit einer gewissen Portion Pathos in der Stimme. Und man glaubt ihm jedes Wort.

Nun aber zum wirklich Besonderen. Wino und Conny Ochs wurden gemeinsam mit ihren Akustikgitarren im Auto auf Tour geschickt und man lernte sich dort derart zu schätzen, dass es sogar zur Zusammenarbeit in Albumform kam. „Heavy Kingdom“ hieß 2012 das Duo-Debüt. Drei Jahre später erschien „Freedom Conspiracy“, welches ich noch ein bisschen besser finde.

Schon der erste Anlauf bot elf wunderbare Songs in bester Singer/Songwriter-Manier, mit kleinen Ausflügen in Americana-, Blues- und Doom-Gefilde. Hier hatten sich eindeutig zwei Musiker gefunden, die auf einer Wellenlänge liegen und die zwar aus verschiedenen Genres kommen, aber doch ähnliche Ansichten teilen. Bei Nr. 2 trieb der Samen noch weitere schöne Blüten aus. Da jene vornehmlich im Schatten blühen, werden sie leider allzu oft übersehen. Denn die wahre Kraft von Wino & Conny Ochs beruht nicht auf Lautstärke und Kraftmeierei, sondern auf Leidenschaft, die sich auch in den stillen Momenten ausbreitet. Zwei Männer mit ihren akustischen Gitarren und klare Worte – mehr braucht es auch hier nicht, um ein Hörerlebnis zu schaffen. Dezent eingeworfene Perkussionen und E-Gitarren-Flächen bzw. Effekte sind eher schmückendes, vernachlässigenswertes Beiwerk.

Die Songs sind ziemlich melancholisch, oft regelrecht traurig. Aber gleichzeitig dürsten sie auch nach Liebe und Harmonie. Selbst der sonst so raue Haudegen Wino lässt den Hörer wieder nah an sich heran. Nicht weniger der im Vergleich dazu schon fast jugendlich wirkende Conny Ochs. Gemeinsam spielt man sich die Bälle zu – in instrumentaler, wie auch gesanglicher Hinsicht. Zwar haben die zwei Herren eindeutig ihre eigenen Songs. Doch erst wenn beide an einem Strang ziehen wird es wirklich intensiv. Songs wie das bluesige „Crystal Madonna“, das Americana-beeinflusste „Time Out Blackout“, der akustische Folkrock „Sound of Blue“ oder besonders das Chris-Whitley-Cover „Dirt Floor“ zeigen das deutlich. Wino und Conny Ochs haben solo bereits feine Musik gemacht, doch gemeinsam setzen sie dem noch eins drauf. Ein spannendes und intensives Album in bester Tradition der großen, amerikanischen Songwriter.

Man würde gerne eine weitere Fortsetzung dieses Projekts hören. Mal schauen, was die Zukunft noch bringen mag…

 

 


 

Tricky Lobsters „Worlds Collide“ (2017)

Als die Rostocker Tricky Lobsters „Worlds Collide“ vor zwei Jahren veröffentlichten, lagen bereits 21 Jahre Bandgeschichte, eine ganze Ladung an Veröffentlichungen und nicht zuletzt diverse – mehr oder weniger kleine – Stilwechsel hinter ihnen. Gestartet war man mit Punk- und Psychedelic-Sounds, wilderte mal im Stoner-Bereich und landete zuletzt als Powertrio beim effektvollen Heavy Rock, wie man ihn hier in Perfektion spielte. Man hat einen Kracher rausgehauen, der sich „von“ schreibt!.

Knackiger, riffgetriebener Rocksound, extrem groovig mit einer guten Portion Heavyness, tonnenschwer und dann doch mit einer Ladung Lockerheit präsentiert. Das gibt es hier zu hören. Songs zum Abrocken und Niederknien, stets mitreißend und meist auch ziemlich eingängig, aber nie billig oder plakativ. Das muss den Tricky Lobsters in dieser Qualität erst einmal jemand nachmachen. Als Vergleich fällt mir das unsterbliche, 2000er Highlight „Ad Astra“ der Schweden Spiritual Beggars ein. Sound und Stimme sind ähnlich. Und doch sind die Rostocker anders.

Hier wird gerockt, dass die Schwarte kracht. Für Tiefgang sorgen Texte jenseits von Rock’n’Roll-Klischees wie Mädels und Saufen. Storys und alte Geschichten von Liebe, Träumen und Betrug, die nicht selten ganz schön düster sind. Ein Grund mehr, voll in den Sound der Band einzutauchen. Man nehme nur das knackig swingende „Big Book“ mit seinem trotzig-eingängigen Refrain, das schwer schleifende „Father & Son“, das große, epische „Tarred Albino“, das balladesk startende „Black & Blue“ oder sich stark aufbauende, zweiteilige „Dream Diver“. Ein Musterbeispiel an Dynamik und nebenbei ein Beweis, dass Tricky Lobsters mehr können, als nur simpel und mit viel Wucht nach vorne schieben, wie es ein Track wie „The Fire“ allerdings auch wieder gut vorexerziert.

Was die Songs des Albums nämlich auch auszeichnet, ist selbst die in den melancholischen Momenten (von denen es einige gibt) stets mitschwingende Lockerheit, die nicht zuletzt dem bluesrockigen Abschluss „Needs Must“ innewohnt. Eigentlich könnte man jeden Song erwähnen, denn für sich ist jeder ein kleines Highlight, was „Worlds Collide“ zu einer äußerst starken Songsammlung einer bärenstarken Band macht.

Sollte dies das letzte Lebenszeichen unter dem Namen Tricky Lobsters gewesen sein (wonach des derzeit leider aussieht), so war das definitiv ein Abschied mit Würde.

