David -The Hymn – ein Interview mit Thomas Olivier von Parzival

Ende Oktober erschien eines der wohl überraschendsten Alben dieses Jahres. Nicht nur weil ParzivalsDavid – The Hymn” das erste Album der Krautrocklegende seit fast 50 Jahren war, sondern vor allem weil es sich als weltmusikalisches Rockalbum allerbester Qualität herausstellte und nebenbei auch noch viel zu sagen hat.

Genauso spannend wie die Musik und die Geschichte auf dem Album ist aber auch die Geschichte der Entstehung des Albums. Man fragt sich ja wie so etwas abläuft, wenn Musiker über Jahrzehnte nicht zusammen arbeiten und dann plötzlich ein Album (und dann auch noch ein solches!) raushauen. Aber ganz so ist es ja auch nicht gelaufen, wie uns Thomas Olivier, der Initiator der Veröffentlichung im folgenden Interview berichtet. In diesem erzählt er nicht nur über das Werk, sondern er gibt auch ein wenig Einblick in die 70er Jahre und im Zusammenhang mit diesen natürlich auch über die damalige Zusammenarbeit mit Conny Plank. Aber der Fokus liegt natürlich auf Ihrem aktuellem Meisterwerk “David – The Hymn”. Das Interview führte ich via E-Mail mit Thomas Olivier.

 

 

Hallo Thomas, erst einmal herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung von “David – The Hymn”, dem ersten Album Parzivals seit fast 50 Jahren. Erzähl doch mal bitte, wie es dazu kam, dass ihr Euch wieder in der Originalübersetzung von 1972 zusammengetan habt, um dann gleich ein so großes Doppelalbum aufzunehmen?

Danke für die Blumen! Die Entstehung von “David” Anfang der 1990er Jahre war eine merkwürdige Mischung aus Sinn und Zufall, ein langer Prozess. Songs wurden geschrieben, umgestaltet, wieder verworfen, als Demos aufgenommen. Selbst alte Lieder aus der Anfangsära von Parzival kamen in die Vorauswahl. Monatelang saß ich an den Mischpult-Reglern. Ich entwarf die Arrangements, sang in meinem Homestudio die Haupt- und Chorstimmen und spielte sämtliche Instrumente ein. Bald entwickelten die Songs ein Eigenleben, die Musik und die Inhalte wurden komplexer. Popmusik und Klassik mischten sich mit afrikanischen und arabischen Klängen. Vieles erinnerte musikalisch an Parzival.

Damals traf ich auf den Hamburger Musiker und Tonmeister/Produzent Dieter Faber, der mit Karat, den Prinzen, Nena, Lindenberg und Rolf Zuckowski arbeitete. Meine ersten Songideen weckten bei ihm sofort das Interesse: „Du musst damit ins Studio! Das klingt wie Filmmusik!“ Ohne Dieter wäre das Album nie zustande gekommen. Er ist ein sehr kreativer Musiker und Produzent, der sich in eigenwillige und manchmal launenhafte Künstlerseelen einzufühlen weiß. Oft hatte er im richtigen Moment die richtige Idee parat.

Kurz zuvor hatte ich meine musikalischen Weggefährten von Parzival wieder getroffen. Lothar war inzwischen ein gefragter Medien-Designer. Er hatte sich u. a. der Fotografie und dem Schreiben von Lyrik und Kurzgeschichten zugewandt. Walter konnte auf eine erfolgreiche Karriere als Tonmeister und Produzent zurückblicken. Er war verantwortlich für zahllose magische Momente in der internationalen Jazz- und Weltmusik-Szene und mit tollen Musikern wie Kraftwerk, Jan Garbarek, Joachim Kühn, Pat Metheny, Eric Clapton, Jack Bruce, Michael Wollny und der NDR-Bigband gearbeitet. Wir hatten uns längst wieder versöhnt, und wir verabredeten uns zu einem spontanen Konzert in Bremen. Bis auf den Cellisten in Originalbesetzung. Das Publikum war begeistert. Und wir spürten, dass Parzival immer noch gegenwärtig war. So kam es dazu, dass Parzival wieder auferstand.

