Misha Schoeneberg – Als Wir Das Wunder Waren [Buchrezension] (Jaron Verlag, 26.05.2021)

Bücher über den “König von Deutschland” oder die legendären Ton Steine Scherben, mit welchen der unvergessene Rio Reiser Musikgeschichte geschrieben hat und zeitweise zusammen mit allen in der Kommune Fresenhagen in Nordfriesland gelebt hat, gibt es zu Hauf. Aber das mit Misha Schoeneberg auch ein (heutiger) Autor zugegen war, der damals nicht nur das ausschweifende Leben voller Sex, Drugs & Rock’n’Roll miterlebte, sondern sich noch so gut daran erinnern kann, dass er Teile davon in seinem neuen Roman nutzt, davon war ja erst einmal nicht auszugehen.

Passend zum 25. Todestag des Ausnahmekünstlers hat dessen langjähriger Lebensgefährte Misha nun “Als Wir Das Wunder Waren”  über den Jaron Verlag veröffentlicht und damit einerseits einen fiktiven Roman kreiert, der aber auf der anderen Seite so viele Parallelen zu den Scherben und zu Rio zeigt, dass man in der Rolle des charismatischen Protagonisten Till Traven auch gut und gerne den liebenswürdigen Rio Reiser sehen kann/darf!

Wer (wie ich) in den 80er-Jahren groß geworden ist, der fühlt sich mit dem Roman zurück versetzt – zum einen nämlich in die Zeit, als man täglich davor Angst hatte, dass einer der “schlauen” Herren rechts bzw. links des Schutzwalls die Nerven verliert und den “Roten Knopf” drückt. Damals, als noch lange nicht an eine friedlich Maueröffnung zu denken war und man Berlin immer als einsame Insel inmitten von “Feinden” gesehen hat. In unseren Augen war die Hauptstadt damals immer irgendwie exotisch, unereichbar und Freunden, die es zufälligerweise mal dorthin verschlagen hatte, hing man nach deren Rückkehr immer gebannt an den Lippen – sollte es doch noch eine gute Zeit dauern, bis man selbst ohne Probleme in den Genuss der absoluten Reisefreiheit kommen sollte.

Und auch wenn die 80er-Jahre eine Zeit der Ungewissheit und der atomaren Zerstörung war, die uns den Supergau in Tschernobyl gebracht und weite Landstriche in der Ukraine für die nächsten 10.000 Jahr unbewohnbar gemacht hat – insgesamt merkte man andererseits überall eine Aufbruchstimmung, wie es sie meiner Meinung nach danach so nie wieder gegeben hat… alles schien kurz vor der Explosion zu sein – man hatte ja quasi aufgrund der Angst vor der ständigen Vernichtung auch nichts zu verlieren.

Aber auch musikalisch gesehen wurden zu dieser Zeit Wände eingerissen und Tabus gebrochen, die NDW, New Wave und den Punk mal nur so am Rande genannt…

… und genau hier setzt “Als Wir Das Wunder Waren” intensiv und ausschweifend an – selten habe ich einen Roman als so authentisch angesehen und bin beim Lesen so gefesselt gewesen. Mir hat die Zeitreise in meine eigenen Jugend wunderbar gefallen. Dass das Ganze dann noch mit Rio und den Scherben zu tun hat, ist für mich das Sahnehäubchen auf der Torte! 😉

Wie heißt es so schon: “Früher war alles besser…!

Ich würde nicht sagen “besser“… es war halt “anders” – und anders ist aus der aktuellen Sicht der Dinge um uns herum garantiert nicht schlechter gewesen!

 

Misha Schoeneberg
ALS WIR DAS WUNDER WAREN
Ein deutsches Rock’n’Roll-Märchen, erzählt in zehn und einer Nacht
Roman
Klappenbroschur, 496 Seiten
Format: 13,5 x 21 cm
€ 18,–

Der Autor Misha Schoeneberg fungierte übrigens bis zur Auflösung der Scherben (1985) gemeinsam mit Claudia Roth als Tour-Manager der Band, war ebenfalls in weiten Teilen für das Bühnen- & Licht-Design der Band zuständig und schrieb darüber hinaus einige Songs für die Scherben und später auch für Rio Reiser. In den 90er-Jahren bekam er dann die Chance, die Songs von Leonard Cohen in deutsche Versionen umzuwandeln, die eigentlich von Rio eingesungen werden sollten – leider machte der plötzliche Tod des “Konig von Deutschland” dem ganzen dann aber eine Strich durch die Rechnung, bevor die Songs 20 Jahre später von den unterschiedlichsten Künstlern eingesungen und zum 80. Geburtstag von Cohen veröffentlicht wurden.

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