Postrock ist ein internationales Phänomen. Seine Entstehungsgeschichte ist, anders als bei verschiedenen anderen musikalischen Bewegungen, nicht an einen bestimmten Ort oder eine Gegend geknüpft. Egal ob Nordamerika, Europa, Asien oder Australien – Bands, die sich dieser Strömung angeschlossen haben, kamen von Anfang an aus allen Ecken der Welt. Aus letztgenanntem Kontinent stammen We Lost The Sea, die ursprünglich gar nicht als Postrock-Kapelle angetreten waren.
Wurden ihre ersten beiden Alben „Crimea“ und „The Quietest Place on Earth“ noch von (gutturalem) Gesang begleitet und lassen sich mehr als Doom-Metal- oder Sludge-Platten bezeichnen, änderte die Band nach dem tragischen Verlust von Sänger Chris Torpy, der sich aufgrund von Depressionen 2013 das Leben nahm, den Kurs. Das Drittwerk „Departure Songs“ von 2015 verarbeitet nicht nur den Verlust des Bandkollegen, es markierte auch den Einzug neuer Sounds abseits der vorher verfolgten Metalrichtung.
Als ich „Departure Songs“ zum ersten Mal hörte, war ich sofort hin und weg. Diese Form des Postrock, wie die Australier ihn spielen, ist zwar keine Neuerfindung des Rades und kennen wir bereits, neben noch vielen anderen, vorrangig durch Bands wie Caspian, This Will Destroy You oder pg.lost. Nur, was We Lost The Sea von jenen vielen anderen unterscheidet, ist die nahezu perfekte Ausführung dieser Postrock-Spielart. Die gelungene Inszenierung von Epik und Pathos, das Wechselspiel von Ebbe und Flut und die sie perfekt verbindenden Spannungsbögen sind Beweis für die Fähigkeit, nicht nur mit Sounds gut umgehen zu können, sondern diese auch in einem kompositorischen Sinne umsetzen zu können.
All das ließ „Departure Songs“ für mich zu einem der besten Postrock-Alben der 2010er werden und We Lost The Sea zu Anwärtern auf die Königsklasse, neben bedeutenden Größen wie Sigur Rós, MONO, Mogwai, Godspeed You! Black Emperor oder Explosions In The Sky. Das führt nun freilich zu einer ziemlichen Erwartungshaltung, was den Nachfolger angeht. Zunächst mal war ich gespannt wie ein Flitzebogen, als die Band bekannt gab, einen neuen Langspieler mit dem Titel „Triumph and Disaster“ zu veröffentlichen. Dann beschlich mich aber auch wieder die gleiche Sorge, die ich immer habe, wenn eine Band ein großartiges Album veröffentlicht. Wird es auch noch einmal so großartig? Kann die hohe Qualität beibehalten werden?
Ich weiß, dass das beileibe nicht einfach ist. Diamanten schreibt man nun mal nicht eben so und schon gar nicht am Fließband oder Reißbrett. Und der Erwartungshaltung und dem Druck des Publikums und der Fans standzuhalten ist auch nicht gerade einfach. Umso glücklicher bin ich darüber, dass es dem Sextett tatsächlich gelungen ist, einen würdigen Nachfolger vorzulegen. „Triumph and Disaster“ muss sich nicht hinter „Departure Songs“ verstecken. Und dabei geht es streckenweise einen ganz anderen Weg. Direkt zu Beginn werden wir mit flirrenden Gitarrenflächen mitten ins Geschehen geworfen. Der Opener „Towers“ verzichtet gänzlich darauf, uns langsam und dynamisch an das Album heranzuführen. Er setzt über knapp 15 Minuten lang sofort ein großes Ausrufezeichen.
Wesentlich genialer finde ich persönlich jedoch, was dann folgt: „A Beautiful Collapse“ spiegelt perfekt das Leitthema „Triumph and Disaster“ wieder. Das Stück beginnt harmonisch, wohlklingend und friedvoll, fast schon fröhlich verspielt, nur um sich nach kurzer Zeit in bedrohliche Klangwellen zu verwandeln, die eine erdrückende Hilflosigkeit vermitteln, der sich nur schwer zu entziehen ist und die düstere Atmosphäre mit ins anschließende Ambient-Stück „Dust“ mitnehmen.
Eine musikalisch dynamische Reise bieten auch „Parting Ways“ und „The Last Sun“, die abermals durch das Interlude-hafte „Distant Shores“ getrennt werden. Zum Abschluss gibt es noch einmal eine gehörige Partie Pathos mit einer von weiblichem Gesang begleiteten Ballade, die anfangs ein wenig nach ‚too much‘ klingt, dann aber grandios von der exzellenten Vocal-Performance von Gastsängerin Louise Nutting gerettet wird.
Es besteht für mich kein Zweifel: „Triumph and Disaster“ ist ein BIEST von einem Album. Es schafft den immens schwierigen Spagat, einerseits die Erwartungshaltung die sein Vorgänger erweckte zu erfüllen, andererseits aber auch den Sound der Band weiter auszubauen und „Departure Songs“ nicht einfach zu wiederholen. Es brilliert durch die gelungene Inszenierung von Dynamikwechseln ebenso wie durch die Logik seiner vielfältigen Sounds und Stimmungen. Es macht einfach alles richtig, was es richtig zu machen gilt und kann als Postrock-Album par excellence betrachtet werden. Jede_r, der/die sich nur ansatzweise für den Dunstkreis dieser Musik interessiert, dürfte an diesem Album kaum vorbeikommen. Darüber hinaus eignet es sich perfekt dafür, auch Nicht-Postrock-Enthusiasten zu demonstrieren, was dieses Genre so großartig macht. Ein Meilenstein.
01. Towers
02. A Beautiful Collapse
03. Dust
04. Parting Ways
05. Distant Shores
06. The Last Sun
07. Mother’s Hymn