Rado Havanna (Foto: ViktorSchanz)

Radio Havanna – Utopia (12.01.2018 Dynamit Records)

Durchschnittlich bringen Radio Havanna alle drei Jahre ein neues Album auf den Markt. Nachdem das letzte Album „Unsere Stadt brennt“ 2015 erschienen ist, kommt nun direkt zum Jahresbeginn das sechste Album „Utopia“  von Radio Havanna in die Läden. Die vier Jungs aus Suhl setzen dabei auf die gewohnte Mischung aus Punk, Pop und Politik. Erscheinen wird das Werk im kürzlich erst gegründetem, bandeignem Label Dynamit Records.

Bandfoto Radio Havanna
Radio Havanna – Bandfoto (Foto: ViktorSchanz)

Der erste Song trägt denselben Titel wie das Album und kommt ruhig daher. Utopia ist eine idealistische Gesellschaft, die nicht an die jetzigen historisch-kulturellen Rahmenbedingungen geknüpft ist und repräsentiert einen Fantasieort, der alle Ideale in sich vereint. Der Song versetzt uns an den Zeitpunkt, wenn aus der zerstörten, jetzigen Welt, Utopia gerade am Entstehen ist.

Mit „Früher oder Späti“ nimmt Radio Havanna den inneren Schweinehund ins Visier. Dieser Song passt gut zum Jahresanfang, an dem wir gute Vorsätze fassen, die leider viel zu selten gehalten werden.
Der Protagonist ist ein Mann mit Visionen und dem Gedanken eine Veränderung zu beginnen.
„Morgen fange ich an“, diesen Spruch kennen wir wohl alle von uns selbst und meist sagen wir ihn nach Wochen immer noch. Die innere Lähmung hält uns davon ab und wir finden oft genug eine Ausrede, jetzt doch nicht anfangen zu müssen. Ob es nun ein Bier wie im Song ist, das man eben noch trinken muss oder Serien, die man eben noch fertig schauen muss, mit der wir uns aber eigentlich nur vom Leben betäuben.

Mit „Faust hoch“ wird es zum ersten Mal richtig politisch. Der Song ist ein klassischer Aufruf sich dem wachsenden Rassismus entgegenzustellen und teilt aus gegen Pegida und Konsorten. Darüber hinaus bietet er aber keine weitere Überraschung. Er reiht sich unauffällig in die Reihe der „Sei dagegen“-Songs ein, ohne zwischen ihnen wirklich herauszustechen. Tanzbar ist er aber auf jeden Fall und ich bin mir sicher, dass er auf der neuen Tour für ordentliche Stimmung im Publikum sorgen wird.

Vom Älterwerden handelt das nächste Stück „Anti Alles“. Es ist eine Hymne an die Vergangenheit, die Jugend und die wilde Zeit, als man noch ohne viel zu Denken und mit viel Mut durchs Leben gegangen ist und die eigenen Ideale die Gestaltung des Selbigen bestimmt haben.

Das fünfte Lied „Homophobes Arschloch“ nimmt auf satirische Art einen klischeebesetzen homophoben Stereotypen auf die Schippe. Dieses Lied lädt einfach zum Mitgrölen ein und es macht einfach Spaß es zu hören.

Weiter geht es wieder mit einem ernsteren Song. „Mein Name ist Mensch“ ist eine große Hymne gegen die Konsumgesellschaft und den Kapitalismus. Auf starke Art wird der Menschheit hier der Spiegel vorgehalten. Durch die Spekulationen mit Lebensmitteln, der Ausbeutung der Natur und das Führen von Kriegen erkaufen wir uns den „Weltuntergang auf Kredit“. Für mich ist das definitiv der stärkste Song auf der Platte.

„Hassliebe“ reiht sich wieder in die Liste der klassischen Songmotive ein. Zwei Personen, die trotz oder gerade wegen ihrer Gegensätze lieben. Alles in allem ein eher unspektakulärer Song, der unter den anderen etwas untergeht.

„Schwarzfahrer“ greift die Forderung nach kostenlosem Nahverkehr auf. Er liefert aber selbst keine Argumente für diese Forderung, sondern behandelt nun den Schwarzfahrer, der aus Überzeugung nicht für sein Ticket bezahlt. Hier hätte man sicher etwas mehr in die Tiefe gehen können. So ist es zwar ein gut hörbarer Song, der aber nur wenig hängen bleibt.

