Trümmer – Früher war gestern (PIAS/Rough Trade, 17.09.2021)

… und dann war es wieder da.

Manche Kausalzusammenhänge sind einem exkluisv beschenkt:
So verdanke ich der Spex bzw. ihrer 2013 im Kölner Artheater gastierenden Monsters of Spex-Tour, Messer und Trümmer immer in einem Atemzug wahrzunehmen.

Während mich Messer seitdem durchgehend begleiteten und beglückten, verlor ich nach meiner Euphorie um ihr Debüt (“In all diesen Nächten oder Wo ist die Euphorie tagugen mir immer noch als Hymnen) Trümmer etwas aus meinen Augen. Interzone wusste zu gefallen, erreichte mich bereits nicht mehr so sehr. …und dann verlor ich Trümmer ziemlich aus meinem Blickfeld.

Paul begegnete ich an der Seite von Ilgen Nur wieder, von Tammo hörte ich produzierte bzw. auf seinem Label veröffenlichte Musik. Nur von Trümmer selbst vernahm ich nichts mehr.

Umso überraschter und erfreuter war ich dann, als Jens ins virtuelle Rund fragte, ob sich denn nicht jemand an einer Rezension von Früher war gestern versuchen wolle. Auch wenn Rezension vielleicht das falsche Wort für diese Zeilen sind. Vielleicht trifft es Lobhudelei besser.

Früher war gestern holt mich dort ab, wo ich nach nach ihrem selbstbetitelten Debüt verloren ging: ihr Pendeln zwischen Resignation und Aufbruch taugt als perfekter Soundtrack dieser Tage.

„Ich schau mich um und sehe eine Welt / In der nichts stimmt und mir nichts gefällt / Und ich denk: Es ist alles zu spät / Die Fakten liegen auf dem Tisch / Es ist fünf vor zwölf und es tut sich nix.“

Wirkt diese Zeile trostlos und resignativ bricht die Musik damit, nimmt einen mit, zurück in die Anfangstage der Band, nur tighter.

„Es sollte wieder mehr nach unseren Konzerten klingen und ein bisschen dreckiger sein als das letzte Album.“

Paul versucht dabei die Stimmung und den Tonfall der musikalischen Vorbilder – Fontaines D.C., Strokes oder The Yeah Yeah Yeahs ins Deutsche zu retten. Es gelingt wunderbar. Ebenso wie der gewagte Spiel mit dem Pathos. „Ja“, gibt Paul gerne zu, „das ist mir durchaus bewusst, dass es immer kurz vor Pathos ist – oder manchmal auch bewusstes Pathos. Aber wie soll es denn anders sein in einem Popsong, wo man nur drei Minuten 30 zur Verfügung hat? Da muss man ja verknappen und verkürzen und übertreiben und so! Und wir wollen schon unser Publikum irgendwann mit der linken Faust gen Himmel sehen.“

Dank Tammo ist die neue Platte in erster Linie ein verdammt gutes Gitarrenalbum, ein Gitrarrenalbum mit unheimlich guter Lyrik. So übt sich Paul z.B. bei Aus Prinzip gegen das Prinzip in Intertextualität, jongliert spielerisch mit Slogans und Zitaten von Klassenkampf bis Psychotherapie und Popkultur:
Sätze wie „Verwende Deine Jugend!“ oder „Deprimier die Depressionen!“ möchte man sich borgen, könnte man sich aber zeitgleich auf neoliberalen Wahlplakaten vorstellen und dementsprechend verachten. Bei Trümmer passen und gefallen sie.

„Es gibt so viele starke Sätze, die eigentlich mal empowernd gemeint waren, inzwischen aber so beschissen neoliberal klingen, weil sie von denen instrumentalisiert wurden.“ Die wolle er mit seinem lyrischen Spiel nun wieder positiv besetzen. „Überhaupt“, sagt Paul, „kann ich ja auch einfach mal zugeben, dass ich diesmal wirklich sehr viel Arbeit in die Texte gesteckt habe. Mach ich natürlich immer, aber vor allem zeitlich war es diesmal intensiver. Und ich glaube, das hört man den Songs durchaus an. Ich habe in den letzten Jahren ein bisschen mehr Ehrfurcht vor der Musik gelernt und mich richtig intensiv mit Songwriting beschäftigt, mit dem handwerklichen Aspekt des Musikmachens.“

Neben Slogans am Rande des Pathos finden sich Lieder voll verletzlicher Emotionalität (“Zwischen Hamburg und Berlin oder “Weißt Du noch) wie auch mit der Wut (und Melodie) von Punk (“Draußen vor der Tür) auf “Früher war gestern. Punk ist dabei die kleinste gemeinsame „Schnittmenge“ der Band. Hinter besagtem Lied steckt aber auch ein Reflexionsprozess: „Rassismus vor der eigenen Haustür [ist] ein Riesenproblem“, aber wie könne man als nicht vom Rassismus unmittelbar betroffener, priviligierter weißer Mann überhaupt darüber schreiben ohne in Betroffenheits-Lyrik zu verfallen. Die Antwort liefert die Musik: „Für mich ist diese Wut eine sehr reelle Emotion, weil ich wirklich Wut habe auf diese blöden AfD-Typen, weil die einem die Begriffe klauen und die Leute verarschen.“ Und dann hat das Lied aber noch die weitere Ebene durch die Titelanleihe an ein Theaterstück Borcherts, dass unsere Verdrängung unserer deutschen Nazigeschichte thematisiert.

Überhaupt Privilegien. Trümmer setzte sich viel damit auseinander. Gerade weil die „wirklich großen Pop- und Indie-Alben in den letzten Jahren von Künstlerinnen stammen“ fragten sie sich, ob es eine weitere „Vier-Typen-Indie-Band“ im toxisch maskulinen Musikbuisness braucht. Zumindest ich kann diese Frage eindeutig mit ja beantworten, zumal ja auch Tammo meint:

„Diese Art von Macker-Rock hat uns musikalisch noch nie interessiert. Wir wollten immer möglichst weit weg von einer Rockband entfernt sein, wo der Gitarrist den Fuß auf der Monitorbox hat und headbangt. Das ist einfach so alt und interessiert wirklich niemanden mehr.“ Das ist ihnen erneut gelungen.

Tracklist:
1. Wann wenn nicht
2. Aus Prinzip gegen das Prinzip
3. Weißt du noch
4. Scherben
5. Dort
6. Der Regen
7. Draußen vor der Tür
8. Kintsugi
9. Zwischen Hamburg & Berlin
10. Tauben an der Ihme
11. Wie Spazieren geht

Foto: Tim Erdmann

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