Pulley – Matters (Epitaph, 06.04.2004)

Gleich einmal vorab. Ich habe die dieswöchige Classic-Review verschwitzt. So ist das manchmal zwischen den Jahren. Man hat den Kopf überall, nur nicht bei der Sache. Nichtsdestotrotz möchte ich es mir selbstverständlich nicht nehmen lassen, ein letztes Mal für dieses Jahr einen Klassiker zu besprechen. Mea Culpa.

Meine Wahl fällt auf das 2004 erschienene, letzte Album der Jungs von Pulley für den Indie-Titanen Epitaph, das auf den Namen „Matters“ hört. Zu diesem Zeitpunkt war der in den 90ern immens populär gewordene, melodische Arm des Punk/HC-Kosmos, der mal hier unter dem Begriff Melodycore, mal dort unter dem Begriff Skatepunk und gefühlt noch unter einigen weiteren Termini auftaucht, lange tot. Vergangen war die Glorie von Bands wie Lagwagon, No Use For A Name, Good Riddance, Strung Out und Weiteren. Eine passionierte Szene existierte natürlich nach wie vor. Gerade ein Jahr zuvor, 2003, war das (erste) Reunion-Album von Lagwagon mit Namen „Blaze“ frenetisch gefeiert worden und gehört auch meiner Meinung nach in die Oberliga ihrer Diskografie. Wie eigentlich so gut wie jeder ihrer Tonträger. Andere Geschichte.

Die ganz großen Absatzzahlen, die ganz große Aufmerksamkeit, die immens zentrale Rolle von Kult-Labels wie eben Epitaph oder auch Fatwreck-Chords, war zu diesem Zeitpunkt aber weitestgehend verblasst. Das hielten Pulley zum Glück nicht davon ab, nach ihrem legendären und unter Fans und Kritikern vermutlich beliebtesten Album „Together Again For The First Time“, noch ein weiteres Album in der Post-Glorie des Melodycores herauszubringen.

Pulley sind ein Kind eben dieser 90er-Jahre Skatepunk-Whatever-Szene und ursprünglich eine Art All-Star-Band gewesen. Gründer und Sänger Scott Radinsky war schon in den 1980ern in der HC-Kapelle Scared Straight aktiv, die sich Anfang der 1990er in Ten Foot Pole umbenannte. Zeitgleich strebte der gute Mann allerdings auch noch eine professionelle Baseball-Karriere als Pitcher der Chicago White Sox an, was 1995 dazu führte, dass er nach gut zehn Jahren seine alte Band verließ. Ten Foot Pole hatten es ein Jahr zuvor mit dem Album „Rev“ mittlerweile auf das, zu diesem Zeitpunkt, angesagteste Punklabel Epitaph geschafft. Damit war das Thema Musik für den professionellen Sportsman jedoch nicht erledigt. Nach der Verlegung seiner Karriere zurück nach Kalifornien, wo er ab 1996 für die Los Angeles Dodgers spielte, gründete er dann Pulley und konnte Jordan Burns und Jim Cherry von Strung Out, sowie Matt Riddle von Face To Face, später No Use For A Name, verpflichten. Auf dem Debüt-Album „Esteem Driven Engine“ von 1996 fand sich somit schon einiges an Szene-Prominenz zusammen.

Das Line-Up blieb in dieser Konstellation allerdings nicht lange bestehen. Die Hauptbands der diversen Mitglieder erforderten schnell wieder ihre gesamte Aufmerksamkeit. So wurde Pulley aber auch zu mehr als einem All-Star-Projekt für ein Album. Nachdem die fehlenden Positionen Schlagzeug und Bass sukzessive ersetzt waren, veröffentlichten die Kalifornier zuerst das sperrige „60 Cycle Hum“, das wesentlich melodischere Self-Titled-Album inklusive humorvoller Cover-Art-Hommage an Bad ReligionsSuffer“, das bereits erwähnte „Together Again For The First Time“ und dann „Matters“, das Album, das für mich zur Herzensangelegenheit wurde.

Aber warum dann ausgerechnet dieses Album als Classic? Innerhalb der Diskografie bereits der fünfte Release, zu einer Zeit als die Hochzeit von Band und Genre bereits verstrichen waren? Einfach. Nicht weil ich opportunistisch, hip oder distinguiert wäre (hab ich schon versucht, bin ich einfach nicht, vielleicht auch gut so), sondern weil ich nun mal ausgerechnet zu diesem Album eine besondere Beziehung habe. Ich war 16 und mit den Epitaph-Flaggschiffen à la Bad Religion, NOFX, Pennywise und wie sie weiter heißen bereits bekannt, weniger jedoch mit den Bands, eine Bekanntheits-Liga darunter, zu denen Pulley sicherlich zählen. „Matters“ war das Album, das mich dazu animierte, immer weiter zu graben, egal wie wichtig es ist, sich über die bekanntesten und oft auch wichtigsten Vertretern eines Genres, eines Stils, einer Bewegung, zu informieren. Noch wichtiger ist es, seinen eigenen Zugang zu einem Genre zu finden und nicht aufzuhören nach Bands zu suchen, wenn man sich mit einer Ästhetik verbunden fühlt.

Und weil ich mich bis zum heutigen Zeitpunkt daran erinnern kann, wie ich die Platte zum ersten Mal gehört habe. Mein Vater und ich hatten, nachdem wir im Elektronik-Großmarkt waren, wo ich die CD (ich fing erst ein Jahr später mit Vinyl an) erstanden hatte, meine Oma besucht. Während die Erwachsenen also irgendwas am Haus werkelten, nutzte ich die Gelegenheit, um das Wohnzimmer und so auch Omas Stereo-Anlage in Beschlag zu nehmen. Seit dem ersten Hören haben mich diese Erinnerung, der Sound des Albums und die exquisiten Songs darauf nie wieder losgelassen. Es war mein Zugang zur kalifornischen Szene, abseits der Titanen. Das war und ist mir bis heute wichtig.

pulley_matters

01. A Bad Reputation
02. Blindfold
03. Huber Breeze
04. Insects Destroy
05. Looking Back
06. Poltergeist
07. Immune
08. YSC
09. Stomach Aches
10. I Remember
11. Suitcase
12. Thanks