Interview – “Vier mittelalte Männer die zusammen in einer Rockband spielen sind ja eventuell auch nicht der ganz heiße Scheiss, um den sich alle reißen” – mit Muff Potter

Passen zum neuen Album “Bei Aller Liebe“, welches am nächsten Freitag veröffentlicht wird, hat uns Brami (seines Zeichens Muff Potter-Schlagzeuger) liebenswürdigerweise einige Fragen zur Reunion und zum neuen Album beantwortet. Was bleibt uns da noch zu sagen, außer viel Spaß damit!

 

Hallo und vielen Dank dass ihr euch die Zeit nehmt und uns ein paar Fragen beantwortet – als langjähriger Fan freut mich das natürlich ganz besonders… vor allen Dingen freut es mich, dass es nun endlich wieder neue Songs, sowie ein neues Album gibt. Erzähl mal, wann und wie kam es zustande, dass ihr euch nach der Trennung 2009 wieder gemeinsam an den Tisch bzw. in den Proberaum begeben habt?

Wir hatten uns vorher natürlich hin und wieder mal gesehen, zum Beispiel wenn Nagel auf der Durchreise bei mir genächtigt hat. Da haben wir dann schon auch übers Musikmachen gesprochen, aber ehr so nebenbei und unverbindlich. Konkreter wurde es dann, als es darum ging, eine Band für die Buchpremiere zu „Der Abfall der Herzen“ zusammenzustellen. Die Idee war ja, ein paar Songs aus dem Kontext des Buchs zu spielen. Und da die Band damals zu drei Vierteln aus Muff Potter-Mitgliedern bestand, hat sich sicherlich jeder so seine Gedanken dazu gemacht, wie es wäre, nochmal zusammen live zu spielen. Einige Zeit später gab es dann die Idee, einfach mal eine Tour zu spielen. Absolut einmalige Sache natürlich, völlig unverbindlich und nur so aus Spass, is ja klar… Dann gab es relativ kurzfristig die Anfrage, das „Jamel rockt den Förster“ im Sommer 2018 zu spielen. Das wollten wir natürlich unbedingt machen. Im Rahmen dieser wichtigen, mutigen und geilen Veranstaltung sozusagen wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu treten, war wirklich das Beste, was wir uns hätten vorstellen können! Im weiteren Verlauf haben wir dann irgendwie die Kontrolle verloren und doch wieder angefangen, uns regelmäßig zu treffen und an neuen Songs zu arbeiten.

 

Was habt ihr eigentlich in den 9 Jahren Band-Abstinenz getrieben – ja klar, Thorsten hat sich vor allen Dingen als Autor betätigt, aber wie habt ihr drei anderen euch die Zeit zwischen „Gute Aussicht“ und „Bei Aller Liebe“ vertrieben?

Ich persönlich hatte in der Zwischenzeit sehr wenig aktiv mit Musik zu tun. Kurzzeitig war ich Teil einer Band namens Massenschlägerei in der Muckibude, die aber schnell wieder zerfiel. Außerdem war ich mit dem Aufbau meines Fensterputz-Imperiums beschäftigt und bin dann 2014 raus aus Münster auf einen Bauernhof gezogen, nicht weit von Bielefeld.

 

Für mich war die Trennung damals ein ziemlicher Schock. War für euch denn klar, dass es sich wahrscheinlich nur um eine Schaffenspause (auf unbestimmte Zeit handeln würde) – anders gefragt, habt ihr damals damit gerechnet, dass ihr je wieder gemeinsam als Band durchstarten würdet? Ich meine mit der Cover-Version des EA80-Songs „Auf Wiedersehen“ von der Bühne abzutreten sagt zwar, dass alle Geschichten erzählt sind – auf der anderen Seite lässt die Nummer keine Zweifel daran, dass man sich nochmal wiedersehen wird, oder?!

Für mich hatte diese Auflösung schon was surreales, obwohl es im Grunde ja von langer Hand geplant war. Als dann aber nach einem oder anderthalb Jahren immer noch niemand die Telefonlawine gestartet und einen neuen Probetermin anberaumt hatte, wurde es doch immer mehr von einem Gefühl der Endgültigkeit überlagert. Obwohl es auf der anderen Seite schon auch eine ziemliche Erleichterung war, den ganzen Scheiss erstmal von der Backe zu haben. Damit meine ich vor allem das ganze Drumherum außerhalb des Musikmachens, Interviews und so 😉

 

Nun aber zu etwas komplett anderem, nämlich zu eurem neuen Album „Bei Aller Liebe“. Vor zwei Jahren sagte Thorsten noch im DIFFUS-Interview, das er nicht wisse ob es ein neues Album geben wird, jetzt liegt das gute Stück quasi abholbereit im Regal – wie kam es dazu? Im Gegensatz zu den Fans, die bisher nur die vier bereits veröffentlichten Songs hören konnten, durfte ich mir das Album bereits komplett gönnen. Um nicht zu viel zu verraten, erzählt ihr vielleicht einfach Mal, was die geneigten Hörer erwarten dürfen.

