Interview – “Wenn wir eins in unserer Bandgeschichte gelernt haben, dann ist es: Keine Aussagen zur Zukunft zu machen!” – mit ITCHY

Vor einem Monat haben die Jungs von ITCHY uns ihr neues Tour-Tagebuch vor die Füße geschmissen, welches im Moment überall begeistert gelesen wird. Grund genug, dass wir die drei Eislinger Mal zu ihrem neuen Machwerk befragen, oder?!

Hier also unser Interview mit Panzer, Sibbi und Max

 

Ein entspanntes Moin aus dem Norden in den mediterranen Süden der Republik – und vielen Dank vorab, dass ihr euch Zeit für uns nehmt!

Panzer: Total gerne! Schön, dass ihr uns Fragen stellt. Wir werden versuchen, so viel wie möglich richtig zu beantworten.

Vor ungefähr genau einem Monat habt ihr euer zweites Buch „20 Years Down The Road – How To Survive As A Rock Band II“ auf den Markt geschmissen. Das gute Stück ist ja aktuell quasi in Aller Händen – wie zufrieden seid ihr mit der bisherigen Resonanz?

Sibbi: Sehr sehr zufrieden. Wie schon bei unserem ersten Buch 2015 ist das Feedback wirklich super. Nach über einem halben Jahr Arbeit an dem Buch ist das natürlich umso schöner für uns.

Panzer: Ich hab bisher wirklich keine einzige negative Rezension gelesen und das bedeutet ja entweder, dass die Leute krass anspruchslos sind, oder eben, dass wir wirklich ein tolles Ding abgeliefert haben, bei dem sich all der Aufwand und die Mühe gelohnt hat. Lasst uns doch mal von letzterem ausgehen. Fühlt sich einfach besser an.

Für alle Unwissenden, worum geht es eigentlich… wie würdet ihr den Inhalt in kurzen, knappen Worten beschreiben wollen?

Panzer: „20 Years Down The Road“ ist eine Biographie über drei Freunde aus der schwäbischen Provinz, die es mit viel Aufopferung, Willen, Spaß und auch etwas Glück geschafft haben, sich von einer Jugendhaus-Punkband mit Auftritten vor 8 zahlenden Gästen, über mittlerweile fast 1000 Konzerte in ganz Europa, bis auf die Main-Stages der großen Festivals zu spielen. Unsere Karriere ist, objektiv betrachtet, wirklich eine einzige skurrile Achterbahnfahrt: Von extrem schönen und erfolgreichen Momenten zu den katastrophalsten und peinlichsten Szenen, die man sich nur vorstellen kann. Das besondere an unserem Buch ist: Wir haben die schlimmen und uncoolen Stellen nicht einfach weggelassen, um uns selbst möglichst positiv darzustellen, sondern sie schonungslos aufgearbeitet und bemerkenswert anschaulich und detailliert mit in die Biographie gepackt. Wir sind eben keine perfekte Band und wenn nicht ständig irgendeine Scheiße bei uns passieren würde, wäre es in den letzten 20 Jahren auch deutlich langweiliger gewesen und wir hätten viel weniger zu lachen gehabt. Weiteres Highlight des Buches ist, dass wir seit unserer allerersten Show im Jahr 2001 penibel Konzert-Tagebuch führen und aus diesem Tagebuch haben es auch zahlreiche absurde Ausschnitte in den Schmöker geschafft. Dazu gibt es noch extrem viele grenzwertige Fotos, fragwürdige Zeitungsausschnitte und Gastkommentare von befreundeten Weggefährten wie den Donots, Madsen, Montreal, Jennifer Weist, Blackout Problems, Dritte Wahl, Emil Bulls, Tim Vantol und und und.

 

Wer von euch ist denn auf die Idee gekommen so schnell ein weiteres Buch zu schreiben – ich meine die Veröffentlichung von „How To Survive As A Rock Band“ ist ja schließlich auch erst sechs Jahre her.

Sibbi: Irgendwann letzten Sommer stand plötzlich die Frage im Raum, ob wir zum 20-jährigen Jubiläum nicht ein zweites Buch schreiben sollen. Daraufhin hat sich Panzer hingesetzt und mal geschaut, ob wir überhaupt genügend Material dafür haben, weil das erste Buch ja wie gesagt noch gar nicht sooo alt ist. Er kam dann aber ziemlich schnell zurück und hat eingesehen, dass wir vermutlich auch noch 5 Bücher schreiben könnten, weil in zwei Jahrzehnten kamen schon das ein oder andere Erlebnis zusammen, über das wir berichten können.

