14. dunk!festival in Zottegem, Belgien

Ein bisschen Reue liegt immer darin, mit seinem Bericht später als die geschätzten Kollegen dran zu sein. Der Vorteil ist, dass es oftmals wenig hinzuzufügen gibt. Außer der Erkenntnis, dass es haargenau so fantastisch, inspirierend und überwältigend war, wie zuvor erhofft.

Die Rede ist natürlich vom 14. dunk!festival im beschaulichen Zottegem, Belgien, einige Kilometer südlich von Gent. Bereits vergangenes Jahr durfte ich diese großartige Veranstaltung für das Handwritten besuchen und davon berichten. Dieses Jahr komme ich erneut in den Genuss und reise mit zwei Freunden, die experimenteller, atmosphärischer und Postrock-Musik wesentlich weniger verbunden sind als ich. Die Qualität des Festivals spiegelt sich auch darin wieder, dass meine lieben Begleiter, auch ohne Fans der Musik zu sein, sehr von der Veranstaltung angetan waren.

Donnerstag:
Wir reisen am ersten Festivaltag erst recht spät an und schlagen unser Lager trotzdem vollkommen stressfrei auf der zweiten Campingzone, die zwar einige (sehr wenige) Meter weiter weg vom Festivalgelände liegt, dafür aber die Möglichkeit bietet, direkt neben dem Fahrzeug zu zelten, auf. Sehr praktisch. Wir haben wahnsinniges Glück mit dem Wetter und die ersten Drinks in dunk!-Bechern werden eingeschenkt.

Ranges aus den Staaten sind die erste Band, die wir zu Gesicht bekommen und einen gelungenen Auftakt darstellen. Knapp eine Stunde später freuen wir uns auf die Schweden von EF, die ich einen Tag zuvor bereits im Bielefelder Forum bestaunen durfte. Highlight der Show dort war sicherlich die verträumte Phase während „Final Touch, Hidden Agenda“, bei dem sich Schlagzeuger Niklas Åström mit einer Melodica ins Publikum begibt, um dort den Song zu beenden. Im Bielefelder Forum spazierte er einmal durch die Venue und gelang am Ende zurück zur Bühne. Nur einen Tag später auf der Hauptbühne des dunk! entsteht dabei folgender magischer Moment:

Nach der Show merkt einer meiner Kumpels an: „Oha, das wird aber schwierig, das heut Abend noch zu toppen“. In der Tat. Aber eine meiner absoluten Lieblingspostrockbands, Caspian, schaffen das. Das Quintett um Phil Jamieson liefert ein absolut magisches Set, das mich an meine erste Begegnung mit der Band 2011 im Hannover’schen Chez Heinz erinnert. Nur auf einer viel größeren Bühne. Mit viel mehr Lightshow. Und noch mehr Stimmung. Ein grandioser Auftakttag geht zu Ende.

Freitag:
Das Wetter bleibt weiterhin gut, die Nacht war mit 5 Grad doch etwas frisch aber wir sind trotzdem gut gelaunt und freuen uns auf Besides aus Polen, die den Tag eröffnen. Selten so einen guten Sound zu so einem Zeitpunkt, also mittags, auf einem Festival erlebt. Was ich schon vergangenes Jahr feststellen konnte bewahrheitet sich auch dieses Jahr wieder: Eines der zentralen Qualitätsmerkmale des dunk! ist der hervorragende Sound. Hier wird sich mehr Zeit für Soundchecks genommen als auf größeren Festivals.

Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist die unfassbar entspannte Atmosphäre, sowohl auf dem Festival- als auch auf dem Campinggelände. Wir finden die Zeit, Karten zu spielen und im Dorfsupermarkt Kleinigkeiten nachzukaufen, bevor wir uns Au Revoir anschauen. Danach geht es rüber zur Waldbühne. Ja, richtig, eine kleine Bühne, die man gefühlt ‚irgendwo wo Platz war‘ im Wald aufgebaut hat. Ein kleiner Waldhang vor der Bühne sorgt für eine Mini-Amphitheater-artige Stimmung sobald sich genügend Publikum versammelt hat. Genau die richtige Atmosphäre für die wunderschönen Cello-Klänge von Jo Quail, die ich bereits mehrmals als Support-Act für Caspian bewundern durfte. So geht es wohl einigen im Publikum, denn der Waldhang ist gut gefühlt und die Stimmung enthusiastisch-fantastisch.

