Boysetsfire, Hot Water Music, Samiam und Be Well (Ruhrcongress Bochum, 07.10.2022)

Ein Konzertabend, der ganz im Zeichen der Vier steht: Vier großartige Bands, vier langjährige Veteranencombos (Be Well mag eine junge Band sein, ihre Mitglieder rekrutieren sich aber aus den legendären Reihen von Bands wie Battery oder Bane) und vier musikalische Volltreffer irgendwo zwischen Punk, Hardcore und Emo.

Eigentlich wollte ich mir dieses Gespann in Hannover anschauen. Da die Veranstaltung dort aber herunterverlegt wurde, war absolut kein Platz mehr zu ergattern. Ich bekam dafür noch einen Presseplatz für Bochum (lieben Dank an dieser Stelle) und entschied mich kurzerhand, die Autobahn in die andere Richtung zu fahren.

In Bochum erwartet mich genau das Gegenteil: Die Veranstaltung ist aus der Dortmunder Warsteiner Music Hall hochverlegt worden in den Ruhrcongress, der laut Betreiber bis zu 5000 Besuchern Stehplätze bietet. Ausverkauft ist es hier nun nicht, aber gut die Hälfte des gigantoiden Saals ist gefüllt. Es fühlt sich hier eher wie ein Indoor-Festival an und mit vier Bands gehen wir ja auch schon in eine etwaige Richtung.

Da Konzerte aber scheinbar nicht mehr bis Mitternacht oder später gehen (aber auch keine 22 Uhr-Curfew einhalten?), müssen wir bei diesem Riesenpaket natürlich früh mit der Show beginnen. Das führt dazu, dass ich nach kurzem Stau und einigen Baustellen (erst) um 19.10 Uhr an der Venue bin und damit schon die erste Band Be Well verpasst habe. Sehr schade, denn die sind schließlich zum ersten Mal auf dieser Seite des Teichs und ich hätte mir gern ein akustisches Bild verschafft. Ich bin aber optimistisch, dass sich die Gelegenheit noch einmal bieten wird.

Nachdem ich eingeschüchtert die schiere Größe des Saals zur Kenntnis genommen habe betreten meine Favoriten für den heutigen Abend die Bühne: Samiam. Und sie enttäuschen nicht. Die guten Herrschaften haben mittlerweile eine 34-jährige Bandgeschichte hinter sich und dürften damit die älteste Band des Abends sein. Ohne große Schnörkeleien, rührseelige Ansagen oder Publikumsanimation spielt das Quintett ein solides Set herunter mit einer Mischung aus ganz neuen Songs, die auf dem kommenden Album enthalten sein werden und Klassikern wie „She Found You“, „Dull“, „Capsized“ oder „Factory“. Für mich ist hier schon der Höhepunkt des Abends erreicht.

Als nächstes erklimmen Hot Water Music die riesige Bühne. Es tut gut, das Floridianische Quartett wieder live zu sehen, nachdem Gitarrist und Vocalist Chris Wollard aus medizinischen wie mentalgesundheitlichen Gründen nicht mehr auf Tour gehen kann und man mit Chris Cresswell – seines Zeichens Frontmann der Flatliners – nicht nur einen formidablen Ersatz, sondern vielmehr einen fünften Mann gefunden hat. Damit sind HWM wohl streng genommen auch ein Quintett.

Das Set setzt sich zum großen Teil aus neuen Songs des aktuellen Albums „Feel the Void“ und des Comeback-Albums „Exister“ zusammen, mit einem willkommenen Ausreißer in Form von „A Flight and a Crash“. Schade, dass die Jungs bei ihrer vergleichsweisen kurzen Spielzeit als Co-Headliner, gerade als die Stimmung so richtig anfängt zu kochen, zwei Akustiksongs ins Set einbauen – abwechselnd von Cresswell und nun de facto Bandleader Chuck Ragan vorgetragen. Diese Dynamik verstehen auch einige im Publikum nicht ganz und beide Songs werden mit lediglich höflichem Duldungsapplaus bedacht.

Dann schließen sich mit „Remedy“ und „Trusty Chords“ noch zwei heißersehnte Klassiker an, bis zum Abschluss des Sets mit „Turnstiles“ tatsächlich noch ein Song aus den 90ern folgt – das Publikum reagiert prompt und dankend mit einer spontanen Wall of Death. Viel zu schnell ist das Set der Melanchopunk-Legenden schon wieder vorbei, aber so ist das auf Co-Headlining-Touren.

Nun zum Finale des Abends: Boysetsfire betreten um 22 Uhr herum die Bühne und geben direkt ordentlich Gas. Obwohl die Jungs aus Delaware über die letzten drei Dekaden einige melodische und poppige Songs angesammelt haben, wird erst einmal ein Hardcore-Feuerwerk abgebrannt. Das gefällt, auch wenn der Sound irgendwie komisch ist. Bei den folgenden Ansagen entschuldigt sich Sänger Nathan Gray immer wieder, dass er sein eigenes Wort kaum verstehe und „alle in meinem Ohr“ sind – damit ist vermutlich das In-Ear-Monitoring-System gemeint.

Und was als Kuriosität beginnt, wird im Laufe des Sets zu einem echten Problem: Die Jungs scheinen keinen guten Monitor-Mix zu haben, hören sich gegenseitig entweder zu laut oder sich selbst gar nicht – kurzum: die Performance muss leider (vermutlich verständlich) darunter leiden. Gegen Ende des Sets fällt mir immer deutlicher auf, dass sowohl Bassist Robert Ehrenbrand als auch Rhythmus-Gitarrist Joshua Latshaw fast gar nicht zu hören sind. Das wirkt sich natürlich dramatisch auf den Sound aus.

Chad Istvans Leadgitarre ist hingegen sehr laut und prägnant, klingt aber leider furchtbar – ähnlich wie eine auf 16-bit runtergesamplete mp3-Datei aus Napster-Tagen. Ich habe so langsam die Funkanlage der Produktion in Verdacht: BSF spielen als einzige Band des Abends mit Funkempfängern an den Instrumenten und da scheint irgendetwas entweder falsch eingestellt oder von Funkstörungen betroffen zu sein – so weit jedenfalls die Laienanalyse.

Das ist wirklich schade, denn an Spielfreude mangelt es der Band keineswegs. Die Jungs wirken spielfreudig und energetisch; auch das Set ist eine gelungene Mischung aus Klassikern wie „After the Eulogy“ und „Rookie“ oder neueren Songs wie „One Match“. Nur für mich zündet das ganze mit zwei Instrumenten weniger und einer Atari-Gitarre nicht. Und das ist jammerschade, denn es hätte ein wahres Feuerwerkfinale werden können, das so nun eher als Rohrkrepierer endet.

Den Bands kann man es nicht zum Vorwurf machen. Zwar nerven das Matinée-hafte, das Anreisende zu noch knapperer Zeitplanung zwingt, und die geringen Spielzeiten der Co-Headliner aber das bedingt die Situation und nicht die Bands. Auch für gräulichen Sound können die Bands selbst zumeist wenig und an Einsatz hat es sicher nicht gemangelt.

Das nächste Mal vielleicht vorher einen vernünftigen Soundcheck machen und keine Gigantohallen mit Punkbands bestücken oder hochverlegen – das würde einer Veranstaltung wie dieser sicherlich zugute reichen.