Foto: Linda Auhage

Festivalbericht zum dunk!festival 2017

Endlich ist es soweit. Wir fahren zum ersten Mal zum legendären dunk!festival im Belgischen Zottegem, einem kleinen, ländlichen Örtchen südlich von Ghent. Zum 13. Mal trifft sich hier eine kleine aber sehr dedizierte Fangemeinde experimenteller Rockmusik mit einem Hauptfokus auf die Oberbegriffe Postrock, Postmetal und Ambient. Das Wetter ist fantastisch, Sommer, Sonne, kein Wölkchen am Himmel und ein überschaubarer Zeltplatz, auf dem es das Wochenende über größtenteils vergleichsweise ruhig zugehen wird.

Das Festival findet von Donnerstag bis Samstag statt, das Leben eines freien Promovenden mit einer Fülle an Neben- und Minijobs ermöglicht jedoch nur einen verkürzten Besuch. So sind wir erst um 17 Uhr des ersten Festivaltages vor Ort und müssen am Samstag-früh auch wieder die Zelte abbrechen. Nichtsdestotrotz bleiben der Donnerstagabend und der ganze Freitag.

Kurz nach Ankunft am Donnerstagnachmittag wird klar: Dieses Festival steht für Entspannung pur. Das hat mehrere Gründe. Zunächst einmal wäre die Größe zu nennen. Eine genaue Besucherzahl für dieses Jahr konnte ich nicht in Erfahrung bringen, man munkelt jedoch, knapp 1000 Besucher. Das ist verhältnismäßig wenig. Dadurch kommt es selten zu Engpässen, Platzmangel oder übermäßigem Lärm, auch, weil die Festivalbesucher an sich sehr zurückhaltend, freundlich und ruhig sind. Es handelt sich bei ihnen um eine sehr bunte Mischung aus verschiedensten Kreisen, die scheinbar alle ausschließlich wegen der Musik hier sind. Ein Umstand, der gerade in den vergangenen Jahren auf Festivals traurigerweise immer seltener geworden ist. Umso schöner also, hier von Metalern, Hipstern, Hippies und Ottonormalos umgeben zu sein, denen Profilierung augenscheinlich nicht viel bedeutet, die Musik jedoch sehr viel. Um es mit den Worten eines Bekannten aus einem Gespräch über das ebenfalls großartige Orange Blossom Special in Beverungen zu sagen: Null Poser, 100 Prozent Musik.

Auf dessen qualitativer Darbietung und Inszenierung legen die Veranstalter hier allergrößten Wert. Die Hauptbühne befindet sich, wie in Flandern üblich, in einem großen Zirkuszelt, das von mehreren Stahlpfeilern im Inneren gehalten wird. Es gibt lediglich einen kleinen Eingang, der mit schwarzen Lamellen bestück ist. Der Grund nach dem Eintreten schnell klar: Das gesamte Zelt ist weitestgehend dunkel gehalten, man hat den Eindruck in eine Indoor-Location zu betreten. Das hat den Effekt, dass man den ganzen Tag über die Möglichkeit hat, sämtliche Lichtinstallationen der mittelgroßen Bühne effektvoll zu nutzen, sämtliche Außeneinflüsse auszublenden und das Immersionspotential der Zuschauer im Vergleich zu einer Open-Air Bühne zu multiplizieren. Und das funktioniert bei jeder Band, die ich mir an zwei Tagen anschaue.

Außerdem wird hier nicht am Fließband gearbeitet. Es reiht sich nicht nahtlos Band an Band, die Umbaupausen liegen nicht bei zwanzig bis dreißig Minuten, sondern bei gut einer Stunde. Das führt dazu, dass sich die Bands nicht mit einem kurzen Linecheck kurz vor ihrem Auftritt zufriedengeben müssen, sondern einen ausgiebigen, teilweise fast vierzig-minütigen Soundcheck machen können. Dabei ist kaum Publikum anwesend, da bei der Sommerhitze fast jeder nach einem Auftritt wieder an die frische Luft zurückkehrt. So können Band und Tontechniker ungestört arbeiten. Davon profitiert natürlich die Klangqualität der Shows ungemein.

Jede Band hat einen dermaßen scharf gestochenen, hervorragend abgemischten Sound, man hat das Gefühl, nur Headliner auf einer Club-Tour zu Gehör zu bekommen. Auch das ist eher der Ausnahmefall auf Festivals, bei denen häufig mies abgemischte Setups und schäbiger Sound dem gemeinen Musiknerd den Spaß verhageln. Egal ob pg.lost am Donnerstag, As We Expected, Meniscus, We Lost The Sea, …And So I Watch You From Afar oder Earth am Freitag – Jede Band kann den jeweils eigenen, unverkennbaren Sound kraftvoll in Szene setzen und wird zurecht frenetisch vom Publikum gefeiert.