 

Aufnahme des Titels „Keep Your Eyes On Us“ (Avalokiteshvara) mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg. Dirigent: Hans-Jürgen Knipphals. Foto: Hardy Brackmann

 

Wenn der Beginn der Arbeit bis ins Jahr 1991 zurückliegen, habt ihr nun vermutlich auch einen Rekord in der Kategorie “längste Produktionszeit”. Aber im Ernst, wie muss man sich das vorstellen? Habt ihr die Arbeit an irgendeinem Punkt für längere Zeit eingefroren? Wenn ja, warum? Was war der Grund für diese lange Dauer?

Ich habe allein für dieses Projekt mehr als 100 Songs entworfen, von denen schließlich nur 23 Titel auf das Album kamen. Zudem war ich eingebunden in meine Presseagentur „Thomas + Thomas“ in Hamburg und später als Autor für Bücher und Reportagen. In der Zeit war ich oft unterwegs, führte diverse Interviews mit Leuten aus der Musik- und Filmszene. Von Paul McCartney, Peter Ustinov bis hin zu Elton John. Außerdem war ich noch als Kinderliederinterpret für die CDs von „Pettersson & Findus“ und auch als Studio-Musiker beschäftigt. Auch Walter Quintus war als Tonmeister/Produzent von der NDR-Bigband, Jack Bruce und anderen stark eingebunden. Von sämtlichen Songs des Albums habe ich vor der offiziellen Produktion in meinem Hamburger Homestudio Demoaufnahmen produziert, mit sämtlichen Instrumental- und Vokalstimmen etc. Das alles kostet viel Zeit und Energie. Außerdem war das Projekt ja auch zu finanzieren. Bei der Größe kein Kleckerkram. Das ging nur nach und nach.

 

Co-Produzent und Tonmeister Dieter Faber (git, bass, keys) im Faberton Studio, Hamburg. Foto: Hypertension

 

Was war es für ein Gefühl nach all den Jahren mit den beiden Kollegen wieder zusammen zu arbeiten?

Ein ziemlich vertrautes Gefühl. Eigentlich haben wir Parzival ja nie als zeitbegrenztes Projekt gesehen. Die Musik aber auch die Band blieb immer ein Teil unseres Lebens. Wir kannten uns ja schon aus frühester Jugend von der Schule in Bremen. Lothar und ich hatten ja mit 16 Jahren die Beatband The Chamberlains gegründet. Und drei Jahre später mit Walter Quintus die Folk-Rock-Klassik-Formation Quintus Quintet. Auf dem Album sind ja noch Songs aus der alten Parzival-Ära. Sie existierten nur als Fragmente. Lothar hatte sie auf Kassette archiviert und die Manuskripte der Rohtexte zur Verfügung gestellt. Ich habe neue Teile hinzugefügt. Sie wurden fertig arrangiert, mit neuen Texten bedacht. Mit Walter traf ich mich in Hamburg und in seinem Studio in Zerkall bei Aachen. Er beteiligte sich u. a. am Arrangement des Songs „Old Love“ und spielte eine Violinstimme in meinem kleinen Homestudio ein. Die Spur übertrugen der Co-Produzent Dieter Faber und ich in die neue Produktion. Walter hätte sich auch noch sehr gern an der Abmischung des Albums beteiligt. Doch dazu ist es leider nicht mehr gekommen. Er starb im Februar 2017. Für uns war das ein Schock!

 

Bitte erzähl doch ein wenig zu der Geschichte des Albums. Es geht um wirklich aktuelle Themen.