 

 


 

Friedemann „Unterwegs” (2017)

Friedemann Hinz kennt man eigentlich als quirligen, hart wirkenden Frontmann der Rügener Hardcore-Band COR. Doch seit fünf Jahren veröffentlicht er unter seinem Vornamen auch Soloalben. Vier Studioplatten sind es mittlerweile, auf denen der Mann den Liedermacher gibt und wahlweise sein Innerstes ausschüttet oder mit viel Herzblut Finger in Wunden legt und für eine bessere Welt ansingt.

Und Friedemann tut das auf sehr bodenständige Art und Weise: nur er mit seiner Stimme und einer akustischen Gitarre. „Three chords and the truth“, qausi. Besonders sein erster Anlauf „Uhr vs. Zeit“ war 2014 in dieser Hinsicht besonders basisch, fast schon kantig. Eben genau wie der Musiker selbst. Immer ein bisschen rau und ungemütlich, aber auch gefühlvoll und stets trägt er sein Herz auf der Zunge. Im Endeffekt sind seine Solosachen irgendwie mehr Punk als vermeintlicher „echter“ Punkrock. Auf den späteren Platten wurde die Musik dann etwas offener und Hinz hin und wieder auch von einer Band begleitet. Besonders stark beim letztjährigen „Ich leg mein Wort in euer Ohr“.

Exemplarisch hab ich mir mal sein Live-Doppelalbum „Unterwegs“ heraus gegriffen, da Friedemann hier besonders authentisch wirkt und man nah an ihn herankommt. Geboten wird ein komplettes 90-minütiges Konzert, bei welchem er sich auch von Mitmusikern unterstützen lässt. Nebenbei nahm er sich ein paar COR-Songs im Akustikgewand zur Brust, eröffnete den Gig mit einer neuen, schönen Nummer namens „Am Meer“ und gab auch zwei Coverversionen von Joint Venture sowie Gerhard Gundermann zum Besten. Zu fast jedem Song gibt es eine (teils längere) Ansage. Und zu sagen hat der Mann so einiges. Man hört gespannt zu, wenn Friedemann erzählt. Fast meint man, der Musiker sitze neben einem, so klar klingt die Aufnahme.

Selten hört man ein Livealbum welches die Stimmung eines Konzerts so gut wiedergibt. Die Atmosphäre einzufangen ist vielleicht nicht so schwer, wie bei einem lauten Metalkonzert. Trotzdem ist es allemal erwähnenswert. „Unterwegs“ ist jedenfalls ein schönes Singer/Songwriter-Album mit packenden Texten, die immer wieder auch zum Nachdenken anregen. Aber auch jenseits davon sind die beiden schön verpackten CDs (oder LPs – je nach Gusto) schön zu hören.

 

 


 

So, natürlich hält das Labelprogramm von Exile On Mainstream noch vieles anderes Entdeckenswertes bereit, von dem ich gerne noch ein paar weitere Namen nennen möchte, die in dieser Liste keinen Platz gefunden haben. Was aber nicht unbedingt etwas über mangelnde Qualität aussagt.

Wer es gerne hart und doomig mag, wird mit den beiden Alben von Treedeon fündig, einem noch recht neuen Projekt von Arne Heesch (Ulme) und Yvonne Duckswort (Jingo De Lunch). Weniger extrem ist das Duo Beehoover, welches sich eher einem proggig angehauchten Sludge-/Stoner-Metal verschrieben haben. Duo heißt in diesem Fall: Bass und Schlagzeug. Man vermisst aber nichts. Empfehlenswert sind besonders „Heavy Zooo“ (2008) und „Primitiv Powers“ (2016).

Recht kantig rockig geht es bei End Of Level Boss zu. Deren Sänger/Gitarrist Harry Armstrong hat mittlerweile die Band Noisepicker am Laufen, welche fast noch spannender ist. Auf dem Debüt „Peace Off“ vom letzten Jahr spielt man einen eigenwilligen Doom-Punk-Blues. Irgendwie cool. Komplett irre ist das Noiserock-Duo Dÿse. Die haben ordentlich einen an der Waffel, sind aber live eine absolute Granate. Genauso wie die Österreicher Bulbul.

Künstlerischer wird es bei The Winchester Club und dem (anscheinend) einmaligen Projekt Celan. Der Club bietet angenehmen, etwas psychedelischen Postrock. Vielleicht nicht besonders außergewöhnlich, aber gut. Unter dem Hut Celan taten sich Chris Spencer der Noiserock-Bastion Unsane und der klassisch ausgebildete Komponist, Musiker und Dirigent Ari Benjamin Meyer, der nicht nur in Projekten der klassischen Musik, sondern u.a. auch mit Redux Orchestra und den Einstürzenden Neubauten tätig war, zusammen. Niveauvoller Krach ist garantiert.

Speziell sind auch die Enablers. Diese spielen keine Songs im klassischen Sinne, sondern vertonte Gedichte, welche Lyriker Pete Simonelli leidenschaftlich in Spoken-Word-Manier vorträgt. Eine dreiköpfige Band spielt dazu postrockartige Instrumentaltracks. Gewöhnungsbedürftig, aber letztendlich eine interessante Symbiose aus Wort und Ton. Und dann wäre da auch noch der Däne Kristian Harting. Grundsätzlich ein Singer/Songwriter. Doch er bietet musikalisch mehr. Er jagt seine Gitarre durch Effektgeräte, erzeugt damit Loops und atmosphärische Klangteppiche. Ergebnis ist trippige Folk-Musik. Dazu verarbeitet der Mann Einflüsse aus den Bereichen Mali-Blues und Sufi-Musik sowie westlichen Lo-Fi-Künstlern.