Ich persönlich finde vier im Vorfeld veröffentlichte Songs ja eigentlich schon echt viel. Ich als Musikfan mag es viel lieber, wenn ich vielleicht eine oder zwei Singles kenne, mir dann das neue Album hole und es mit zitternden Fingern und roten Ohren erstmals bei mir zu Hause auflege. Ist doch geiler, oder? Aber zu deiner Frage: Natürlich war ein neues Album das, was jeder von uns ab der ersten gemeinsamen Probe irgendwo im Hinterkopf hatte. Wir wollten aber erstmal gucken, wie das alles so läuft. Vier mittelalte Männer, die zusammen in einer Rockband spielen, sind ja eventuell auch nicht der ganz heiße Scheiss, um den sich alle reißen. Wir wollten also testen, ob es sich gut anfühlt für uns selbst, ob die Songs gut sind und vor allem war glaube ich am wichtigsten herauszufinden, ob wir noch in der Lage sind, von uns selbst begeistert zu sein. Klingt vielleicht etwas dicke, aber ich finde genau das absolut grundlegend für eine Band. Quasi als Existenzberechtigung. Jedenfalls gab es konkrete Gespräche über ein neues Album erst so ab dem dritten Probenblock, wenn ich mich recht erinnere. Erwarten dürfen die Hörer jedenfalls nicht das Muff Potter-Album, das es vielleicht 2011 oder so gegeben hätte. Unser Ziel war es, ganz bewusst genau die Musik zu machen, die wir in diesem Moment, 10 Jahre später, geil und für uns selbst interessant finden. Wahrscheinlich hätten wir auch eine solide MP-Platte alter Bauart zustande gebracht, aber der Reiz lag für uns ja darin, Neues zu wagen und son bisschen das vertraute, sichere Terrain zu verlassen. Hat gut geklappt, finde ich. Und ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen, jetzt irgendwie nicht mehr nach MP zu klingen. Das tun wir anscheinend sowieso immer.

 

Ich persönlich bin sehr begeistert und halte die neue Scheibe für euer bisher bestes Album. Wie schwer fiel es euch überhaupt nach so langer Zeit wieder gemeinsam an neuen Songs zu feilen – oder lagen die Nummern schon fertig im Giftschrank und warteten nur darauf das Licht der durchaus missratenen Welt der erblicken?

Vielen Dank. Ich persönlich bin auch sehr begeistert und halte die neue Scheibe für unser bisher bestes Album. Das meine ich ohne Ironie. Das Songwriting an sich war für uns alle glaube ich eine angenehme Überraschung. Und das hat mit den äußeren Umständen zu tun: Da alle anderen in Berlin, über 400km von mir entfernt wohnen, haben wir uns zum Songs machen immer wochenweise auf dem „Kulturgut Haus Nottbeck“ in Oelde eingemietet. Das ist gleich bei mir um die Ecke. Wir hatten dort jeder ein Zimmer, eine gemeinsame Küche und einen Saal, in dem wir rund um die Uhr proben konnten. Absolute Luxussituation. Wenn beispielsweise gegen 23Uhr eigentlich langsam Feierabend war und man sich gemeinsam einen Film anschaute, kam öfters mal jemand mit einer erstmal eher beknackt klingenden Idee an, die dann auch meist sofort ausprobiert wurde. Ich erinnere mich an eine Situation: Ich war kurz zu Hause gewesen, die Kinder ins Bett bringen. Als ich wieder in den Saal kam, saß Shredder am Schlagzeug und spielte einen etwas eckig klingenden, aber irgendwie hypnotischen Beat. Wir haben das aufgegriffen, und so entstand der Song „Wie Kamelle raus“, der auch auf dem Album ist. Mehrere Songs des Albums sind so oder auf ähnliche Weise entstanden.

 

Apropos missratene Welt, dass ihr von je her eine politische und gesellschaftskritische Band seid, ist ja hinlänglich bekannt. Wie sehr haben die aktuellen Ereignisse um euch/uns herum Einfluss auf die Songs bzw. auf die Texte?

Das finde ich eine super Frage, weil mir darauf sofort die Entstehung des Songs „Nottbeck City Limits“ einfällt. Wir waren da auf unserem Gutshof ja ziemlich abgeschottet von der Außenwelt und haben gar nicht so wahrgenommen, dass wir uns schon sehr in unserer eigenen Blase bewegten. Jedenfalls fielen Nagel eines morgens beim Joggen die mit Menschen vollgepfropften Kleintransporter auf, die hier über die Landstraßen düsen. Das waren Arbeiter und Arbeiterinnen, die bei Tönnies beschäftigt sind. Das ist eine Mega-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück, also höchstens 10km von unserem Luxus-Musikschloss entfernt. Nagel hat sich dann ziemlich reingehängt in das Thema, und so entstand eben dieser Song. Politisches Songwriting aus erster Hand sozusagen.