Ich habe das Buch quasi gefressen und gefühlt auf jeder Seite geschmunzelt. Jetzt mal unter uns, gab es auch Tour-Geschichten die ihr verschwiegen habt – bei denen ihr im Nachlauf vielleicht Stress mit anderen Bands oder ähnliches bekommen hättet?

Sibbi: Aber ganz sicher (lacht). Nicht nur Bands, auch Veranstalter, Besucher, Polizisten etc. haben wir aus Selbstschutz raus gelassen. Wobei, eigentlich hätten wir aus Selbstschutz ja eher die ganzen Stellen raus lassen müssen, in denen wir selbst uns in die Nesseln gesetzt haben. Naja, beim nächsten Buch dann.

 

Apropos andere Bands… ihr beschreibt ja das freundschaftliche Verhältnis zu diversen Bands, aber ganz besonders verbunden seid ihr mit den DONOTS. Wie oft kneift ihr euch noch gegenseitig, wenn ihr daran denkt, dass ihr es (laut Buch) dem liebenswürdigen Haufen alternder Punks (sorry Ingo, du weißt wie ich das meine 😉 ) aus Ibbenbüren zu verdanken habt, dass ihr heute vor tausenden begeisterten Fans spielt und vor zwanzig Jahren euer Hobby zum beneidenswerten Beruf gemacht habt?

Panzer: Sibbi und ich waren schon im Jahr 1999 gemeinsam auf mehreren Donots-Shows, haben das damalige Album „Better days not included“ in Dauerschleife gehört, uns bei den Konzerten durch den Pit geworfen und haben uns dann nach und nach auch mit Ingo und den Jungs angefreundet. Als wir dann zwei Jahre später ITCHY ins Leben gerufen haben, wollten wir unbedingt auch zusammen auf der Bühne stehen und mittlerweile sehen wir uns schönerweise seit 20 Jahren immer wieder auf den unterschiedlichsten Festivals oder spielen sonstige Shows gemeinsam. Es ist halt auch hart, wie nett die alle sind: Als wir auf deren „25 Jahre Donots“-Geburtstagsshows mitgezockt haben, ist die ganze (!) Band vor unserem Auftritt auf die Bühne um uns anzusagen. Gut – Dass Guido uns mit den Worten „Jetzt kommen, glaub ich, 4-5 Jungs aus Bayern – viel Spaß mit Itchy“ auf die Bühne geschickt hat, war ein bisschen schade, aber so sind wir immerhin tränenlachend auf die Bühne gestolpert.

Jetzt waren wir ja alle in den letzten 1 ½ Jahren ans Bett bzw. die eigenen vier Wände gefesselt. Ihr selbst seid aber alles andere als unkreativ gewesen – schaut man sich nur das Solo-Album von Sibbi und nun euer neues Buch an. War das Ganze der Pandemie geschuldet, oder lagen die Pläne schon länger in der Schublade?

Sibbi: Tatsächlich war da schon etwas die Pandemie Schuld. Mein Solo-Album hätte es in dieser Form sicherlich nicht gegeben, zumindest nicht in der Zeit. Und das Buch, gute Frage. Vermutlich wären wir ohne Pandemie so damit beschäftigt gewesen, Tourneen und Festivals zu spielen, dass für ein so umfangreiches Buch gar keine Zeit gewesen wäre. Man muss einfach kreativ bleiben, die Dinge so nehmen wie sie kommen und das Beste daraus machen.

 

Wie habt ihr als Profi-Musiker ansonsten die letzten Monate erlebt bzw. überstanden – nachdem die Tour zum gerade erst veröffentlichten Album „Ja als ob“ weitestgehend ausfiel und das „Auf dem Gitarrenkoffer Crowdsurfen“ ja somit ebenfalls ins Wasser gefallen war?

Panzer: Also da kann man natürlich viel um den heißen Brei rum reden, aber das war schon einfach echt Scheiße. Wir waren ja grade dabei mit dem neuen Album, einer gut verkauften Tour und einer schicken Festival-Saison durch zu starten und dann auf einmal nur noch zu Hause sitzen zu müssen und Schach zu spielen, war einfach extrem fies. Aber im Endeffekt gab es dadurch jetzt eben so Sachen wie Sibbis Solo-Album und unsere Biographie und wir freuen uns einfach unglaublich drauf, die Tour dann bald mit doppelter und dreifacher Power nachzuholen.