Radio Havanna Bandfoto
Radio Havanna Bandfoto (Foto: ViktorSchanz)

Ein weiteres klassisches Motiv behandelt der Song „Ich hab die Zeit“. Hier gelingt das aber viel besser als bei „Hassliebe“. Es werden zwei unterschiedliche Charaktere gegenübergestellt. Der arbeitseifrige Erfolgstypus steht dem freiheitsliebenden Idealisten gegenüber. Richtig stark finde ich die Zeile „Du hast die Uhr, doch ich hab die Zeit“. Musikalisch macht der Song ebenso viel Freude. Die zahlreiche Tempowechsel und die melodische Abwechslung gehen gut ins Ohr.

Die letzten Songs passen thematisch gut zusammen.

„Housten“ handelt davon sich selbst zu verlieren und in der Hilflosigkeit gefangen zu sein. Er ist ein formulierter Hilferuf nach einem Ausweg aus dieser Situation. Der Text steht dabei im Gegensatz zur doch eher fröhlichen instrumentellen Begleitung. Viel mehr kann man zu diesem Lied gar nicht sagen, muss man aber auch nicht. Man hört den Song, erkennt sich selbst wieder und fühlt das Lied auf eine besondere Art. Wenn einem dies gelingt, hat man hier ein echt starkes Werk vor sich.

„Hinter mir“ kommt im Vergleich düsterer und negativer daher. Er behandelt die Themen Trennung und Abschied und die damit verbundenen Leiden. Dabei ist das Lied sehr schwarzmalerisch und beim ersten Hören habe ich mich mehrmals dabei ertappt, mir etwas mehr Hoffnung in dem Lied zu wünschen. Fast war ich dazu geneigt. den Song deswegen zu einseitig und damit nicht so gut zu finden.

Nachdem aber die ersten Zeilen von „Phönix“ den Weg in meinen Gehörgang gefunden hatten, wurde mir schlagartig klar, dass diese beiden Songs zweifelsohne zusammengehören. All die Positivität und den Mut, den ich in „Hinter mir“ vermisst habe, hämmert mir „Phönix“ ins Gehirn. Ein wirklich guter Motivationssong, der zwar wieder ein klassisches Motiv bedient, dies aber mit so viel Freude macht, dass man es ihm allzu gerne verzeihen möchte.

Radio_Havanna
Radio Havanna Utopia Cover

1. Utopia
2. Frueher oder Spaeti
3. Faust Hoch
4. Anti Alles
5. Homophobes Arschloch
6. Mein Name Ist Mensch
7. Hassliebe
8. Schwarzfahrer
9. Ich Hab Die Zeit
10. Houston
11. Hinter Mir
12. Phoenix

 

Was bleibt nun also nach mehrmaligem Hören der Platte übrig? „Utopia“ schafft es trotz einiger Kritikpunkte sicher in mein LP-Regal. Zwar stoße ich mich immer wieder an den einfachen „Haus-Maus-Reimen“ der Texte und mir fehlt auf der Platte die angekündigte Rebellion und das Leitmotiv einer utopischen Gesellschaft kann ich auch nicht so recht durchgängig erkennen. Das alles schafft es aber nicht, mich wirklich zu enttäuschen. Dazu schätze ich den Stil der Band viel zu sehr. Die Stimme und der Gesang stehen immer im Mittelpunkt und die instrumentale Begleitung verschwindet fast im Hintergrund. Das macht jeden Song sehr gut verständlich und rückt seine Message in den Mittelpunkt.

 

Wer sich selbst ein Bild von dem neusten Radio-Havanna-Werk „Utopia“ machen will, kann dies ab dem 12.01.2018 machen.

Natürlich gibt es zum neuen Album auch direkt eine Tour:

 

RADIO HAVANNA “Utopia”-Tour 

13.01. Berlin – Lido (500. Radio Havanna Show + Album-Releasekonzert)
05.04. Hamburg – Hafenklang
06.04. Bremen – Tower
07.04. Hannover – Faust
12.04. Frankfurt – Nachtleben
13.04. München – Backstage Club
14.04. Stuttgart – Kellerclub
20.04. Dresden – Scheune
21.04. Düsseldorf – Tube
27.04. Jena – Kassablanka
28.04. A-Wien – Arena

3.8