Die Welt ist mehr denn je in Aufruhr, das betrübt mich und schürt Ängste. Demokratien geraten ins Wanken, Populisten lärmen, Gletscher schmelzen, mehr als 70 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht. So viele wie noch nie. Vor Gewalt, vor Hunger und Klimakatastrophen. Wir wollten mit dem Album das klingende Panorama einer irr gewordenen Welt entfalten. Einer Welt, die jedes Maß verloren hat. Die rücksichtslose Ausbeutung unseres Planeten und die zerstörerische Gier nach Macht ist ein wichtiges Element des Albums. Wir sitzen alle in einem Boot. Es gibt einen schönen Satz von Gabriel García Márquez, dem großen kolumbianischen Schriftsteller: Es ist nicht wahr, dass Menschen aufhören, Träumen zu folgen, weil sie alt werden – sie werden alt, weil sie aufhören, ihren Träumen zu folgen.

 

Sängerinnen Denise Modjallal (Iran), Naima (Ghana). Foto: Hypertension

 

Habt ihr die Themen/Texte denn neu entwickelt, um diesen aktuellen Bezug zu bekommen? Oder habt ihr irgendwann einfach gemerkt – das passt genau so in die heutige Zeit?

Von den 23 Titeln sind nur drei Songs von unserem so genannten „Triumvirat“ aus den 1970ern. Für diese Kompositionen wurden die Texte natürlich aktualisiert und umgeschrieben. Lothar Siems half mir dabei. Die Inhalte mussten ja im Kontext zur Geschichte stehen. Die restlichen 20 Lieder wurden musikalisch – bis auf den Song „Old Love“, an dem Quintus noch kurz vor seinem Tod 2017 mit arrangiert hat – fast allesamt von mir allein kreiert. Einige Texte entstanden gemeinsam mit einem Autorenteam.

 

Ihr habt für die Realisation ja ein unglaubliches Heer an Mitstreitern zusammengebracht, insgesamt über 130 Musiker aus allen möglichen Ländern dieser Welt. Wie kam es dazu und woher habt ihr diese unglaublichen Kontakte?

Ich habe zunächst viele Musikerkollegen und Studiobesitzer nach Kontakten befragt. Oft waren die Musiker aus dem Ausland in Deutschland auf Tournee. Wir haben sie dann getroffen, ihnen die Demos vorgespielt. Und die meisten wurden daraufhin neugierig und hatten total Lust mitzumachen. Unser Co-Produzent Dieter Faber, in dessen Hamburger Studio ja ein Großteil der Aufnahmen entstand, kannte vor allen Dingen aus der internationalen Studio- und Klassikszene eine Menge Kollegen, z. B. von der NDR Elbphilharmonie und vom Festival-Orchester Bayreuth. Die Aufnahmen mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg in Berlin-Adlershof für den Titel „Keep Your Eyes On Us“ habe ich organisiert. Dieter Faber hatte mit dem Orchester gute Erfahrungen gemacht. Er hatte November 1989 – übrigens am Tag des Mauerfalls – das Orchester für den Hit „Über sieben Brücken musst Du geh’n“ mit Karat und Peter Maffay aufgenommen. Zusammen mit unserem Freund und Keyboarder Hans Jürgen Knipphals, der unsere Streicher bei „Juanita“ und „Keep Your Eyes On Us“ dirigiert und zum Teil arrangiert hat.

 

SängerInnen (v.l.) Yasmin Allain (St. Lucia), Fontaine Burnett (USA), David und Sandra Granados (Kolumbien). Foto: Hypertension

 

Es gibt ja unglaublich viele unterschiedliche weltmusikalische Einflüsse auf dem Album. Wie ist diese Vielfalt entstanden. Hattet ihr die Idee und habt dann nach den passenden Musikern und Sängern gesucht? Oder sind viele Dinge auch „einfach passiert“?

Mein Neffe Aziz in Kuwait brachte mir die Musik und die arabischen Rhythmen näher. Und ich hatte Kontakt zu einer afrikanischen Tanz- und Percussion-Truppe, die zeitweise in Holland auftrat. Das hat mich inspiriert. Zum Teil haben wir gecastet, vor allem bei den Sängerinnen und Sängern. Die weltmusikalischen Einflüsse ergaben sich ja durch die Story des Konzeptalbums. Wir mussten daher nach Perkussionisten und Stimmen mit Ethno-Färbung suchen.