Von Regierungs-Seite wurde meiner Meinung nach alles was mit Kunst- und Kultur in Verbindung stand, sträflich vernachlässigt – fühlt ihr euch als Künstler in irgendeiner Art und Weise ernst genommen bzw. für das wert geschätzt was ihr tut? Wenn es gut läuft, dann wird schnell die Hand aufgehalten… aber viel kam da ja jetzt nicht wirklich zurück, oder?

Panzer: Unterstützung gab es teilweise schon, aber das ist natürlich alles eher ein Tropfen auf den heißen Stein und die Hilfen wurden leider auch sehr ungleich und teils fragwürdig verteilt. Zeitweise hatte man schon das Gefühl, dass eine unfassbar riesige Branche einfach vergessen wird und es als selbstverständlich angesehen wird, dass Kunst & Kultur halt einfach immer automatisch da ist und von alleine weiter existiert. Es ist fatal, wie viele Menschen aus der Veranstaltungsbranche in Not geraten sind und bis heute nicht wieder normal arbeiten können. – Wir können nur an alle Leute appellieren, sich so schnell wie möglich impfen zu lassen, damit wir irgendwann endlich wieder das tun können was wir am liebsten tun und ohne Einschränkungen leben können. – Wenn ich jetzt aber schon wieder lese, dass extrem viele Leute ihre Zweitimpfung einfach verfallen lassen, fasse ich mir einfach nur noch fassungslos an den Kopf…

 

Viele Leute aus der Branche haben zuletzt gezwungenermaßen umgesattelt und haben ihre Instrumente (hoffentlich nur vorübergehend) an den Nagel gehangen, um z.B. in der Pflege oder im Logistik-Bereich das Geld für die Miete zu erarbeiten. Wurde es bei euch auch eng bzw. wann wäre der Moment eingetreten, dass ihr euch hättet umorientieren müssen?

Sibbi: Gott sei Dank sind wir beispielhafte Schwaben und sind mit unserem Geld gut umgegangen (lacht). Aber klar, ewig wäre es nicht weiter gegangen. Und von seinen Reserven auf dem Bandkonto zu leben ist ja auch nicht Sinn der Sache. Aber vielleicht kommt es unserer Branche zu Gute, dass wir alle eh nicht so die Typen sind, die auf großem Fuß leben. Die meisten sind auch mit wenig zufrieden und freuen sich einfach, ihr Hobby zum Beruf gemacht zu haben.

Ihr setzt euch ja schon seit längerer Zeit für den Klimaschutz ein – schaut man sich die Nummer “Tut uns leid” an, dann bezieht ihr ja klar Stellung und kooperiert schon seit längerer Zeit mit Umweltorganisationen, wie z.B. Greenpeace. Sollten sich nicht eigentlich viel mehr Künstler:innen und Personen aus der Öffentlichkeit im Umwelt- und/oder Sozial-Bereich engagieren? Wie kam es bei euch zu der Idee und der Zusammenarbeit?

Sibbi: Also generell bleibt es natürlich jedem Künstler selbst überlassen, ob oder inwiefern er oder sie sich engagiert. Bei uns ist es einfach so, dass uns bestimmte Dinge, Missstände auf dieser Welt einfach als Personen interessieren bzw. aufwühlen, so dass wir eh das Bedürfnis haben, etwas dagegen zu tun. Und da kommt es natürlich gelegen, dass wir durch die Band ein paar mehr Leute erreichen können, als nur als Privatperson. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Organisationen passiert mal so und mal so. Es kann sein, dass wir angesprochen werden und uns ein Thema oder eine Kampagne sehr überzeugen. Manchmal gehen wir aber auch auf NGOs zu, um uns gezielt mit ihnen zusammen für eine Sache stark zu machen. Am wichtigsten ist es, dass wir da mit Herzblut dabei sind, dann kann man auch tatsächlich Dinge erreichen.

Panzer: Schön zu sehen ist, dass auch unser Publikum extrem engagiert ist und immer gerne mit anpackt und unterstützt wenn wir eine Sache in Angriff nehmen. Dafür sind wir echt dankbar.

