Die Festivalsaison hat begonnen. Für mich startet sie traditionell mit dem dunk!festival im belgischen Zottegem. Ein Ort, den ich mit Klangepiphanien, Gemütlichkeit, Entschleunigung, Friedlichkeit, unfassbar gutem Sound aller Künstler und mehr einem Urlaubs-, denn einem klassischen Festivalerlebnis verbinde.
Denn ein klassisches Festival ist das dunk! auf keinen Fall. Das fängt, wie bereits erwähnt, bei den entspannten Besuchern – Festivaltouristen findet man hier glücklicherweise nicht – an, führt über die friedliche Atmosphäre und der gemeinsamen Wertschätzung der Musik und hört bei dem sorgfältig vorbereiteten Sound eines jeden Künstlers auf.
All dies resultiert in einem Paradies nicht nur für Postrock-Fans, sondern auch für Musikbegeisterte grundsätzlich. Ein Paradies, in das ich dieses Jahr bereits zum dritten Mal in Folge eintauchen darf.
Aber eins nach dem anderen. Da sich unsere Anreise einen kleinen Deut länger gestaltet und wir auf dem Zwischenweg feiertagsbedingt noch einen Einkaufszwischenstopp in Holland einlegen, kommen wir leider erst am Donnerstagnachmittag auf dem Gelände an. Während wir unser Zelt unweit der Hauptbühne aufschlagen, knallen uns Labirinto aus Brasilien schonmal ein beeindruckendes Post-Metal Set um die Ohren.
Nachdem wir endlich das Lager fertig haben geht es also zum ersten Mal hinein ins Mainstage-Tent zu Coastlands. Ein perfekter Einstieg ins Wochenende, präsentiert das amerikanische Trio doch perfekt die vornehmlich in den 2000er-Jahren oft zelebrierte Spielweise des Postrock wie sie vor allen Dingen durch Bands wie Caspian, This Will Destroy You oder pg.lost geprägt wurde. This Patch of Sky schließen sich dabei hervorragend an und bringen mit Cellist Alex Abrams einen noch organischeren Klang mit ins Spektrum. Highlight des Sets ist natürlich das epische „Bella Muerte“ zum Abschluss.
Schnell geht es anschließend zum ersten Besuch der Waldbühne und zum dortigen Headliner Celestial Wolves aus Belgien. Nicht ganz so klanglich imposant wie This Patch of Sky, dafür mit Hingabe und Leidenschaft schließt das Quintett den Abend auf der Waldbühne ab. Headliner der Hauptbühne sind am ersten Tag die italienischen Veteranen von Ufomammut. Und hier ist der Name Programm. Ein ordentlich gefülltes Zelt feiert das Stoner-Trio und ihren unvergleichlich fetten Sound ab. Völlig zurecht. Was die drei Italiener da an Lautstärke produzieren ist beeindruckend.
Nach einer schönen ersten Partynacht geht es am zweiten Tag halbwegs frisch mit Baulta aus Finnland weiter, die sich in einem ähnlichen Spektrum wie Coastlands am Vortag operieren. Der heutige Tag steht außerdem irgendwie ganz im Zeichen der Mainstage. Auf der schauen wir uns am Nachmittag dann Pillars aus Indianapolis, Indiana an, die vor kurzem mit „Canvas“ ein fantastisches zweites Album auf dunk!records vorgelegt haben. Auch sie sollen sich in den typischen 2000er-Postrocksound einreihen, versprühen aber gefühlt nicht ganz so viel Energie wie noch Coastlands an gleicher Stelle zuvor. Für eine gelungene Abwechslung sorgen im Anschluss Wang Wen, die Postrock-Legenden aus China, die Live noch einmal eine viel größere Revelation darstellen, denn auf Platte. Zur Standardbesetzung von Schlagzeug, Bass und zwei Gitarren gesellen sich noch Keyboard/Synthesizer und ein Blechbläser, der zwischen Euphonium, Trompete und außerdem noch dem Glockenspiel hin und her wechselt hinzu, und sorgen so für einen unglaublich breiten, abwechslungsreichen und überwältigenden, orchestralen Sound.
Die nächsten Stationen lauten A Swarm of the Sun aus Schweden und Kokomo aus Duisburg. Erstere stellen mit einem dedizierten Sänger tatsächlich eine Besonderheit dar, besteht das Line-Up auf dem dunk!festival doch traditionell aus Bands ohne Sänger_in, die instrumentale Musik spielen. Während mich die Schweden live aber leider nicht so ganz überzeugen können, liefern Kokomo einmal mehr eine fantastische Show ab, inklusive hüpfender Luftballons im Publikum (die zwar nicht bei allen Musikfans gut ankommen – wohl zu viel Show – aber es ist ja nicht verkehrt, dass die Geschmäcker, auch bei allem Rund um die Musik, divergieren). Ein schöner Bonus: Beim letzten Hurrah leiht Her Name is Calla-Singer/Songwriter Tom Morris den Duisburgern kurz seine Stimme. Am nächsten Tag wird seine eigene Band ihren allerletzten Auftritt als Headliner auf der Waldbühne spielen.
