Mogwai – Atomic (PIAS, 01.04.2016)

Und jetzt, Postrock-Memorial-Day (mir ist immer noch nichts Besseres eingefallen), die Dritte. Nach Hammock und Explosions In The Sky schaffe ich es nun endlich, etwas über die neue Platte von Mogwai zu schreiben. Die Schotten hatten mit „Central Belters“ erst vor kurzem eine gigantische Retrospektive ihres bisherigen Schaffens veröffentlicht. Nichtsdestotrotz kommt nun mit „Atomic“ neues Material von den altgedienten Postrockrecken aus dem zentralen Gürtel Schottlands.

Anzumerken sei sicherlich, dass es sich bei diesem Werk nicht um ein gewöhnliches Studioalbum handelt. „Atomic“ ist nämlich der Soundtrack zur gleichnamigen BBC-Dokumentation, die sich, wie der Name unschwer erraten lässt, um das Atomzeitalter mit all seinen Themenbereichen dreht. Mogwai haben gezielt für die Filmemacher der BBC Musik geschrieben. Soundtrackarbeit ist für das Glasgower Quintett dabei kein Neuland. Schon in der Vergangenheit lieferten die Schotten Musik für visuelles Material. Zum Beispiel in Form des Soundtracks zur Biografie-Doku „Zidane: A 21st Century Portrait“ oder zuletzt vor 4 Jahren mit dem Soundtrack zur französischen Mystery-Drama-Serie „Les Revenants“.

Nun kehren Mogwai wieder zurück zum Dokumentations-Format und liefern auf „Atomic“ 10 Stücke, die die verschiedenen Facetten der atomaren Gesellschaft, in der wir leben, beleuchten. Das erste und letzte Stück behalten dabei einen sehr organischen Charakter, ebenso das von Streichern geprägte “Are You A Dancer”. Die verbleibenden Tracks sind stark von Synthesizer-Sounds dominiert. Und das funktioniert sofort. Die Klangfarben des Synthesizers, die künstlichen, oszillierenden Flächen, sie scheinen die Thematik perfekt zu repräsentieren. Das liegt vielleicht an einer kulturell erlernten Assoziation. Nicht umsonst überlagert sich der Zeitpunkt des Einzugs von Synthesizern in die Musikwelt, mit dem immer prävalenter werdenden Diskurs von Atomenergie und ihren Risiken für unsere Gesellschaft. Auch wenn die Entdeckung radioaktiver Elemente natürlich wesentlich weiter zurück liegt.

Vielleicht kommt die Assoziation auch durch die bliependen und blubbernden Bit-Sounds derjenigen Computerspiele der 80er- und frühen 90er-Jahre zustande, die sich mit postapokalyptisch, -nuklearen Konzepten auseinandersetzten. Eine wirklich schlüssige Erklärung, warum der gewählte Synthie-Sound so hervorragend zur inhaltlichen Thematik passt, fällt mir aber schwer zu geben. Es fühlt sich einfach authentisch an. Besonders im bedrückenden „Bitterness Centrifuge“, dessen unheimliche, bedrohliche Klangflächen vielleicht sogar Kraftwerk stolz gemacht hätten. Warum genau…ich weiß es doch auch nicht.

Mogwai beschäftigen sich mit unterschiedlichen Facetten innerhalb der Atom-Thematik. Da wäre mit „SCRAM“ der Bezug zum Runterfahren eines Reaktors in Notfallsituationen, mit „U-235“ das akustische Porträt eines der wichtigsten, radioaktiven Isotope für die Kernenergie oder mit dem trostlosen „Pripyat“ die Vertonung der Ukrainischen Geisterstadt nahe Tschernobyl, wo sich 1986 eine der größten Reaktorkatastrophen überhaupt ereignete.

Aber neben Kernenergie, radioaktiven Isotopen und Elementen oder verstrahlten Geisterstädten, beschäftigen sich die fünf Schotten natürlich auch mit einem der schrecklichsten Nutzungsarten der Kernspaltung: Der Einsatz als Kriegswaffe. Die beiden abgeworfenen Atomsprengkörper über Hiroshima und Nagasaki bekommen mit „Little Boy“ und „Fat Man“ jeweils ein eigenes Stück gewidmet. Besonders zynisch ist Letzteres: Eine geradezu wunderschöne, friedvolle und dennoch traurige Pianoballade trägt den Namen einer Atomwaffe, die Millionen Japaner das Leben kostete und eine neue Dimension von Schrecken schuf. An diesem Punkt dürfte auch der Letzte begriffen haben, worum es Mogwai geht: Aufzuzeigen, dass es Dinge gibt, von denen wir Menschen die Finger lassen sollten.

Das einzige Problem, mit dem „Atomic“ zu kämpfen hat: Es ist als veröffentlichtes Album losgelöst vom visuellen Material der BBC-Doku und verliert sein synästhetisches Potential. Dieses Problem hat jeder Soundtrack, sobald er alleine, ohne die dazugehörigen Bilder rezipiert wird. Da die Schotten den Soundtrack jedoch als Musikalbum veröffentlichen, müssen sie sich diesem Kritikpunkt stellen.

Nichtsdestotrotz gelingt Mogwai mit der durchweg bedrückenden Stimmung auf „Atomic“ die akustische Darstellung dessen, was uns schon Albert Einstein mit seinem berühmten Zitat über eine triste Epoche, in der es einfacher ist, ein Atom zu spalten als ein Vorurteil, sagen wollte.

Mogwai - Atomic

1.   Ether
2.   SCRAM
3.   Bitterness Centrifuge
4.   U-235
5.   Pripyat
6.   Weak Force
7.   Little Boy
8.   Are You A Dancer
9.   Tzar
10. Fat Man

4.4