Sólstafir – Endless Twilight Of Codependent Love (Season of Mist, 06.11.2020)

Sólstafir entführen uns wieder in ihre Welt. Diese ist anno 2020 nicht eine weitere Reise in die Natur und Mystik ihrer Heimat Island, sondern wesentlich geerdeter, sogar ziemlich persönlich – und düster. Auf „Endless Twilight Of Codependent Love“ beschäftigt man sich mit psychischen Störungen, die von Depressionen bis hin zum selbst erlebten Alkoholismus reichen. Dabei setzt man sich über ein immer noch zu weit verbreitetes Tabu hinweg, dass vor allem Männer aus Angst als schwach wahrgenommen zu werden, wenn sie über solche Themen sprechen.

Und geerdeter klingt auch die Musik. Den schwebenden, über allem stehenden und postrockartigen Sound der beiden Vorgängeralbum hat man zwar nicht wirklich zur Seite geschoben, dafür gehen Sólstafir wieder etwas ruppiger und kantiger zu Werke und man lässt der Palette seiner Einflüsse (die von den Beatles und Kraftwerk über Darkthrone und Ennio Morricone bis zu den Smashing Pumpkins reicht) vollends freien Lauf.

Aber keine Angst, es kam kein seltsames Sammelsurium dabei heraus, sondern ein angenehm heterogenes Klangerlebnis, welches vor allem als Ganzes seine Kraft entfaltet. Gleich der zehnminütige Opener „Akkeri“ ist ein Statement. Es wird sich Zeit gelassen und man entwickelt über die doch recht kurzweilige Länge einen unglaublichen Sog. Schlurfende Drumbeats, ruhige Klangflächen, rockig charmante Ausbrüche mit mitreißender Dynamik, lässig auch mal mit Cowbell im Abgang, und überhaupt: selbst in seiner Introvertiertheit unglaublich lässig.

Der Sound der Platte ist trotz ihres groß angelegten Schönklangs auch herrlich rau, teilweise überraschend zerklüftet und ja, sogar auf emotionale Weise unperfekt. Wie bei „Dionysus“ zu hören, hätte man wohl nicht mehr mit blastigen Tönen gerechnet. Jene werden dann allerdings wieder von genügend Melodie aufgefangen, damit auch Fans neueren Datums nicht komplett verschreckt zurückbleiben. Jene fängt man spätestens mit dem schwungvoll glimmenden „Alda Syndanna“ wieder ein, wo sie sich vorher in „Her Fall From Grace“ im klaren, melancholischen Schönklang gesuhlt haben.

Insgesamt kann man sagen, dass Sólstafir durchaus Elemente aus verschiedenen Epochen der Band neu verrührt und zu einem gut schmeckenden Ganzen verrührt haben. Und trotzdem bleibt auch Zeit für kleine neue Töne, wie zum Beispiel den barbluesigen Start von „Or“. Aber selbst hier vollführt man den Schwenk in den heute typischen Sound der Isländer, ohne dass man es wirklich merkt. Schön.

„Endless Twilight Of Codependent Love“ ist ein angenehmes, bisweilen ungehobeltes und melancholisches Werk für neblige Herbsttage, aber auch darüber hinaus. Wem es die letzten Jahre zu soft und schönklangig war, kann vielleicht mal wieder vorsichtig reinhören.

 

Trackliste:
1. Akkeri
2. Drýsill
3. Rökkur
4. Her Fall from Grace
5. Dionysus
6. Til Moldar
7. Alda Syndanna
8. Or
9. Úlfur

 

 

Photo-Credit: Gaui H

 

4.2