Devin Townsend

Das Yin und Yang von Devin Townsend: „Ocean Machine: Biomech“ und „City“ (HevyDevy Records und Century Media, 1997)

Es war 1993 und der heranwachsende Rezensent lauschte im Radio dem kultigen Tiroler Rocksender M1. Damals ahnte er noch nicht, dass der Knabe der Frickelmeister Steve Vais erstes Gesangsalbum „Sex & Religion“ stimmlich veredelte, seine Musikwelt etwas auf den Kopf stellen sollte. „In my dreams with you“ hieß der gehörte Song, dessen Stimme einem nicht mehr aus dem Kopf ging. Der Name des jungen Sängers: Devin Townsend.

So richtig kreuzte der Kanadier allerdings erst später meine Wege. Er hinterließ dafür umso stärkere Spuren. Und das gleich auf zwei verschiedene Arten. Ähnlich wie der Mann viele Jahre unter einer bipolaren Störung litt, war auch seine Musik: auf der einen Seite manisch und laut, auf der anderen Seite gefasst, atmosphärisch, aber auch groß. Um beides auszudrücken hatte Townsend zwei Vehikel. Zum einen den Industrial-Metal-Bastard Strapping Young Lad und zum anderen sein progressives Soloprojekt.

Mit beiden veröffentlichte Devin Townsend 1997 zwei Meilensteine seines eigenen Schaffens. „City“ von Strapping Yound Lad und „Ocean Machine: Biomech“.

 

Strapping Young Lad
Strapping Young Lad

Während Strapping Young Lad auf ihrem 1995 veröffentlichten, teils recht schwer zu genießendem Debüt „Heavy as a real heavy thing“ noch ein loser Musikerverbund waren, hatte Townsend mittlerweile eine richtige Band um sich geschart. Bis zur endgültigen Auflösung vor ein paar Jahren waren das Gitarrist Jed Simon, Basser Byron Stroud und Drum-Tier Gene Hoglan, einer der besten seines Fachs im extremen Metalbereich, was er schon mit Größen wie Dark Angel und Death unter Beweis stellte.

Das richtige Team für einen ordentlichen Abriss war also beisammen. „City“ ist nämlich vor allem eines: radikal. Strapping Young Lad spielen brutalen Sound an der Schnittstelle zwischen Thrash, Industrial und auch Death Metal. Die Gitarren sägen gnadenlos, Samples und elektronische Einwürfe sorgen für ein kaltes, maschinelles Flair und die donnernden Drums bringen alles zum Einsturz. Dazu fehlt nur noch der manische Gesang von Townsend, der in seinen teils fragmenthaften Texten all seinen Hass rauslässt. Er brüllt, keift, wimmert und er singt auch. Und das mit einer Leidenschaft und Power, die mitreißt. „No one fucks with me!“ kotzt er in „AAA“ aus sich heraus. Und das mit einer selten zu hörenden Inbrunst.

Strapping Young Lad - CityDen Rest besorgen die Songs, bei denen sich die Band selbst bis ans Limit treibt. „Oh my fucking god“, „Home Nucleonics“ oder auch „Underneath the waves“ sind Abrissbirnen, die nur noch verbrannte Erde zurück lassen. Und trotz aller Brutalität sind sie noch äußerst eingängig und geizen nicht mit der einen oder anderen feinen (Gesangs-)Melodie, was Strapping Young Lad von der Konkurrenz unterscheidet. Ja, das Album hat nämlich jede Menge Hits zu bieten. Eigentlich befindet sich sogar kein Ausfall auf „City“. Das Cover von Cop Shoot Cops „Room 429“ mit seiner etwas gruseligen Stimmung und der Post-Industrial-Doom der Abschlussnummer „Spirituality“ fallen vielleicht etwas aus der Reihe. Aber das ist allemal ein angenehmer Kontrast. Ansonsten haben wir es hier mit 40 Minuten purem Wahnsinn, reiner Zerstörung zu tun. Wer sich hierauf richtig einlässt, kommt geläutert aus der ganzen Sache heraus. Ein richtiger Klassiker zum Abreagieren, dessen Intensität die Band und Townsend selbst später nicht mehr ganz erreichten.