 

Wie habt Ihr das Ganze überhaupt koordiniert? Sind viele Sachen auf der Datenautobahn hin und hergeschickt worden oder wart ihr mit jedem Mitstreiter irgendwann mal in irgendeinem Studio zusammen?

Auf der Datenautobahn waren wir nie unterwegs. Alle Musikerinnen und Musiker standen in den Studios vor den Mikrofonen.

 

Gab es für das Album zunächst die thematische Grundidee an der ihr entlang komponiert habt oder habt ihr „bei Null“ angefangen und Musik und Geschichte haben sich dabei entwickelt?

Ein Generalthema existierte anfangs nicht. Ein Konzept-Album oder ein Welt-Musik-Projekt standen auch nicht zur Debatte. Die Entstehung von “David – The Hymn” führt zurück ins Jahr 1991, als der zweite Golfkrieg begann. Ich bangte damals um meinen Neffen in Kuwait. Der Irak hatte gerade den kleinen Wüstenstaat besetzt. Der Fernseher lief pausenlos in voller Lautstärke. Ich war ziemlich angefasst. An Schlaf war nicht mehr zu denken. In dieser Nacht entstand der Titel „Kuwait City“. Eine Art Hymne, sehr emotional, in schnellem Tempo. Der Song mit Davids exponierter Flöten-Melodie beschließt heute unter dem neuen Namen „Future Cities“ unser Doppel-Album.

 

(v. l.) Stefan Pintev (Violine) vom NDR Elbphilharmonie Orchester, Thomas Olivier (git, voc), Dana Anka (Violine), Dieter Faber (git), Olga Zoubkova aus Russland (voc, keys),Maurice Mustatea   (Viola), Yuri Christiansen, Solo-Cellistin vom NDR Elbphilharmonie Orchester. Foto: Hardy Brackmann

 

Welche anderen Dinge wollt ihr umsetzen, um dem Album die nötige und verdiente Aufmerksamkeit zu geben?

Zum Beispiel durch Live-Präsentationen. Aber zunächst eher unplugged. Das ist im Moment wegen der Pandemie natürlich unmöglich. Und es ist natürlich auch eine Frage des Geldes. Das Doppelalbum ist ein zeitloses Produkt. So sieht es auch unser Label Hypertension Music, das die LP veröffentlicht hat. Wir haben die Live-Tauglichkeit schon einmal bei einer öffentlichen Probe ausprobiert – u. a. mit Streichern der NDR-Elbphilharmonie. Das hinterließ Eindruck. Ein Showcase für die Presse war Anfang Oktober in Planung. Aber ein Tag vor dem Konzert knallte uns das Virus dazwischen. Wir wollen das aber nachholen. Ein neuer Termin steht noch nicht fest.

 

Wie siehst Du persönlich das neue Album im Vergleich zu Euren beiden klassischen Alben? Wo sind die Verbindungen? Wo sind komplette Abweichungen?

Die alten LPs und unser neues Album verbindet klar eins: die Verwendung von Original-Instrumenten. „David“ ist – nur zum Teil – orchestraler geworden, gesanglich aufwendiger und anspruchsvoller. Neu hinzugekommen sind natürlich die Ethno-Einflüsse.

 

Ich muss bei der Gelegenheit auch ein wenig auf Eure kurze, aber durchaus einflussreiche Frühgeschichte eingehen. Was glaubst Du, warum Parzival seinerzeit zwar Kritikerliebling war und auch heute noch einen enormen Kultstatus haben, dies sich seinerzeit aber leider nicht in den durchaus verdienten kommerziellen Erfolg umgeschlagen hat?