Headliner am zweiten Tag ist dann niemand geringeres als Postrock-Legende Efrim Manuel Menuck, bekannt natürlich für sein Wirken bei den Veteranen Godspeed You! Black Emperor und dessen Ableger A Silver Mt. Zion. Solo begibt sich der große Lockenkopf aus Montréal gemeinsam mit Duo-Partner Kevin Dorian in noch experimentellere, ruhigere und stark Ambient-lastige Gefilde als noch in seinen verschiedenen Bandkontexten. Damit können hier, besonders als Headliner, nicht alle etwas anfangen. Während des rund eineinhalb stündigen Sets leert sich das Zelt der Mainstage merklich. Anderen hingegen gefällt es dafür um so mehr. Ich nutze den vielen Platz der entstanden ist, und begebe mich ganz nach vorn. Dort stehe ich neben einer Dame, der bei „A Lamb in the Land of Payday Loans“ die Tränen die Wange herunterlaufen. Kein Scherz. Ich selbst muss sagen, dass, obwohl mir Efrims kühle und distanzierte Art ein wenig auf den Keks geht, ich doch während des Sets eine Epiphanie durchlebe. Am Ende des Tages werde ich einfach mehr und mehr zu einem Ambient-Enthusiasten.
Nachdem ich am zweiten Abend doch irgendwie auf der Aftershowparty gelandet bin (DJ Fries, DJ Fries <3), fällt das Aufstehen am dritten Festivaltag doch etwas schwerer. Ganz so kompromisslos und einfach wie vor zehn Jahren funktioniert dann doch nichts mehr. So verpasse ich leider Summit aus Gent, die, so wie mir mein Kollege berichtet, einen ganz großartigen Auftakt auf der Waldbühne hingelegt haben. Einsatzbereit bin ich dann aber zum Glück wieder bei Paint the Sky Red aus Singapur, die einen ihrer sehr raren Auftritte in Europa spielen und sich klanglich erneut an der so beliebten 2000er-Schule des Postrock orientieren.
Dann kommt es zu einem kleinen Triathlon, denn am Nachmittag kommt es zur, für das dunk! doch eher untypischen Situation sich zweimal überschneidender Bands zwischen Haupt- und Waldbühne. So lassen wir uns zunächst von Shy, Low im Wald eine bombastische Prise Postmetal um die Ohren sausen, um dann herüber zu Silent Whale Becomes a Dream aus Frankreich zu hechten, die dafür bekannt sind, nicht sonderlich viel Live-Shows zu spielen. Das möchten wir also nicht verpassen. Nach einer gehörigen Portion atmosphärischem Postrock mit sehr langen Spannungsbögen geht es wieder zurück in den Wald zur zweiten chinesischen Band des Wochenendes, Zhaoze. Die Eile wäre aber nicht nötig gewesen, denn das Quartett nutzt nicht seinen vollen Timeslot und performt überdies hinaus auch kein normales Set, sondern spielt lediglich einen einzigen Song, der sich dann jedoch über 40 Minuten erstreckt.
Nach dem Kurz-Triathlon brauchen wir allerdings eine kurze Verschnauf- und Essenspause und nehmen Gifts from Enola, BOSSK und Tangled Thoughts of Leaving nur aus dem Speisesaal oder unseren Campingstühlen wahr. Den bereits angesprochenen, letzten Auftritt von Her Name is Calla wollen wir uns aber nicht entgehen lassen und begeben uns in den wunderschön erleuchteten Märchenwald zur Waldbühne. Leider hat das britische Quartett einige Soundprobleme, besonders die Gitarre und Morris‘ einzigartige Stimme sind im Vergleich zu Schlagzeug und Bass zu leise gemischt und auch die Geige hat arg zu kämpfen, sich im Klangbild durchzusetzen. Das schmälert leider ein wenig die feierliche Stimmung des Funeral March der Band.
Erschöpft und müde schleppen wir uns auf ein allerletztes Hurrah zurück zur Hauptbühne und zu den französischen Blackgaze-Pionieren Alcest. Und werden nicht enttäuscht. Die Truppe um den kreativen Kopf Stéphane Paut alias Neige hat tatsächlich noch nie auf dem dunk!festival gespielt und ist sichtlich beeindruckt. Für einen kurzen Moment hat man sogar den Eindruck, die Truppe aus ihrer professionell-kühlen Distanz herausgeholt zu haben. Aber nur kurz. Denn außer ein paar spärlichen und zurückhaltenden Ansagen von Neige kommunizieren die Franzosen wohl nicht so gern. Dafür spricht die Musik umso mehr für sich. Sound und Performance befindet sich bei sämtlichen Bands des Festivals ohnehin schon immer auf einem extrem hohen Niveau, aber Alcest beweisen an dieser Stelle sehr eindrucksvoll, warum sie schon seit fast 20 Jahren erfolgreich im Geschäft sind und als Pioniere gepriesen werden. Hier läuft eine perfekt durchorchestrierte Blackgaze-Maschine, die keine Klangwünsche mehr offenlässt und zurecht als Abschluss dieses famosen Festivals fungieren darf.
dunk!festival 2019. Wie immer war es ein so gigantisches Programm, dass es unmöglich scheint, alles mitzunehmen und aufzusaugen. Mir ist bewusst, dass so viel mehr möglich gewesen wäre. Dass ich mir so viel mehr hätte anschauen können. Doch irgendwann macht das Gehirn aufgrund der wahnsinnigen Reizüberflutung auch mal dicht. Denn es gibt hier einfach viel zu viel Wundervolles zu erkunden, zu viele großartige Künstler, von denen man eigentlich keinen verpassen darf. Dieses Festival hat, und das wird mir in meinem dritten Jahr noch einmal mehr bewusst, einfach keine Ausfälle. Wehmütig sitze ich an meinem Schreibtisch und sehne mich schon nach dem Mai nächsten Jahres, wenn es wieder heißt. Sachen packen, Alltag ausschalten und abdriften ins Festivalparadies nach Zottegem zum dunk!2020. Ich kann es kaum erwarten.