Schaut man sich überall um, dann hat man doch den Eindruck, dass es bereits 5 nach 12 ist und man in bestimmten Bereichen die Uhr nicht mehr zurück drehen kann – was muss passieren, dass wir den Kram nicht in den nächsten Jahren komplett an die Wand fahren?

Panzer: Zu der Frage müssten wir wahrscheinlich nochmal ein komplettes Interview führen, weil die Thematik natürlich sehr komplex ist. Für uns ist klar, dass sich jeder Mensch als Einzelperson konstant hinterfragen muss, wie er oder sie lebt und was man machen kann, um die individuellen Auswirkungen auf die Umwelt zu verbessern. Das fängt ja bei absoluten Kleinigkeiten an: Brauche ich jetzt wirklich einen To-Go-Kaffeebecher? Kann ich die Strecke nicht auch einfach mit der Bahn fahren usw. – Wir drei sind selbst natürlich auch weit davon entfernt ein perfektes Leben zu führen, aber uns ist klar: Wir können nicht so weiter machen wie bisher und das bedeutet leider auch, dass man sich in einigen Bereichen einschränken muss, auch wenn das eventuell mal weniger bequem ist. Neben den persönlichen Umstellungen müssen wir zeitgleich aber auch unbedingt noch mehr Druck auf Politik und Industrie machen, damit dort ein massives Umdenken einsetzt und vor allem: auch durchgesetzt wird. Das ist fast noch wichtiger. Geht auf Demos, geht wählen, geht denen auf den Sack die es verdient und nötig haben.

 

Aber bevor der Letzte dann das Licht ausmacht, habt ihr ja noch die eine oder andere Mission zu erfüllen!
Im Sommer steht ja schließlich die „20 Years On The Road“ Akustik- und Lese-Tour und ab November geht es dann hoffentlich endlich auf ausgedehnte „Ja Als Ob“ Tour, die ja leider wegen der Pandemie verschoben werden musste. Das Publikum wird dann ja wahrscheinlich komplett durchdrehen, endlich zum ersten deutschsprachigen Album der Bandgeschichte im Moshpit zu pogen. Wie sehr kribbelt es eigentlich schon in den Fingern, endlich wieder die Stromgitarren raus zu holen und die Meute an die Wand zu zocken?

Sibbi: Es ist gar kein Kribbeln mehr, sondern eher ein Beben. Das kann man wirklich nicht in Worte fassen. Wir waren ja nur 5 Tage vor der Tour bevor der erste Lockdown kam. Das heißt, wir haben schon so unfassbar lange keine Shows mehr gespielt, dass es sich total unwirklich anfühlen wird, wieder auf der Bühne zu stehen. Ich fürchte, das wird im positivsten aller Sinne ziemlich eskalieren.

Ach so, noch eben kurz nebenbei – werdet ihr (wie die DONOTS) zukünftig nur noch in euer Heimatsprache singen, oder war „Ja Als Ob“ eher eine einmalige Geschichte?

Sibbi: Wenn wir eins in unserer Bandgeschichte gelernt haben, dann ist es: Keine Aussagen zur Zukunft zu machen (lacht). Denn irgendwie kommt es eh immer anders als wir denken.

Zum Abschluss des Interviews würde ich gerne noch wissen, was ihr am Morgen des 27. September 2021 gerne in den Zeitungen lesen würdet?

Panzer: Da der Termin in der Vergangenheit liegt, habe ich grade kurz mal gegoogelt: An diesem Tag wurde die „Rader Hochbrücke“ in Schleswig-Holstein beschädigt. Nach Angaben der Polizei war die Wölbung etwa 20cm lang und bis zu fünf Zentimeter hoch. Das stand bestimmt auch in der Zeitung. (Anm. d. Redaktion: Da hat Panzer sich wohl mit Vergangenheit und Zukunft vertan, aber gekonnt souverän geantwortet – Chapeau, ich lasse die Antwort Mal gelten 😉!)

 

Nun bleibt mir nur noch, mich für eure Antworten zu bedanken! Bleibt bitte alle gesund… wir wollen uns doch schließlich ganz bald auf bzw. vor der Bühne wieder sehen! Vielleicht ja live beim Deichbrand Festival 2022 hier oben bei uns an der Küste?!

Panzer: Ganz egal wo – wir haben mega Bock darauf. Dir auch vielen Dank für das Interview. Hat großen Spaß gemacht!

Titelfoto: Diana Mühlberger

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