Die Rockmusik bzw. der Krautrock in Deutschland Anfang der 1970er Jahre war ein Nischenprodukt. In Ost und West hieß es gleichermaßen: Deutschland einig Schlagerland, dazwischen gab´s ein bisschen Beatles und Rolling Stones. Bezeichnender Weise führte unser Weg zu unserem Plattenvertrag über London. Ein wenig verrückt musste man schon sein, wenn man sich 1970 aus einem verschlafenen Dorf bei Bremen in Richtung London aufmachte, um in der Weltmetropole des Musikbusiness Fuß zu fassen. Doch wir wurden überrascht: Die Londoner Decca lud uns zu Demoaufnahmen ein. Wir trafen auf George Harrison und Ringo Starr. Englische Plattenfirmen wollte uns „crazy Krauts“ sofort unter Vertrag nehmen – da funkte die allmächtige englische Musiker-Gewerkschaft dazwischen: Keine Arbeitserlaubnis auf britischem Boden! Doch die pfiffigen Engländer waren uns sehr wohlgesonnen. Sie halfen uns weiter: Plattenfirmen, Manager, Verleger und Promoter griffen in die Trickkiste. Sie versprachen, dass sie unsere LP veröffentlichten, wenn sie in Deutschland produzier wird.

Mit diversen Empfehlungsschreiben aus London, kehrten wir zurück – und plötzlich buhlte man um uns. Wir hatten Vertragsangebote von einem halben Dutzend deutscher Plattenfirmen. Die andere Geschichte ist bekannt: Conny Plank übernahm die Produzentenrolle. Für uns schon eine besondere Ehre, zählte er doch zum kleinen Kreis international anerkannter Meister seines Fachs. Und in London angelte sich uns exklusiv der US-Medienkonzern RCA. Natürlich waren wir auch von keiner Weisheit getrübt, was das Musikgeschäft angeht. Und ein professionelles Management existierte auch nicht. Einmal hatten wir ein Treffen bei der Hamburger Plattenfirma Teldec organisiert – und landeten beim Chef der Abteilung „Volkstümliche Musik“. Und Conny Plank war, bei aller Wertschätzung für seine tolle Arbeit als Produzent, was Geschäft und Organisation angeht, gelinde gesagt, ziemlich unsortiert.

 

Produzent Conny Plank während der Produktion der Debüt-LP „Legend“. Foto: Lothar Siems

 

War es damals nur der ausbleibende Erfolg der zum Ende der Band geführt hat?

Nein, eher private Differenzen, über die ich nicht so gerne rede.

 

Gibt es noch ein Konzert oder eine Begegnung (oder beides) an das Du Dich aus dieser Zeit besonders gern erinnerst?

Es waren viele Begegnungen, darum nur zwei als Beispiel. An Ringo Starr erinnere ich mich sehr gut. Walter Quintus und ich haben den Beatles-Trommler 1970 in London-Hampstead aufgesucht und ein Home-Demo überreicht. Wir trafen auf einen kleinen Typ im Pelzmantel, der im Dunkeln eine ganze Animal-Farm von Hunden mit sich führte. Während unseres nächtlichen Londoner Spaziergangs in der Compton-Avenue offenbarte ich Ringo meine ganze Bewunderung für seinen Schlagzeug-Stil. Ringo gab sich bescheiden. Er meinte: „Oh nein, ich spiele nur sehr einfaches Zeugs! It’s easy, very easy! I only play the half!“ Als Schlagzeuger wurde er lange unterschätzt. Dabei ist sein Timing legendär. Ringo riet mir, im Studio zur Dämmung des Sounds Geschirrhandtücher auf die Trommelfelle zu legen. Man sieht das übrigens im Beatles-Film „Let it be“ und jetzt in der langen neuen Dokumentation. Das hab ich später bei einigen Demos beherzigt.

Natürlich ist mir auch die Begegnung mit unserem Produzenten Conny Plank in bleibender Erinnerung. “Produced by C. Pl.” war damals ein internationales Gütesiegel. Er war seiner Zeit weit voraus, ein besessener Tüftler. Er experimentierte viel. Ein druckvoller Schlagzeug-Sound war ihm sehr wichtig. Conny war ein kantiger großgewachsener Typ, ein Hippie, ein Bär. Einer seiner Standardsprüche war: „The hippies cut their hair, I don’t care, I don’t care!“ Ein Spruch in Anlehnung an Jimi Hendrix’ Song „If six was nine“.

