Wie sich eine Wiederauferstehung wirklich anfühlt – The Hold Steady in London

„Wisst ihr, wie sich eine Wiederauferstehung wirklich anfühlt?“ Craig Finn steht auf der Bühne des Electric Ballrooms in London und stellt den über 2000 anwesenden und überglücklichen Menschen mit einem breiten Grinsen im Gesicht diese Frage. Es ist eine berechtigte Fragte, eine legitime Frage. Vor ziemlich genau zwei Jahren schrieb ich an dieser Stelle über den Weekender, der jährlich stattfindenden Konzertreihe von THE HOLD STEADY in London und schloss den Text mit den Worten ab: „wir sehen uns nächstes Jahr wieder, selbe Zeit, selber Ort. The Weekender 2021.“ Da war ich wohl etwas zu zuversichtlich. Der Weekender 2021 fand natürlich nur digital statt, immerhin an zwei aufeinanderfolgenden Tagen und mitten in der dritten Coronawelle war es schön, sich an etwas Normalität festhalten zu können. Unsere kleine Konzertgruppe, von der ich vor zwei Jahren bereits berichtete, fanden uns ebenfalls digital zusammen, skypten vor und nach dem Livestream, tranken den Abend über Ale und bereiteten uns morgens ein full english breakfast. Wir klammerten uns an etwas, von dem wir Angst hatte, dass wir es nicht mehr erleben werden. Abgesehen davon war es der beste Livestream, an dem ich (buchstäblich) teilgenommen habe, weil die Fans auf Bildschirmen für die im leeren Club spielende Band zu sehen waren. Und nun gab es am vergangenen Wochenende unsere Wiederauferstehung in London zu feiern.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das ganze Wochenende war eine einzige Killer Party! Erinnert sich noch jemand, wie es sich anfühlt, den feuchten Atem der Person hinter einem im Nacken zu spüren? Erinnert sich noch jemand an den Schmerz, wenn jemand mit Martens einem auf die (Chucks-)füße springt? Das Gefühl von zwei verschwitzten Armen, die aneinander reiben oder besser glitschen, nasse T-Shirts am Körper, der Geruch von verschütteten Bier auf dem Fußboden des Saales. Das Ganze untermalt von Lichtblitzen, lauter Musik und der Ektase und unbändiges Glück von Tausenden von Menschen, die alle das Gleiche wollen. Das kann kein Krieg, keine Pandemie der Welt kleinkriegen.

Vor fast genau zwei Jahren waren The Hold Steady in London mein letztes (richtiges, ohne Auflagen wie Masken und Abstand und markierte Wege fürs Rein- und Rausgehen) Konzert. Nun ist es mein erstes Konzert nach der Pandemie. Zumindest in Großbritannien ist die Post-Pandamic Zeit angebrochen und ich bin mir nicht sicher, ob dies nicht doch der bessere Weg ist, aber um sich darüber Gedanken zu machen, ist dies nicht der richtige Ort. Es soll schließlich um The Hold Steady gehen und die Freude, die es diese Band schafft zu verbreiten. Zwischenzeitlich hatte der Sechser letztes Jahr das fantastische Album „Open Door Policy“ herausgebracht, dessen Songs am ersten Tag der Konzertreihe im Mittelpunkt stehen und es nahtlos schaffen, sich in das bisherige Werk einzufügen. Lieder wie „Spices“, „Family Farm“ und vor allem „Unpleasant Breakfast“ können jetzt schon als Klassiker angesehen werden und wurden sicherlich nicht das letzte Mal aufgeführt.

Aber es sind natürlich die Hits, die die Stimmung auf den Siedepunkt bringen. Bei „Stuck Between Stations“ liegen sich wildfremde Menschen betrunken (vom Bier oder vom Glück betrunken sei an dieser Stelle der Fantasie der hier Lesenden überlassen) in den Armen: „She likes the warm feeling but she’s tired of all the dehydration!“ Ich bin immer noch felsenfest überzeugt, dass das erste Märzwochenende das umsatzstärkste Wochenende des Jahres für den Club ist. „We drink along in double time, might drink too much, but we feel fine”, heißt es beim Opener des Abends “Constructive Summer”und schon gibt es kein Halten. Die ersten Reihen werden gegen die Barriere gedrückt, unzählige Arme und Bierbecher in die Luft gerissen. „Raise a toast to St. Joe Strummer“, heißt es in dem Song weiter, „he might been our only decent teacher.” Vielleicht wäre diese Welt dann wirklich eine bessere!