Im Anschluss driften wir in Pink Floydigere Gefilde ab und wechseln wieder zur Hauptbühne, wo uns die vertrackten Klänge von Grails die kalte Campingnacht und den wenigen Schlaf ordentlich spüren lassen. Ohne kurze Verschnaufpause geht es nicht weiter und wir schaffen es erst wieder zu Rosetta und The Ocean aufs Gelände. Von unseren Nachbarn höre ich später, dass Radare auf der Waldbühne eine magische Atmosphäre erzeugt haben. Ich ärgere mich postwendend über mein mangelndes Durchhaltevermögen.

Samstag:
Letzte Festivaltage sind meist die anstrengendsten. Kalte Zeltnächte, der ein oder andere Drink und der wenige Schlaf fordern irgendwann ihren Tribut. Auf dem dunk! kommt noch hinzu, dass hier keine Partymusik oder leichte Kost geboten wird. Die hier auftretenden Bands, egal ob klassischer Postrock, Prog, Post-Metal, Ambient oder Experimental, spielen Musik, die die volle Aufmerksamkeit des Hörers verlangt und auch verdient hat. Das geht aber folglich an die kognitiven Ressourcen, die auf einem Festival grundsätzlich stärker abbauen als im Alltag.

Da ist es nur gut, dass es das ganze Wochenende durch Gratis-Kaffee und Freitag- sowie Samstagmorgen sogar Brot und Aufstrich als Frühstück für Umme gibt. Nach einer Stärkung dauert es trotzdem lange bis wir in die Gänge kommen. Sehr angenehm: Aufgrund der geringen Größe des Festivals ist es möglich –vorausgesetzt man passt den richtigen Moment ab – ohne Schlange ausgiebig Duschen zu können. Frisch und munter geht es dann also los zu Appalaches auf die ich mich musikalisch im Vorfeld schon sehr gefreut habe und auf keinste Weise enttäuscht werde. Ich wünsche mir nur, ich wäre noch genauso Aufnahmefähig wie am ersten Festivaltag.

Also ist erneut Ausspannen angesagt. Dieses Festival fühlt sich auch weniger nach typischem Festival wie man es sonst größtenteils gewohnt wäre an, sondern vielmehr nach einem gemütlichen Urlaub in Flandern auf dem Land mit fantastischer Musik oben drauf.

Zurück an der Hauptbühne geht es für uns mit Tides of Man weiter. Da die Waldbühne bei uns viel zu kurz gekommen ist, setzen wir uns direkt im Anschluss gespannt an den Waldhang, um uns die indische Formation asweekeepsearching anzuhören. Die hochtechnisierte Truppe nutzt ausschließlich digitale Technik, keine Amps und viel Equipment mehr. Das kenne ich sonst nur von kommerziellen Großproduktionen. Sehr professionell wirkt das Quartett in jedem Fall, auch das Publikum ist sehr angetan und mir wird einmal mehr bewusst: Diese Szene ist zwar eine sehr kleine, aber dafür wirklich internationale Gemeinschaft, in der es einzig um die Musik geht. Vollkommen egal, woher eine Band stammt, welchen kulturellen Background sie hat, was für einen Lifestyle sie vertritt usw. Einmal mehr wird klar, wie Musik allein sämtliche Landes-, Kultur-, Ethnizitäts- und Religionsgrenzen transzendiert. Und daher für mich das Kostbarste ist, was der Mensch je hervorgebracht hat.

Von Indien geht es zurück nach Europa zur Hauptbühne zu den Franzosen von Les Discrets. Die scheinen im dunk!-Publikum viele Fans zu haben und werden frenetisch aufgenommen und gefeiert. Im Gegensatz zu Appalaches und Tides of Man liefert die Band einen nur schwer definierbaren Genremix aus Blackgaze, Postrock und düsterem Indie mit Trip-Hop-Einflüssen. Hatte ich schon erwähnt, dass ich mir mehr Aufnahmefähigkeit für mich gewünscht hätte?

Das Finale steht an. Während an den Vortagen sowohl Caspian als auch The Ocean bereits ohrenbetäubende Soundwände auf der Hauptbühne errichtet haben, erwarten wir bei Russian Circles jenes Brett, das mich schon vor einigen Jahren im Bielefelder Forum umgeworfen hat. Und wir werden nicht enttäuscht. Was dieses Trio klangtechnisch im Stande ist zu erzeugen, kann einen wirklich nur sprachlos machen. Glücklich und erschöpft kehren wir zum Zelt zurück nach einem Festival der Extraklasse, zu dem ich hoffentlich noch viele Male mehr fahren kann.

Schon jetzt zähle ich die Tage bis zum dunk! 2019, das ich mir schon jetzt fest vorgenommen habe zu besuchen.