Interview – “Oft wird darüber gesprochen, dass Bands „ihren Sound finden“. Aber wir wollen glaube ich „unseren Sound“ niemals finden. Wir wollen einfach ewig weiterexperimentieren” mit Citizen

Dieser Artikel ist Teil 2 von 2 Interviews, die ich im FZW vor einem Konzertabend mit Citizen und Turnover führen durfte. Das Interview mit Turnover findet ihr hier.

In diesem Artikel geht es nun um die energetischen Headliner des Abends: Citizen. Auf einer Couch schräg neben mir sitzen Nick und Jake aus dem jungen Quintett und haben mir gerade verraten, dass dies das erste Interview mit einem deutschen Magazin ist. Beide wirken sehr neugierig und motiviert, also legen wir direkt los.

Björn:
Hey ihr beiden, ihr wart gestern in Amsterdam, richtig? Wie war es denn?

Nick:
Es war total verrückt. Das war unsere erste Show auf dem europäischen Festland und gleichzeitig die erste, ausverkaufte auf der Tour. Wir hatten keine Ahnung, was uns erwarten würde. Wir haben vor zwei Jahren mal im Vereinigten Königreich getourt, es jedoch nie aufs Festland geschafft. Und jetzt war die erste Show dort direkt ausverkauft und wir konnten die Tour mit einem Knall beginnen.

Jake:
Absolut, es hätte gar nicht besser laufen können.

Björn:
Dann seid ihr also super in die Tour gestartet und es geht allen gut?

Jake:
Uns geht es super, wir haben nur ein total krasses Jetlag, wir haben uns noch nicht daran gewöhnt, zu völlig anderen Zeiten aufzustehen. Wir hoffen, dass wir uns schnell an die europäische Zeit gewöhnen.

Björn:
Wie ist denn eure Verbindung zu den Jungs von Turnover? Ihr habt euch ja zu einer ähnlichen Zeit gegründet,  in der Vergangenheit ähnliche Musik gespielt und seid beide bei dem gleichen Label unter Vertrag.

Nick:
Unsere Beziehung ist super, das sind einige unserer ältesten Freunde und unsere Anfänge sind ziemlich ähnlich gewesen. Wir haben zur gleichen Zeit das erste Mal Aufmerksamkeit generiert und 2012 auch zusammen eine Split gemacht. Daraufhin haben wir dann zusammen eine Full-US-Tour gespielt, was auch für beide Bands das erste Mal war. Dadurch haben wir natürlich eine enge Verbindung.

Björn:
Dann gibt es zwischen euch ja wirklich eine Menge Parallelen.

Nick:
Absolut, ja. Wir stammen aus der gleichen Szene, haben aber beide gleichzeitig vor 3 bis 4 Jahren angefangen, einen ganz eigenen Weg zu gehen. Das letzte Jahr war dann für beide Bands ziemlich bedeutsam, deswegen war diese gemeinsame Europa-Tour jetzt einfach eine perfekte Gelegenheit wieder zusammen zu spielen.

Björn:
Ihr kommt ja teils aus Michigan, teils aus Ohio. Wie habt ihr euch da zusammengefunden?

Nick:
Ich habe Mat, unseren Sänger, durch einen gemeinsamen Freund kennen gelernt als wir noch sehr klein waren, gerade mal 10 oder 11. Er, mein Bruder Eric (Bass bei Citizen) und ich haben schon immer zusammen Musik gemacht. Mat ist aus Michigan und hat Citizen gegründet, deswegen sind wir technisch gesehen eine Band aus Michigan, auch wenn drei Mitglieder aus Toledo, Ohio kommen und nur zwei aus Michigan.

Jake:
Wir wohnen auch maximal eine Autostunde auseinander. Mat lebt außerdem direkt an der Grenze zwischen Michigan und Ohio, also war es nie ein Problem, dass wir aus verschiedenen Staaten kommen.

Björn:
Als ihr in dieser Grenzregion aufgewachsen seid, wie war die Musikszene dort und was hat euch dazu gebracht, sich für das Musikmachen zu entscheiden?

Nick:
In unserer Heimatstadt gab es eine sehr große Metal-Szene. Eigentlich existierten zu 100 Prozent nur Metalbands. Wir sind also in einer Szene gestartet, in der es nicht wirklich andere Bands gab, mit denen wir hätten spielen können. Pop-Punk war damals überhaupt nicht populär. Das war für uns aber gar nicht so schlecht, weil wir es von vorne herein spannend fanden, etwas zu machen, was es in unserem Umfeld so nicht gab. Und das hat sich in unserer Bandgeschichte dann fortgesetzt: Wir wollten immer etwas machen, was andere um uns herum nicht machen.

