Die Ärzte – Debil (CBS Records, 1984)

Es ist mal wieder Classics-Zeit und beim Durchforsten aller Rubrik-Beiträge ist mir aufgefallen, dass wir doch tatsächlich bisher (außer einer Rezi zum neuen Album „Hell“) noch nichts von der besten Band der Welt in unserem Fundus haben.

Also geht’s heute gut 35 Jahre zurück – nämlich in die Zeit, als ich bis dato noch keine wirkliche Berührungen mit Punks als solches, und der Musik im Speziellen aufweisen konnte. Damals lief im Radio regelmäßig Mal Sondocks Hitparade im WDR, so dass mir Songs wie „Send me an Angel“ von Real Life oder „The Wild Boys“ von Duran Duran näher waren, als zum Beispiel „Wehende Fahnen“ von den Toten Hosen, „God save the Queen“ von den Sex Pistols oder „London Calling“ von The Clash. Gelinde gesagt, hatte ich mit schlanken 12 Jahren und am Rande des Sauerlands lebend einfach noch nichts von Punkrock gehört, welcher mich irgendwann wie ein Schlag traf und mein Leben seitdem nachhaltig (nicht nur aus musikalischer Sicht) beeinflusst hat.

Eines schönen Nachmittags saß ich im Zimmer meiner (leider im letzten Jahr verstorbenen) Cousine und es blitzte mich diese weiße Schallplatte an, auf deren Cover drei schräge und durchaus grenzdebil aussehende junge Männer zu finden waren. Ey, was hatten die mit ihren Haaren gemacht? Klar, Dead Or Alive sahen ähnlich toupiert aus, aber die kamen ja schließlich aus England – und das war für mich ja schon von jeher der Inbegriff von Verrücktheit.

Und das sollten jetzt singende Mediziner sein? Konnte ich mir kaum vorstellen!

Es war klar, dass ich diese Scheibe nicht ungehört zurücklassen konnte. Ich meine, ich hätte mir das Album damals ausgeliehen und dann zuhause zum ersten Mal auf den Plattenteller geschmissen – es kann aber auch sein, dass ich „Debil“ bereits vor Ort gehört habe und dann nicht mehr vergessen konnte.

Denn nachdem mich der „Ärzte-Theme“ noch ein wenig irritiert zurückgelassen hatte, war ich bei „Scheißtyp“ direkt hin und weg – okay, das sind also Die Ärzte… aus Berlin!

Allerspätestens bei „Paul“ dem Bademeister konnte ich mich nicht mehr retten und ich fand mich massiv grinsend vor der Lautsprecherbox wieder. So etwas hatte ich vorher noch nicht gehört, so viel durchgeknalltes Zeug auf einer Platte. Ich meine, man höre sich doch einfach mal „Frank’n’stein“ oder „El Cattivo“ an… das war für mich damals eine absolute Offenbarung.

Komplett verstört war ich jedoch, als das letzte Lied der „Jungsseite“ zu Ende war, denn mit „Claudia hat ’nen Schäferhund“ konnte ich lange Zeit nicht umgehen. Leute, es waren andere Zeiten… für unse Eltern waren die Knödel-Pornos samstagnachts auf RTL noch Teufelszeug und das Maß aller Dinge war es doch damals, wenn man mal im Otto-Katalog einen Blick auf die Unterwäscheseite erhaschen konnte – nicht wie heute, wo junge Heranwachsende sich auf diversen Internetplattformen alles, aber auch wirklich alles zu Gemüte führen können.

Naja, auf jeden Fall war „Claudia“ schon eine Sache für sich… nicht umsonst kam das Album gut drei Jahre später auf den Index und wurde erst 2004 wieder freigegeben und dazu ein Jahr später sogar als „Devil“ (mit zusätzlichem Material) veröffentlicht.

Da mein Kontakt zum weiblichen Geschlecht zum damaligen Zeitpunkt quasi nicht existent war, konnte ich mich dank Bela, Farin und Sahnie (der später vom bereits verstorbenen Hagen und 1993 von Rod ersetzt wurde) erstmals für „Mädchen“ begeistern, welches gleichzeitig die erste Nummer auf der sogenannten „Mädchenseite“ sein sollte.

Mr. Sexpistols“ riss mich dann zwar nicht vom Hocker, aber schon die Erwähnung des anstößigen Wortes mit den drei Buchstaben erzeugte bei mir ein klein wenig Kammerflimmern. Meine Güte, was waren wir damals doch verklemmt, oder?!

Gemeinsam mit „Micha“ ritt ich dann in den Sonnenuntergang und ließ mich auf der Country- und Calypso-Welle direkt weiter zum absoluten Mega-Hit der Ärzte tragen. Meine Fresse, wie oft habe ich „Zu spät“ schon gehört. Seitdem ich mich erinnern kann läuft die Nummer (bis heute) zu späterer Stunde auf Partys… und kaum einen Song feiern die Jungs und die Konzertmeute bei Live-Auftritten immer noch so hart ab.

Und womit? Mit Recht natürlich!

Und jetzt mal ehrlich, habt ihr nicht auch damals wegen „Roter Minirock“ immer mal einen heischenden Blick durch den Supermarkt gewagt? Also ich habe in den 80ern trotz intensiver Suche leider nie „das Mädchen von Kasse Vier“ gefunden.

Das „Schlaflied“ brachte dann erstens das große Finale… und auf der anderen Seite die eine oder andere schlaflose Nacht mit sich. Leute, ich war zwölf und Filme wie „Tanz der Teufel“ oder „Gesichter des Todes“ waren noch meilenweit von mir entfernt.

Auf jeden Fall ist mir von damals noch in Erinnerung geblieben, dass meine Eltern „Debil“ grauenhaft fanden, ich jedoch auf allen Wegen versucht habe, die LP irgendwo zu bekommen. Gelungen ist es mir glaube ich aber erst, als diese kleinen Silberlinge namens CD langsam die gute alte Schallplatte vom Markt verdrängte. Bis heute liegt selbige noch irgendwo rum, wurde aber mittlerweile durch Spotify ersetzt, auf welchem Die Ärzte seit einiger Zeit auch mit fast allen ihrer Alben vertreten sind.

Irgendwie ist mir auch während des Schreibens aufgefallen, dass eigentlich „Debil“ der Start meiner Punkrock-Affinität war und nicht (wie immer gedacht) die „Opel Gang“ von den Toten Hosen. Da beide Scheibe beinahe zeitgleich in mein Leben getreten sind, möchte ich mir selber diesen Fauxpas verzeihen… da sich beide Combos (gegen anders lautende Gerüchte) eh immer gegenseitig gemocht und respektiert haben, ist ja alles geritzt.

Im Gegensatz zu den Hosen, die ich während ihrer Karriere jedoch wegen fehlendem musikalischen Interesse für lange Jahre vernachlässigt habe, bin ich der besten Band der Welt eigentlich über die ganze Zeit treu geblieben – auch wenn nicht immer alles Gold war, was aus den Hand von Bela, Farin, Rod kam.

Und irgendwie sind die Berliner auch über 35 Jahre nach ihrem Debüt immer noch ihrem Motto treu geblieben, nämlich alles (trotz, oder gerade wegen dem oft unerträglichen Chaos um einen herum) mit Humor… und sich selbst immer noch am wenigsten ernst zu nehmen!

 

Jungsseite
Ärzte-Theme
Scheißtyp
Paul
Kamelralley
Frank’n’stein
El Cattivo
Claudia hat ’nen Schäferhund

Mädchenseite
Mädchen
Mr. Sexpistols
Micha
Zu spät
Roter Minirock
Schlaflied

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