Ogives – La Mémoire des Orages (Sub Rosa, 21.04.2023)

Eines Vorweg: Warnung, dieses Album macht hochgradig süchtig! Ich höre es jetzt seit Wochen in Dauerschleife! Sowas habe ich schon lange nicht mehr mit einem neuen Album erlebt!

Das erste Stück „La M​é​moire des Orages“ der Band Ogives beginnt mit tiefen Glockenschlägen. Zu diesen kommt dann zunächst eine sehr getragene Synthesizer-Spur, bevor dann klassischer Chorgesang einsetzt. Einstimmig, zweistimmig, mehrstimmig. Die klassischen Strukturen des Stückes sind packend, die Glocken schlagen unbeirrt weiter, der Gesang steigert sich in eine gewisse Euphorie oder Aggressivität, Blasinstrumente tupfen in den Sound und die Glocke, die schlägt immer noch unbeirrt weiter. Bis dann nach 6+ Minuten ein Inferno aus elektrischer Gitarre und Schlagzeug losbricht, über dem der Gesang immer mehr zu Schreien wird. Jedoch niemals, ohne die gute Stimme zu verlieren.

So die Beschreibung zum elfminütigen Einstieg der direkt mal fasziniert. Und die Scheibe hält was der Einstieg verspricht: klassische Musik, klassischer Gesang, Postrock, Metalklänge, wabernde und pulsierende Elektronik, Alternative Rock, Progressive Rock. Das ist keine Auflistung meiner bevorzugten Stile (könnte es aber sein) sondern das, was dieses achtköpfige Ensemble mit diesem Album über knapp 76 Minuten bietet.

So breitet sich der klassische Gesang im zweiten Stück „Patience III-IV“  über wunderbar verspielter akustischer Gitarrenmusik aus, nahe am Neo-Folk, verziert mit elektronischen Klängen und viel Hall. Und diese sirenenhaften Stimmen. Wunderbarster Alternative Rock kommt dann mit „Mighty Pumpkin“ daher. Der Beginn klingt nach einer Mischung aus Porcupine Tree (frühe) und Radiohead. Und wieder: dieser wunderbare, sirenenhafte Gesang. Hier gibt es auch Blasinstrumente, die dem verhuschten Stück neben der Postrock-Note auch noch einen jazzigen Anstrich geben. Was sage ich: Anstrich, zum Ausklang steigern sich die Blasinstrumente mit den Gitarren und den Synthies in eine wunderbare Orgie der Klänge.

“Black Furrows” packt dann erst einmal die Metal- und Progsounds aus. Ein kräftig rockendes Gewitter aus Gitarren, Bass, Schlagzeug und elektronischen Sounds fährt über den Hörer, bis es nach ca. vier Minuten in sphärische Gefilde geht und eine bedrohliche Atmosphäre aufgebaut wird. Abschließend kracht es auch noch mal schön, die Stimmungen wechseln eben sehr häufig, nicht nur in diesem Song.

Unglaubliche zehn Minuten dauert dieses Gewitter der Gefühle, von dem es keine einzige Sekunde zu viel ist.

Ich könnte Bände über jeden einzelnen der Songs dieses Albums schreiben. Es werden noch elektronische, ja fast poppige Beats mit eingebaut, und – sagte ich es schon – immer wieder diese wundervollen, sirenenhaften Gesänge. Das Album fasziniert von der ersten bis zur letzten Sekunde und dürfte gern auch noch länger laufen.

Gemischt und klangveredelt wurde das Album von Steve Albini, und dieser hat einen sehr guten Job gemacht. Die Songs klingen wuchtig und transparent, es wird mit der Lautstärke gearbeitet und soviel Dynamik wie hier habe ich schon lange auf keinem Album mehr erlebt.

Insgesamt ist das Ganze eher eine mystische, traurige Angelegenheit, aber immer wieder bricht die Sonne sich durch den dichten Mollklang.

Das Einzige, was stört ist die Tatsache, das die Songs leider nicht ineinander fließen. Das würde den Hörgenuss perfektionieren.

Ja, so kann ich nur mit den Worten enden: ein ganz, ganz heißer Anwärter auf das Album des Jahres! Schon lange nicht mehr habe ich ein Album derartig oft nacheinander gespielt, weil ich zum einem nicht genug von dieser unglaublichen Mischung bekomme und zum anderem bei jedem Hören noch Dinge entdecke.

Alle Musikliebhaber die Progrock, Rock mit Klassik, ja, vielleicht auch Gothik stehen, sollten sich dieses Teil besorgen. Weil es ganz groß ist! Und weil das Doppelvinyl für unter 20 € bei Bandcamp zu bekommen ist.

Fantastisch!

 

  1. Patience I-II
  2. Patience III-IV
  3. Mighty Pumpkin
  4. Black Furrows
  5. L’oubli / Von Nun and Drängt Die Zeit
  6. Mighty Pumpkin (reprise)
  7. Patience V-VI
  8. Epilogue

https://ogivesband.bandcamp.com/album/la-m-moire-des-orages

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