The Flatliners – Inviting Light (Rise Records, 07.04.2017)

Man soll ja immer die Wahrheit sprechen. Klar, eine lobenswerte Maxime, der ich häufig auch versuche zu folgen. Aber was, wenn man bestrebt ist eine ehrliche Meinung auszudrücken, sich diese aber partout nicht einstellen möchte? Ein ganzes Wochenende habe ich jetzt über dieser Platte gebrütet, ohne zu einer definitiven Aussage kommen zu können. Daher habe ich auch schon die V.Ö. verpasst. Asche auf mein Haupt.

The Flatliners sind eine der Bands, die mir über die Jahre wirklich ans Herz gewachsen sind. Meine erste Platte war 2007 das Fatwreck-Debüt „The Great Awake“, eine grandiose Mischung aus Punk, Hardcore und einigen interessant implementierten Ska-Elementen, die noch aus der Prä-Fatwreck-Ära stammten. Mittlerweile befinden wir uns in der Post-Fatwreck-Phase der Flatliners, die sich nach drei Studioalben, dem Re-Release ihres Debüts „Destroy To Create“ und der B-Seiten-Compilation „Division Of Spoils“ sowie einer ganzen Reihe an 7inches nun von Fat Mikes Label verabschieden.

Dieser Abschied macht sich musikalisch auch sofort bemerkbar. Während das kanadische Quartett schon immer sehr vielseitig war, und auf ihren bisherigen vier Alben eine zeitweilig recht bunte Mischung aus Ska zu Beginn der Karriere, Punk und Melodycore mit Hardcore-Elementen während der Fatwreck-Ära und Mid-Tempo-90s-Emo-Punk-Elemente á la Samiam, Jawbreaker und The Lawrence Arms zusammenspielte, ist die musikalische Gradwanderung auf „Inviting Light“ abermals immens.

Man mag es beim Hören des Openers „Mammals“ auch kaum glauben, dass diese Formation einst einen Ska-Hintergrund hatte und zwischenzeitlich mal der heiße Shit bei Fatwreck gewesen ist. Das Ganze klingt jetzt viel mehr nach Alternative-Rock mit Grunge-Einflüssen, die in der Weite des Sounds an Pearl Jam oder Silverchair erinnern. Außerdem scheinen eine Akkord-Progressionen, zumindest für mich, recht deutlich in Richtung Foo Fighters zu deuten. Sänger und Songschreiber Chris Cresswells göttliche Stimme ist aus nicht nachvollziehbarem Grund an vereinzelten Stellen mit seltsamen Megaphon-Vocal-Effekten belegt worden. Das macht meiner Meinung nach besonders vor dem Hintergrund, dass es gerade diese Stimme ist, die mit ihrer unverwechselbaren Klangfarbe einen großen Teil des Charmes der Band ausmacht und in jedem Fall ohne jegliche Effekte auskommen dürfte, keinen Sinn.

Für Flatliners-Fans der ersten Stunde kann das alles mitunter befremdlich wirken. Auf der anderen Seite war eine weitere Soundwandlung der Kanadier aber auch absehbar. Denn die vier jungen Männer aus Ontario sind ihre gesamte Karriere selten in nur einem einzigen Stil oder Genre beheimatet gewesen. Dass sich mit einem Labelwechsel also erneut die Möglichkeit für Veränderung bietet, sollte nun also nicht allzu schockierend sein.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt kann ich mich allerdings immer noch nicht entscheiden, ob ich diesen erneuten Stilwechsel gut oder schlecht finde. Es gibt Dinge, die mir nicht gefallen. Einige, wie aus Verlegenheit geschrieben wirkende Songs wie „Hang My Head“ oder schlichtweg langweilige Nummern wie „Unconditional Love“, die wie ein gewolltes aber nicht hundert Prozent gekonntes Weezer-Cover klingen. Es gibt aber auch Dinge, die mir sehr gut gefallen. Beispielsweise die Unvorhersehbarkeit von Stücken wie dem Opener „Mammals“, Abwechslungsreichtum in Songs wie „Nicotine Lips“ und die dann im letzten Drittel des Albums doch noch auftrumpfende Über-Hymne „Sympathy Vote“, die einmal mehr das gesamte Können Cresswells unter Beweis stellt. Gerade bei den abwechslungsreicheren Stücken, zu denen z.B. auch „Indoors“ und „Burn Out Again“ zählen, habe ich das Gefühl, dass diese das Potential haben, in den Ohren der Hörer zu wachsen.

Am Ende bleibt also die Notwendigkeit, sich mit einer ziemlichen Gradwanderung im Sound der Band anzufreunden bevor man das Potential dieser Platte wirklich abschätzen kann. Auf die Dauer wird dieses Album vielleicht doch auch die Fans der ersten Stunde auf seine Seite ziehen können, fest steht in jedem Fall, dass das ontarische Quartett sich mit „Inviting Light“ vor allen Dingen auch eine vollkommen neue Hörerschaft wird erschließen können.

 

01. Mammals
02. Hang My Head
03. Nicotine Lips
04. Indoors
05. Human Party Trick
06. Unconditional Love
07. Burn Out Again
08. Infinite Wisdom
09. Sympathy Vote
10. Wedding Speech
11. Chameleon Skin
12. No Roads

The Flatliners sind jetzt im April übrigens auf Tour mit The Dirty Nil und The Menzingers. Zwei Termine im Ausland sind schon ausverkauft, empfehlen können wir natürlich die Show im Münsteraner Skaters Palace bei unseren Freunden von Uncle M auf dem diesjährigen Uncle M Fest.

 

4.3