Zeitweise stehen acht Menschen auf der Bühne. Wer The Hold Steady nicht kennt (hat eh was verpasst), muss/darf/kann sich vorstellen, wie Springsteen mit seiner Kern-E-Street Band in einem Kellerklub auf einer kleinen Bühne steht und sich durch seine Lieblingspunksongs covert. Roh, laut, ungestüm, aber trotzdem melodiös – von Orgel- und Bläsersätzen durchzogen.

Das Hauptset des ersten Abends schließt mit dem Song „How A Resurrection Really Feels“ – und genauso fühlt sich dieser Abend an – wie eine Wiederauferstehung – vergessen sind zwei Jahre Pandemie, selbst der Krieg wird nicht auf der Bühne thematisiert. Einzig Franz Nicolays Keyboard ist in den entsprechenden Farben dekoriert. Und das ist genau richtig so! Zwei Stunden diese ganze Scheiße vergessen, dafür wurde diese Bar Band gegründet.

Stand am ersten Abend mit sechs gespielten Songs das neue Album Open Door Policy im Mittelpunkt, werden der Schwerpunkt am zweiten Abend auf das Kritikerdurchbruchsalbum Separation Sunday, so wie das vorletzte Werk Trashing Through The Passion gelegt. Dabei gehen weder Band noch Publikum weniger euphorisch ans Werk. Die Hits „Stuck Between Station“ und „Constructive Summer“, „Lanyards“ vom neuen Album und der Abschlusssong in der Zugabe „Killer Partys“ werden erneut gespielt. Ansonsten gibt es wenig Überschneidungen. Im Gegenteil, zum ersten Mal fehlen Lieder, die sonst ihren festen Platz im Set hatten. „First Night“ wäre an erster Stelle zu nennen, „Party Pit“ hat es nur an einem Abend ins Set geschafft. (Oh ho, äußere ich hier tatsächlich so etwas wie Kritik?) Sowieso entschied sich die Band am ehesten auf Songs vom Album „Boys & Girls In America“ zu verzichten, die sonst den Mittelpunkt der Konzerte bildeten. So ist es eben, wenn eine Band ihr mittlerweile achtes Album draußen hat. Über das Wochenende verteilt werden fast alle Lieder von Separation Sunday gespielt. Und auch ein Großteil der Lieder vom ersten Album Almost Killed Me findet den Weg ins Set.

Traditionell steht das erste Album am letzten Abend im Fokus. Es ist die Show, die in einem wechselnden kleinen Club in London gespielt wird. Dieses Jahr fand das Abschlusskonzert am Sonntag im Moth Club in Hackney statt. Ab nachmittags treffen sich bereits Fans in einem nahen Pub und schwelgen gleichermaßen in Erinnerung an die vergangenen zwei Tage und verspüren eine euphorische Melancholie in Erwartung des letzten Abends. Euphorisch, weil es selbstverständlich ist, dass ein weiterer toller Konzertabend bevorsteht und melancholisch, weil sich bereits das Wissen einstellt, dass die Flucht in eine Rock’n’Roll Parallelwelt kurz vor dem Ende ist. Ein letztes Mal noch „Killer Partys” – “If she said we partied I’m pretty sure we partied. We woke up in Ybor (London) City!“ Dann hat sich der Kreis zwischen 2020 und 2022 geschlossen.

Bereits am nächsten Tag müssen die meisten wieder zurück in den Alltag. Was bleibt, sind die Erinnerungen an ein Wochenende, an tolle Konzerte, tollen Menschen und Begegnungen, jeder Menge Bier, ein wenig Kater und ganz viel Freude auf und vor der Bühne. Ich schreibe es an dieser Stelle noch mal, London – wir sehen uns wieder. The Weekender 2023!

Der Weekender ist eine Erinnerung daran, wie schnell die Welt sich ändern kann und das jeder Moment und dieser ganz besonders gewährtschätzt werden muss. Ich habe jetzt nur das Problem, dass sich jedes weitere Konzert mit diesen Shows messen lassen muss. Und das wird kein leichtes Spiel. Nächsten Monat will Frank Turner nach Bremen kommen, schauen wir mal, was der Brite (und The Hold Steady Fan) dann noch so auf den Kasten hat.

Es bleibt die Hoffnung, dass die Welt wieder ein stückweit normaler wird und Musik mit seiner verbindenden Kraft kann sicherlich einen Teil dazu beitragen. Und dann wachen wir nächstes Jahr wieder in London City auf.

 

Bild & Text: The faboulus Claas Reiners (HB-People)