Conny beurteilte Musik nicht nach kommerziellen Gesichtspunkten. Gefiel ihm eine Band, produzierte er sie. So war das bei uns. Aufgenommen wurde innerhalb weniger Tage. Gemischt von 21 Uhr bis zum nächsten Morgen. In manchem Musikerzirkeln wird Conny heute allerdings sehr verklärt dargestellt. Vor allem von manch alten Weggefährten, die mit ihm zusammengearbeitet haben. Conny konnte sehr diktatorisch sein. Vor allem, wenn ihn eine „Nase“ nicht passte. Oder Musiker Einwände hatten und nicht seiner Meinung waren.

 

Release-Konzert für die LP „Legend“ mit Udo Lindenberg in Hamburg, (v.l.) Walter Quintus, Thomas Olivier, Christina Kubisch, Lothar Siems. Foto: Teldec

 

Könntest Du, könntet ihr Euch vorstellen, heute auch noch alte Stücke, wie zum Beispiel “Groove Inside” (mein Lieblingsstück von Euch) live zu spielen?

Ich muss Dich enttäuschen: den „Groove Inside“ wohl eher nicht. Das war damals eine Art Happening, gewachsen aus einer Idee unseres Produzenten Conny Plank und der Tatsache geschuldet – unglaublich wahr -, dass wir nicht genügend Titel im Repertoire hatten, die uns gefielen. Deshalb begannen wir im Studio zu improvisieren. Für den experimentierfreudigen Conny eine grenzenlose Spielwiese für allerlei technische Tricks. Auf unserem Debütalbum „Legend“ ist das Stück nur 17 Minuten lang, ursprünglich waren es mehr als 40 Minuten, die Conny, eingehüllt in verdächtig süßlichem Tabakduft, zusammengeschnitten hat. Der „Groove Inside“ hat sehr polarisiert. Während eines Interviews beim Hessischen Rundfunk brach das Telefonnetz zusammen, weil sich Zuhörer über den für sie wirren Krach empörten. Das Stück wurde in voller Länge präsentiert. Heute wäre das undenkbar. Das Ballett in Köln soll danach übrigens mal getanzt haben. Ich stehe allerdings mehr auf songorientierte Titel.

 

(v.l.) Thomas Olivier, Lothar Siems, Walter Quintus. Foto: Thomas Koch

 

Da muss ich als Fan von “Groove Inside“ natürlich sofort nachhaken. Gibt es die Bänder von der 40-Minuten-Version noch? Das wäre doch mal ein tolles Fan-Goodie, sowas auf Vinyl zu veröffentlichen.

Das stimmt. Aber der Schatz ist nicht mehr zu heben, denn wo die lange, ungeschnittene Version abgeblieben ist, wissen wir nicht. Bei unserem Produzenten Conny Plank herrschte, bei aller Wertschätzung, gelinde gesagt nicht die allergrößte Ordnung: die 8-Spur-Bänder der LPs „Legend“ und „BaRock“ sind verschwunden. Ich erinnere mich, dass 1972, kurz nach der Veröffentlichung des ersten Albums, das Mastertape gestohlen worden war. Glücklicherweise existierte eine Sicherheitskopie. Für die vielen Wiederveröffentlichungen auf CD und Vinyl bis heute musste Walter Quintus die Mastertapes von unseren alten Vinyl-Scheiben mastern. Das muss man sich mal vorstellen! Im Archiv bei Warner waren die Mastertapes nicht mehr aufzutreiben.

 

Erst einmal vielen herzlichen Dank für dieses ausführliche Interview, lieber Thomas Olivier. Als absoluter Fan des alten Parzival-Stückes “Groove Inside“ finde ich es zwar extrem schade, dass diese Bänder verloren sind, letztlich ist das Hier und Jetzt aber viel wichtiger. Es bleibt Euch zu wünschen, dass “David: The Hymn” die ihm gebührende Aufmerksamkeit findet und ihr Eure Pläne mit dem Album umsetzen könnt!