Der Headliner Swans am Donnerstag bildet da leider eine Ausnahme. Die Kultband spielt ein zweieinhalbstündiges Set, das stark beginnt und eine interessante Sound-Erfahrung aus einer lang vergessenen Epoche der experimentellen Rockmusik in den 1980ern zurückbringt. Das wäre nach der Hälfte der Zeit allerdings auch vollkommen ausreichend gewesen. Stattdessen rutscht der Auftritt von einem starken Anfang immer weiter in Befremdlichkeit, nicht zuletzt, weil Frontmann Michael Gira sich als ziemlicher Vollpfosten herausstellt. Obwohl sein Gesang klar und deutlich über alle Instrumente zu hören ist, verlangt er vom Stage-Soundengineer energisch, sein Mikro noch lauter zu machen. Das inevitable Ergebnis: Feedbacks, die den hypnotischen Sound der Band aufbrechen und ihm die Wirkung nehmen. Jedes Mal, wenn das passiert, rennt er wütend und gestikulierend zum Stage-Soundmann zurück und beschimpft ihn.

Damit jedoch nicht genug, auch mit seinen Bandkollegen ist er immer wieder unzufrieden. Wenn ich richtig aufgepasst habe, bekommt außer Gitarrist Norman Westberg jeder Musiker während laufender Performance einen Anschiss, der sich für mich in keinem der Fälle wirklich erschließt. Denn die musikalische Performance jedes Bandmitglieds ist ohne Tadel. Der einzige, performative Schwachpunkt liegt bei Gira selbst, dessen gregorianische Kehlkopfgesänge über zweieinhalb Stunden auch den aufgeschlossensten Hörer nicht mehr hinter dem Ofen hervorlocken dürften. Zumindest nicht, wenn es dem überkritischen Frontmann dabei selbst nicht gelingt die Töne zu treffen, geschweige denn, einen gelegentlich getroffenen Ton dann auch zu halten. Auch viele andere Besucher reagieren mit Unverständnis und verlassen circa ab Mitte des Sets zunehmend die Mainstage, sodass am Ende nur noch ein Bruchteil der ursprünglich gespannten Zuhörer übrig ist. Ein Umstand, der erneut für das Publikum des dunk! spricht. Schade, eine rein instrumentale Performance ohne Gira hätte zu einem starken Auftritt werden können. Ein solcher Ausfall bleibt jedoch die Ausnahme, denn grundsätzlich ist der Auftritt jeder Band wirklich fantastisch.

Nun zur Organisation: Das Festival findet rund um ein altes Jugendlandheim (ja, so wie wir das noch aus der Kindheit, der Grundschule oder dem Sportverein kennen) statt. Die zweite Bühne, Stargazer-Bühne genannt, befindet sich in einem kleinen Bierzelt am Innenhof des Landheims, der sonst wohl als Basketball-Court fungiert (daher der Name dunk!festival). Auf selbigem befinden sich auch einige Essensmöglichkeiten, das Besondere jedoch ist, dass der alte Speisesaal des Heims als eine Art Restaurant zur Verfügung steht. Hier kann man am Küchenfenster warme Mahlzeiten zu, zugegeben nicht gerade moderaten Preisen, bestellen. Dafür gibt es hier am Freitag- und Samstagmorgen ein kostenloses Starterfrühstück. Zusätzlich steht hier das ganze Wochenende über ein riesiger Behälter mit Kaffee, ebenfalls kostenlos. Ja, richtig, Gratis-Kaffee und -Frühstück….haben wir so auch noch nicht auf einem Festival erlebt.

Die dritte, sehr kleine und an einem Hang gelegene Bühne befindet sich im kleinen Waldstück, das Hauptbühne mit Landheim-Gelände verbindet und bei der Hitze (täglich Temperaturen über 30 Grad) eine sehr willkommene, kühle Area darstellt, auf der wir mit worriedaboutsatan am Donnerstag und Ilydaen am Freitag einige interessante Eindrücke mitnehmen. Auch auf der Stargazer-Stage begeistern uns am Donnerstag Terraformer, am Freitag Aidan Baker & Karen Williams, sowie The Best Pessimist aus der Ukraine. Auch hier klingen die Künstler hervorragend in Szene gesetzt und abgemischt. Egal also, zu welcher der drei sehr unterschiedlichen Bühnen man wandert, es wartet ein aufregendes, musikalisches Erlebnis.

Abschließend kann man mit Fug und Recht sagen: Wer aufgeschlossen, musikinteressiert und müde von all den 0815-Festivals und Megaevents ohne Flair und Seele ist, der wird sich auf dem dunk!festival pudelwohl fühlen. Für uns steht jedenfalls fest: Wir können kaum auf die nächstjährige Ausgabe warten.