Trackliste „City”:
1. Velvet Kevorkian
2. All Hail the New Flesh
3. Oh My Fucking God
4. Detox
5. Home Nucleonics
6. AAA
7. Underneath the Waves
8. Room 429
9. Spirituality

 

Devin Townsend 1997
Devin Townsend 1997

„Ocean Machine: Biomech“, das erste quasi Soloalbum Townsends, ist ganz anders gelagert und verhält sich wie das weiße Yang zum schwarzen Yin. Metal ist auch dieses Album. Allerdings verortet man es eher im progressiven Bereich, als im extremen. Der Sound war damals ungewöhnlich. Der Kanadier ist diesem aber bis heute größtenteils treu geblieben. Harte Metalsounds mischen sich mit kühlen, futuristischen Tönen, die komischerweise aber nach wie vor warm klingen. Dabei fabriziert Townsend eine „Wall of Sound“, die den Hörer regelrecht einhüllt und in einen riesigen Saal beamt. Overdub- und Chorgesänge, Hall- und Delayeffekte sowie wabernde Synthiesounds sorgen für schon fast orchesterhaften Klang.

Und doch ist die Musik von „Ocean Machine“ angenehm bodenständig. Gerade die erste Hälfte der rund 74-minütigen Platte zeigt sich relativ geradlinig und eingängig. Das schleifend eingroovende „Seventh Wave“ verbreitet trotz Heavyness ein heimeliges Gefühl und wirft bereits mit hymnischen Melodielinien um sich. Mit „Life“ zeigt Devin Townsend, dass er auch richtige, eingängige Hits schreiben kann, wenn er möchte. „Night“ und „Hide nowhere“ sind spannende, eigenwillige Metalsongs.

Devin Townsend - Ocean MachineDoch mit den beiden kürzeren Titeln „Sister“ und „3 A.M“ setzt eine Wandlung ein. Es wird immer ausgedehnter und experimenteller. „Regulator“ gibt sich noch kurz aufgewühlt und aggressiv. Doch das überlange Trio „Funeral“, „Bastard“ und „The death of music“ entführt einen endgültig in eine andere Welt. Das klingt dann wahlweise wie eine Science-Fiction-Version von Pink Floyd oder tief melancholisch. Gerade das mit einer Sample-Kollage untermalte, leidenschaftlich gesungene „The Death of Music“ führt den Hörer sehr weit hinaus. Da ist es nur gut, dass einen die versöhnliche Ballade „Thing beyond things“ (die ganz am Ende eine Überraschung bereit hält) noch einmal erdet, bevor einen Devin Townsend endgültig in die Nacht entlässt.

Das Album malt einem Bilder an die geistige Wand, die nicht mehr so schnell loslassen. „It’s the grey days that I’ll remember the most, it’s the grey times in the water, before morning”, singt der Kanadier in „Voices in the fan”. So klingt das Album auch irgendwie. Ein echter Meilenstein in Sachen moderner, alternativer Progressive Metal. Hiermit hat Devin Townsend nebenbei auch eine ganz eigene Nische in der Musikwelt gefunden, von der aus er seine Fans bis heute unterhält.

„Expect the unexpected“ ist das Motto, wenn es um die Musik von Devin Townsend geht!

Trackliste „Ocean Machine”:
1. Seventh Wave
2. Life
3. Night
4. Hide Nowhere
5. Sister
6. 3 A.M.
7. Voices in the Fan
8. Greetings
9. Regulator
10. Funeral
11. Bastard (Not One of My Better Days / The Girl from Blue City)
12. The Death of Music
13. Thing Beyond Things