Interview – “Ich erinnere mich an eine Band immer stärker, wenn sie etwas Interessantes, das zum Denken anregt, in ihren Texten ansprechen und weniger daran, von wem sie ihren Sound geklaut haben, um diese Inhalte zu transportieren” mit mewithoutYou

Nach dem fulminanten Debüt auf dem angesagten Indie-Label Run For Cover haben mewithoutYou vergangenes Jahr mit „Pale Horses“ eines der interessantesten Rockalben 2015 veröffentlicht. Ich wollte mir die Gelegenheit also nicht entgehen lassen, im Zuge ihrer Europatour im Kölner Underground mit Sänger Aaron über Bandleben, menschliche Beziehungen und die Produktion besagten Albums zu sprechen. Nach einigem Hin und Her haben wir hinter der Bühne auf einem Treppensatz ein ruhiges Plätzchen für ein Gespräch gefunden.

Björn:
Eure Musik ist sehr schwer einzuordnen, was in jedem Fall für euch spricht. Hat das einen Einfluss auf Entscheidungen, die ihr trefft? In musikalischer, organisatorischer oder persönlicher Hinsicht?

Aaron:
Ich denke, auf jede dieser Fragen gibt es verschiedene Antworten. Wir haben keine Formel dafür, wie wir all diese Entscheidungen treffen. Wir sind zu fünft in der Band, drei Leute davon waren von Anfang an dabei. Also mussten wir über die Jahre lernen, wie man Kompromisse schließt, damit jeder eine Stimme haben kann. Ganz besonders bei den Dingen, die einem selbst sehr wichtig oder vielleicht wichtiger sind als den anderen in der Band. Das spiegelt sich dann auch in der Musik wieder und ist vielleicht auch der Grund, warum wir nicht so definitiv einem Genre zuzuordnen sind. Jeder bringt vollkommen verschiedene Ideen mit, die von ganz verschiedenen Stilen beeinflusst werden.

Björn:
Ihr seid nun schon vom älteren Semester, im Vergleich zu vielen Bands, mit denen ihr momentan tourt, wie zum Beispiel jetzt gerade The World Is… . Gebt ihr diesen Bands irgendwelche Tipps, musikalisch, oder das Tour Leben betreffend?

Aaron:
Nicht, dass ich davon etwas mitbekommen hätte. Und ich habe auch das Gefühl, dass die Jungs und Mädels ganz gut zurechtkommen.

Björn:
Soweit ich weiß, sind gerade The World Is… große Fans eurer Musik. Setzt euch das irgendwie unter Druck oder sorgt das für unangenehme Momente, wenn ihr mit einer jüngeren Band tourt, von der ihr wisst, dass sie euch vor zehn Jahren schon toll fanden und Fans waren?

Aaron:
Ich registriere das was du da gerade beschreibst eigentlich gar nicht so stark. Vielleicht trifft das vereinzelt auf Mitglieder der Bands zu. Ich hoffe natürlich, dass das dazu führen kann, dass man sich auf Anhieb gut versteht und schnell Vertrauen zueinander aufbauen kann. Es hilft zumindest dabei, ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, wenn man eine ähnliche, ästhetische Orientierung in der Musik verfolgt.

Björn:
Was hältst du denn persönlich von diesen ganzen „neueren“ Rockbands, die momentan viel Feedback erzeugen und teilweise auch musikalische Elemente von euch übernommen haben, wie vielleicht La Dispute, die ebenfalls Spoken-Word-Passagen mit Reverb-Gitarren verbinden?

Aaron:
Ich höre eigentlich nicht viel Musik und kenne nicht so viele von den Bands, die du grad beschreibst. Es kann aber gut sein, dass eine ständige, gegenseitige Beeinflussung stattfindet. Denn das Genre in dem wir uns hier bewegen lebt nun mal gerade davon, dass es eine begrenzte Gemeinschaft von Bands gibt, die auch alle Einfluss aufeinander ausüben. Mich interessiert allerdings weniger der Sound oder der Stil einer Band, sondern viel mehr die Texte, und was die Band zu sagen hat, welche Ideen sie transportiert und wofür sie einsteht. Ich erinnere mich an eine Band immer stärker, wenn sie etwas Interessantes, das zum Denken anregt, in ihren Texten ansprechen und weniger daran, von wem sie ihren Sound geklaut haben, um diese Inhalte zu transportieren. Das macht mir nämlich nicht so viel aus. Es ist wirklich schwer, etwas grundsätzlich Neues zu schreiben. Jeder Musiker wird schließlich von anderer Musik beeinflusst.

Björn:
Ihr seid ja, wie du schon sagtest, ziemlich lange zusammen. Was ist euer Rezept, um so lange als Band zu bestehen und immer wieder neue Musik zu schreiben und auf Tour zu gehen?