Björn:
Wer hat euch musikalisch sozialisiert, durch wen seid ihr zur Musik gekommen?

Nick:
Hehe, das ist eine schwierige Frage. Ich komme zum Beispiel aus einer nicht gerade musikalischen Familie. Mein Bruder ist zwei Jahre älter als ich. Viele von meinen Freunden waren zuerst seine Freunde. Als ich aufgewachsen bin, hatte ich also viele Freunde, die ein wenig älter waren als ich und dadurch einen großen Einfluss auf mich hatten. Einer dieser Freunde hat mir dann eines Tages Green Day gezeigt. Das war für mich das erste Mal, dass ich ein Album geliebt habe. Meine Mum hat aber auch viel 90er-Rockmusik gehört. Nirvana und so weiter. Da schließt sich jetzt gerade ein Kreis, weil diese Musik auch immer einer unserer größten Einflüsse gewesen ist.

Jake:
Als ich so in der 8. Klasse war gabs in meinem Schulbus einen älteren Jungen, der ziemlich cool und immer nett zu mir war, obwohl ich so viel kleiner war. Der hat viel Underground-Musik gehört, viel Hardcore und Metal und hatte eine eigene Band, mit der er in seiner Garage gespielt hat. Irgendwann hat er mich dann auch mal auf eine dieser Shows eingeladen. Für mich war das total cool, dass jemand, der älter war und eine Band hatte, mich einlädt. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen blöd, aber für mich hat das damals alles verändert. Seine Band war natürlich schrecklich und die Garagenshow auch, aber für mich war es zu diesem Zeitpunkt das allergrößte und ich wollte daraufhin auch unbedingt in Bands spielen. Da hat für mich alles angefangen, was mir jetzt auch noch wichtig ist: Auf Shows gehen, Leute treffen und kleinere Bands supporten.

Björn:
War das die erste Show, auf der du jemals warst? Das wäre nämlich jetzt meine nächste Frage gewesen.

Jake:
Naja, als ich 10 war, habe ich mal Weird Al Jankovich gesehen (Nick fängt an zu lachen, Jake daraufhin auch), das fand ich auch super. Aber so richtig bewusst, die erste Show, das war diese Garagenshow. Da kann ich mich auch noch genau daran erinnern, welche Lokalbands da gespielt haben, wie alles aussah, wer welche Klamotten anhatte, einfach alles.

Björn:
Und du Nick?

Nick:
Ja, ich erinnere mich auch noch an meine erste Show. Meine Eltern haben mir Karten für Fallout Boy gekauft. Das war das erste Konzert, auf das sie mich gelassen haben, obwohl ich schon vorher auf Shows wollte. Ich wollte immer Green Day sehen, meine Eltern haben mich aber nie gelassen, weil sie meinten, ich sei noch zu jung. Mit 10 oder 11 haben sie mich dann irgendwann zu Fallout Boy gelassen. Das war dann aber eine ziemlich große Arena-Show, also leider nichts Underground-mäßiges.

Björn:
Wir erleben ja momentan ein ziemlich großes 90s-Revival, viele junge Bands klingen wieder wie Emo-Bands aus den 90ern, oder wie Grunge-Bands. Habt ihr eine Erklärung dafür?

Nick:
Das ist eine interessante Sache. In Amerika ist das alles sehr plötzlich wieder beliebt gewesen und viele Leute sagen ja, Alternative Rock und Emo-Zeugs wäre irgendwann ausgestorben und kommt jetzt wieder. Ich habe aber das Gefühl, dass es diese Bands die ganze Zeit über gab. Zwischendurch hat sich nur leider niemand mehr dafür interessiert. Was momentan wieder passiert, ist insofern ein Spiegelbild der 90er-Jahre, als dass es wieder vermehrt Bands gibt, die mit einem Fuß im Alternative Rock und mit dem anderen Fuß im Hardcore-Genre stehen. Das hat es in den Hochzeiten von Revelation Records in den 90ern auch schon mal gegeben. Und es ist interessant, dass das momentan wieder passiert. Ich hoffe auch, dass dieser Trend nicht so schnell wieder ausstirbt, wie das ja mit vielen Trends sehr schnell so geht, sondern, dass diese neue Welle an Rockbands länger bestehen kann. Denn Rockmusik ist momentan, zumindest in Amerika, sehr unterrepräsentiert. Es ist schön, dass wir und ganz viele Bands in unserem Umfeld und aus unserer Generation das Banner für Rockmusik wieder hoch halten können.