Ja genau, man muss sich nur „Nottbeck City Limits“ anschauen! Ich bin total begeistert, wie ihr es wieder einmal geschafft habt Missstände punktgenau zu benennen, ohne jedoch zu plakativ und mit öffentlich erhobenem Zeigefinger daher zu kommen – so habt ihr euch schon immer ein wenig von anderen Bands aus dem Punk-Genre unterschieden, oder?!

Die Texte sind ja eher Nagels Gebiet, auch wenn er uns immer einigermaßen erfolglos anspornt, selbst mal was zu schreiben. Und ja, ich stimme dir zu. Und diese Genauigkeit gilt bei uns nicht nur für explizit politische Texte. Außerdem lobe ich mich ja nicht direkt selbst, wenn ich behaupte, dass es vielleicht eine Handvoll deutsche Bands gibt, die diese Art Texte schreibt.

Womit wir gleich bei der Frage sind, ob das den alles überhaupt noch Punkrock ist. „Bei Aller Liebe“ kommt mir sehr entspannt und ausgewogen vor… quasi mit dem Gefühl, dass ihr musikalisch erwachsen geworden seid und niemandem mehr beweisen müsst, dass ihr noch die coolen Punks früherer Zeiten seid. Oder wie siehst du das? Ich meine man bleibt ja im Herzen immer irgendwie Punk, aber ich finde dass man ab einem gewissen Alter dann auch eine Teil seiner Glaubwürdigkeit verliert, wenn man auf der Stelle stehen bleibt und in der Vergangenheit gefangen ist – nicht umsonst rennen die Toten Hosen oder Die Ärzte nicht mehr mit bunten Klamotten rum und singen „Eisgekühlter Bommerlunder“, von Geschlechtsverkehr im „Hofgarten“, oder „Dem lustigen Astronaut“.

Abgesehen davon, dass ich „Der lustige Astronaut“ für ein Meisterwerk halte, stimme ich dir zu. Ich hatte ja vorhin schon erwähnt, dass es unser Antrieb war, Musik zu machen, die uns genau jetzt interessiert und anschockt. Das war 1997 so und heute ist es genauso. Das hat ja was mit Selbstermächtigung zu tun und logisch ist das dann Punk – Punkt!

 

Ich schweife ab… nochmal zurück zum neuen Album. Wie sehr habt ihr euch in den letzten Jahren als Sklaven der Gesellschaft gefühlt? Ich meine “Ich will nicht mehr mein Sklave sein” ist ja wohl eine klare Ansage, dass man endlich den fremden (aber auch eigenen) Zwängen entfliehen sollte, oder?

Siehe „Billy Idol – dancing with myself“

Wie sehr war eigentlich euer neuer Gitarrist Felix in die Entwicklung der Songs eingebunden und wie kam es überhaupt zu dem Besetzungswechsel, nachdem Dennis ja nun schon beinahe seit der Gründung von Muff Potter dabei gewesen ist?

Als Felix einstieg, waren die Gerüste der meisten Songs fertig. Der einzige Song, der komplett neu mit ihm entstanden ist, war „Flitter&Tand“. Was den Besetzungswechsel angeht, finde ich das natürlich einerseits schade, weil wir ja auch einfach einen nicht kleinen Teil unserer Leben mit Dennis verbracht haben. Auf der anderen Seite ist es aber auch nichts irgendwie ungewöhnliches, dass es in einer Band Besetzungswechsel gibt, gerade nach so vielen Jahren. Was weitere Details angeht, werden Dennis und wir uns in Schweigen hüllen, das haben wir so vereinbart.

 

Das Album steht nun schon fast im Regal, die Tour-Daten stehen ebenfalls fest… auf wen freut ihr euch jetzt bei den nun anstehenden Gigs ganz besonders? Und wenn ihr es euch aussuchen dürftet, mit wem bzw. welcher Band würdet ihr auf jeden Fall irgendwann gerne noch auf, neben oder hinter der Bühne stehen?

Natürlich freuen wir uns erstmal auf die Bands, die bereit waren, uns zu begleiten. Haben wir uns ja so ausgesucht, und fast alle, die wir angefragt haben, hatten Zeit. Und Bock. Außerdem freuen wir uns auf Oliver Falkenberg. Ich persönlich würde gern mal mit den Pixies auf der Bühne stehen. Oder The Cure. Aber nur wenn ich dann bei „Where is my mind“ trommeln dürfte. Oder bei „Jumping someone else`s train“.

 

Möchtest du unseren Leser:innen noch etwas mit auf den Weg geben?

Lieber nicht.

 

Dann bedanke ich mich sehr für deine Zeit und freue mich schon darauf, euch schnell wieder auf der Bühne zu sehen – mein letztes Konzert war nämlich damals auf der Abschiedstour im FZW in Dortmund… und das ist ja bekanntlich schon ein paar Tage her.

 

Titel:
1. Killer
2. Ich will nicht mehr mein Sklave sein
3. Flitter & Tand
4. Ein gestohlener Tag
5. Wie Kamelle raus
6. Hammerschläge, Hinterköpfe
7. Privat
8. Der einzige Grund aus dem Haus zu gehen
9. Nottbeck City Limits
10. Schöne Tage

 

Titelbild: Bastian Bochinski

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