Aaron:
Ein generelles Rezept gibt es natürlich nicht, zumindest könnte ich keines beschreiben. Bei uns als Band haben wir einfach viel Glück gehabt, immer zur richtigen Zeit kleine Pausen eingelegt zu haben. Vieles, das uns zusammenhält, kam auch durch Außenstehende zustande. Zum Beispiel Labels oder das Management, Booking Agents und Künstler, mit denen wir zusammen gearbeitet haben. Daraus ergibt sich ein Puzzle aus Dingen, die uns immer wieder zusammengehalten haben. Das hätte auch alles ganz anders kommen können. Es geht hier also um viel mehr, als nur um die Bandmitglieder. Und eine andere Sache ist, dass wir uns musikalisch immer schon sehr viele Freiheiten genommen und versucht haben, immer etwas Neues oder Anderes zu machen, einfach damit das ganze Projekt interessant bleibt.

Was mir als erstes auf deine Frage bezüglich Zusammenhalt und Miteinander Auskommen einfiel, war, dass diese Band und die Gemeinschaft mit den Jungs die wohl bisher größte Herausforderung und gleichzeitig auch lohnenswerteste Erfahrung meines Lebens ist. Ich konnte lernen, wie man miteinander umgehen kann, selbst wenn man nicht ständig einer Meinung ist. Wir haben alle gelernt, wie wir trotz moralischer oder philosophischer Differenzen zusammen sein können, wie man Konflikte vernünftig lösen und Kompromisse eingehen kann. Und wie man unnötige Streitereien von wirklich wichtigen Problemen trennt. Denn das kann funktionieren, wenn es auf konstruktive Art, im persönlichen Gespräch mit gegenseitigem Respekt und Menschlichkeit geschieht.

Björn:
Was du beschreibst, klingt ein bisschen nach einer gesunden Familie, kann das sein?

Aaron:
Sicherlich. Die Tendenz, Konflikten auszuweichen oder sie nicht zivilisiert zu lösen führt letztlich ja auch zu vielen Scheidungsfällen in Familien. Und bei Bands kann das dann der Grund sein, sich aufzulösen. Weil es auch viel einfacher ist, das Projekt zu beenden und sich andere Leute zu suchen, eine neue Freundin oder einen neuen Gitarristen, anstatt seine Probleme zu lösen.

Was nun Familie angeht: Ich bin jetzt seit zwei Jahren verheiratet und muss sagen, dass die Beziehung mit meiner Frau viel einfacher ist, als die mit vier Jungs in einer Band. Denn da bin ich ja nur mit einer Person verheiratet. In einer Band ist man mit auch noch mit allen anderen verheiratet.

Björn:
Ich möchte noch gern kurz über die Produktion eures aktuellen Albums „Pale Horses“ sprechen: Ihr habt dieses Mal mit Will Yip zusammengearbeitet, der über die letzten Jahre eine ganze Menge gelungener Alben produziert hat. Wie war die Arbeit mit ihm?

Aaron:
Wir haben alle gerne mit Will gearbeitet. Es hat sehr gut gepasst und ich habe ihn als sehr hart arbeitenden und talentierten Menschen kennen gelernt. Ich persönlich hatte vorher noch nichts von ihm gehört, die Jungs hatten Studiozeit mit ihm gebucht und kannten einiges von seiner Arbeit. Ich bin also ohne große Erwartungen in den Aufnahmeprozess gegangen und war dann schnell sehr beeindruckt von seiner Leidenschaftlichkeit für seine Arbeit und hatte das Gefühl, dass er wirklich alles für ein Projekt gibt und auch persönlich daran interessiert ist, das bestmögliche Ergebnis aus einer Band herauszuholen. Es hat den ganzen Aufnahmeprozess für uns sehr reibungslos gemacht und wir haben uns einfach immer wohl gefühlt.

Björn:
Meine letzte Frage bezieht sich auf die Zukunft von mewithoutYou: Habt ihr in der nächsten Zeit schon neue Schritte geplant, vielleicht schon neues Material geschrieben, wie geht es bei euch weiter?

Aaron:
Irgendwo dazwischen liegt glaube ich unsere Zukunft: Wir haben jetzt erstmal eine kleine Tour auf einer Kreuzfahrt mit Paramore geplant. Danach werden wir ein Paar Festivals spielen und anschließend mit Say Anything auf Tour gehen. Darüber hinaus haben wir aber noch nichts konkretisiert, bezüglich neuem Material oder einem neuen Album. Bei uns passiert in der Band auch gerade viel: Egal ob Heiraten, Kinder kriegen, Häuser kaufen oder zur Uni zurückkehren: Wir haben heute einfach mehr Verpflichtungen in Philadelphia als noch vor zehn Jahren. Und wir möchten auch erst dann ein neues Album machen, wenn wir eine gute Idee dafür haben, nicht weil es irgendwie sein muss.