Jake:
Ich habe das Gefühl, dass populäre Stilrichtungen immer in Wellen auftauchen. Und momentan haben wir wieder eine 90er-Welle. Durch die unbegrenzten Möglichkeiten, die uns das Internet und heutige Informationstechnologie bieten, ist es auch viel einfacher geworden, einen ganz bestimmten Sound aus einer Zeit zu imitieren. Ich kann sehr schnell in Erfahrung bringen, welches Equipment ich verwenden muss, um wie die „In Utero“-Aufnahmen zu klingen. Dadurch wird das Ganze aber auch deutlich weniger subtil und zieht so viel mehr Aufmerksamkeit auf sich. Die Leute sind einfach immer besser darin geworden, etwas haargenau nachzuahmen, unabhängig davon ob man das jetzt gut oder schlecht findet. Es ist heute einfacher denn je wie Nirvana zu klingen

Nick:
Ja genau, was mir auch aufgefallen ist, wenn man sich Interviews mit Bands aus den 90ern ansieht und sie über ihre Einflüsse sprechen, dann ist es oft so, dass sie selbst gar nicht mal so klingen, wie die Bands die sie beeinflusst haben. Und heute ist es so offensichtlich, dass Bands schon gar nicht mehr darüber reden wollen, wer sie beeinflusst hat, weil sonst schnell der Vorwurf der Kopie laut wird.

Björn:
Wie ist es denn mit euch: Ihr habt ja auch immer wieder euren Sound geändert, von Release zu Release. Was ist die Motivation dahinter, auf euren Alben so verschieden zu klingen?

Nick:
Ich schätze das liegt zum Teil an meiner komischen Vorliebe für Außenseiteralben. Mir ist es schon so oft passiert, dass die Mehrheit der Leute das Album einer Band, das ich am besten finde, am wenigsten mag. Das sind nämlich häufig die Alben, auf denen eine Band ihren Sound radikal verändert hat und neue Wege gegangen ist. Diese Alben haben eine besondere Anziehungskraft auf mich und daher kommt mein Drang danach, jedes Album von uns vollkommen anders klingen zu lassen. Oft wird darüber gesprochen, dass Bands „ihren Sound finden“. Aber wir wollen glaube ich „unseren Sound“ niemals finden. Wir wollen einfach ewig weiterexperimentieren.

Björn:
Wie sieht dieser Kreativprozess denn aus? Was für eine Songwriting-Strategie habt ihr?

Nick:
Immer die gleiche, schlechte Strategie (Alle lachen). Wir buchen ein Studio, sind total unvorbereitet und haben erst ein paar Monate vorher angefangen, neues Material zu schreiben.

Jake:
Für gewöhnlich landen dann die ersten Paar Songs auch schnell wieder im Papierkorb.

Nick:
Wir arbeiten dann wirklich intensiv im Studio und sehen das wie ein Versuchslabor. Eine Menge Songs klingen nach den Aufnahmen dann ganz anders, als wie wir sie ursprünglich geschrieben haben.

Jake:
Zugegeben, unsere Zeitmanagement-Skills sind wirklich beschämend (alle lachen).

Björn:
Meine letzte Frage zielt ein wenig auf Zeitpläne ab: Wisst ihr, wie es mit Citizen in den nächsten Jahren weitergehen wird?

Nick:
Ein genauer Karriereplan passt definitiv nicht zu uns. Ich kann verstehen, wenn Bands irgendwann nur noch um der Band willen auf Tour gehen oder weil sie gerne touren, aber das ist nicht unser Ding. Ich möchte den Punkt nicht erleben, an dem die Kreativität abnimmt und wir uns nur noch wiederholen. Wenn der Tag kommt, an dem wir Citizen nicht mehr machen, würde jeder von uns seine kreative Energie einfach woanders ausleben. Niemand von uns wollte die Band zu einem Job machen, das ist einfach so passiert, und darüber sind wir auch total glücklich, aber wir wollen das nur so lange machen, wie auch Leidenschaft da ist. Wenn es sich irgendwann nicht mehr richtig anfühlen sollte, dann hören wir auf und machen etwas anderes. Und das ist dann auch vollkommen in Ordnung. Ich möchte nicht für den Rest meines Lebens nur auf eine Sache, die ich gemacht habe, zurückblicken und mich darüber definieren. Ich möchte meine Kreativität und meine Energie auch noch in anderen Dingen ausleben.