Photo-Credit: Alex Lake

Porcupine Tree auf Comeback-Tour (04.11.2022 in Stuttgart, Porsche Arena)

Als Porcupine Tree vor zwölf Jahren in London ihr letztes Konzert spielten, war noch nicht klar, dass die Band in einen langen Dornröschenschlaf hinüber gleiten sollte. Bandkopf Steven Wilson trieb derweil seine Solokarriere intensiver voran und avancierte endgültig zum quasi Progrock-Superstar (auch wenn er sich gerne nicht als solcher sehen mag). Das Ende dieser Fahnenstange schien dann mit „The Future Bites“ (2021) erreicht. Eine Tour und weitere Aktivitäten dazu wurden durch die andauernde Covid-Pandemie jäh abgewürgt. Dafür war es umso überraschender, dass alsbald die Reaktivierung von Porcupine Tree mit neuem Album und einer ausgedehnten Tour angekündigt wurde. Ganz klar, dass für eine Station davon sofort eine Karte hermusste. Hätte doch nicht gedacht, dass ich das noch mal erleben darf…

…und das Warten hat sich gelohnt! Was Porcupine Tree an diesem Abend in der Porsche Arena zu Stuttgart präsentierten, war einfach grandiose Tonkunst. Perfekt ausbalancierter Sound, eine hervorragend eingespielte Band, gutes Licht mit passenden Hintergründen auf einer großen LED-Wand (hier recycelte man teilweise Filmchen von alten Touren) und ein Publikum, welches den Musikern einfach aus der Hand fressen wollte. Beste Voraussetzungen also für einen gelungenen Abend, bei dem die Band ganz selbstbewusst ihr komplettes Album Stück für Stück in die Setlist packte.

Dem Altfan machte man den Start aber nicht besonders schwer. Die Aufregung stieg, als um 20.15 Uhr das Intro erklang. Die Gefühle explodierten, als die ersten Riffs vom knapp zwei Jahrzehnte alten „Blackest Eyes“ durch die Boxen drangen. Die Leute waren begeistert und Steven Wilson bei der folgenden Ansprache erfreut, wie sehr das Publikum mittlerweile gewachsen ist. Die Jahre als erfolgreicher Solokünstler haben sich somit am Ende auch für die Herren Richard Barbieri und Gavin Harrison ausgezahlt. Letzterer war (mal wieder) der heimliche Star das Abends. Sein gewitztes und grandioses Schlagzeugspiel ist stets eine Show für sich und nach dem Ableben von Neil Peart (Rush) dürfte ihm der verwaiste Thron als bester Progrock-Drummer durchaus zustehen.

Die neuen Songs, welche auf Platte bisweilen kalt wirkten, fügten sich bestens ins Set ein und kamen nicht mehr fremd rüber. Erwartbare Highlights: das rhythmische „Harridan“, das das erste Set beendende „Chimera’s Wreck“ sowie das düstere „Herd Culling“ mit beängstigenden Hintergrundbildern. Dazwischen gab es auch weiche Momente in Form des schwebenden „Even Less“ oder des fast schon lieblichen „Drown With Me“. Die Bandbreite von Porcupine Tree kam also auch an diesem Abend bestens zur Geltung. Gut zur Geltung kamen auch die beiden neuen Livemusiker – Bassist Nathan Navarro und Gitarrist/Background-Sänger Randy McStine, der überraschend viel klanglichen Raum einnehmen durfte. Steven Wilson gab ihm gar den Platz des Leadgitarristen.

Also keine so große Spur von selbstbeweihräuchernder Überheblichkeit, auch wenn der Mann ansonsten durchaus eindeutig nicht nur als Sänger im Vordergrund steht. So ließ er es sich nicht nehmen ganz selbstbewusst eine prophetischen Fähigkeiten des Textes zu „The Sound of Muzak“ von 2003 hervorzuheben, bei dem er bereits damals im Rahmen der Digitalisierung die Befürchtung hatte, dass Musik nur zum schnell konsumierbaren „Content“ wird. Spotify & Co. lassen grüßen…

Nach rund 80 Minuten gönnten sich die Musiker eine Pause, nur um danach noch einmal für ein zweites Set zurückzukehren. Und jenes war nur so mit Highlights gespickt. Unter anderem mit dem epischen „Anethetize“, dem düsteren „Sleep Together“ und der dreiteiligen Zugabe aus dem nur von Steven und Richard vorgetragenen „Collapse The Light Into Earth“, dem düsteren „Halo“ (inklusive Geburtstagsständchen für den Bandkopf) sowie dem unvermeidlichen „Trains“ (ihr einziger Semi-Hit, laut ihrem Frontmann), bei dem die Interaktion von Band und Publikum einfach stark war.

Der Applaus am Ende war (zu Recht) sehr laut und die fünf Musiker genossen sichtlich die Kulisse. Wenn man genau hinschaute, konnte man als Novum sogar die drei alten Herren während des Konzerts immer wieder lächeln sehen. Ob es das nun wirklich mit Porcupine Tree gewesen sein soll? So kann ich mir das jedenfalls nicht vorstellen!

 

Setlist:
Blackest Eyes
Harridan
Of the New Day
Rats Return
Even Less
Drown With Me
Dignity
The Sound of Muzak
Last Chance to Evacuate Planet Earth Before It Is Recycled
Chimera’s Wreck

Fear of a Blank Planet
Buying New Soul
Walk the Plank
Herd Culling
Anesthetize
I Drive the Hearse
Sleep Together

Collapse the Light Into Earth
Halo
Trains

 

Photo-Credit: Alex Lake