Oysterband – Read The Sky (Westpark Music, 04.03.2022)

Bis in die Mitte der 70er Jahre reicht die Geschichte der Oysterband zurück. Aber erst Ende der 80er entwickelte sich die Band um das Kerntrio John Jones (Gesang, Akkordeon), Alan Prosser (Gitarre, Gesang) und Ian Telfer (Geige) zu einer Macht in Sachen Folkrock. Ja, tatsächlich ist man eine kleine britische Legende in diesem Genre, die über die Jahre viele grandiose Songs mit mitreißenden Melodien, viel Herz und angetrieben von einem wachen Geist veröffentlicht. Zwischen persönlichen Geschichten fanden sich auch stets kritische Beobachtungen und deutliche Kritik in Richtung Politik und gesellschaftliche Entwicklungen.

Ich kann mich noch gut an ihr Konzert vom Februar 2020 erinnern, als Sänger John Jones anmerkte, sie seien als Mitglieder der Europäischen Union aufs Festland ausgereist und müssen nun in die ungewisse Zukunft ihres neu allein stehenden Landes zurückkehren. Sie hatten damals einen Song darüber live präsentiert. „Wonders Are Passing“ – ein poetischer, emotionaler Abgesang über verpasste Chancen in einer Gemeinschaft („We could be walking in the mountain of memory, swimming in rivers of delight, treasures of earth are slipping through our fingers, wonders are passing, tonight“). Eine wunderbare, melancholische Ballade und irgendwie der Dreh- und Angelpunkt des neuen Albums „Read The Sky“ – das erste seit acht Jahren.

Wo der Vorgänger „Diamonds On The Water“ nach dem Abgang von Bassist/Cellist Ray Cooper eine Art Neuanfang für die Band war, setzt man diese Linie musikalisch fort. Ruhiger sind die alternden Herren zweifelsohne geworden. Die Melodien zurückhaltender, die gesungenen Worte feinfühliger. Man muss sich etwas mehr einhören, bevor sich der Zauber der Oysterband wieder nachhaltig entfaltet. Aber er tut es. Sei es mit der unaufdringlichen Eröffnungsnummer „Born Under The Same Sun“, dem heimeligen „Star Of The Sea“ oder „My Son“, in dem John Jones seinem Sohn mit auf den Weg gibt, er solle sinngemäß lieber zum Stift als zum Schwert greifen.

Natürlich finden sich dem Alter entsprechend auch nostalgische Songs auf der Platte. „The Corner Of The Room“ ist ein gutes Beispiel hierfür. Trotzdem liegt der Band nach wie vor das Hier und Heute und auch die Zukunft der Welt am Herzen, wie nicht zuletzt das abschließende „The Time Is Now“ beweist. Ein Kommentar zur vergangenen UN-Klimakonferenz mit der Aufforderung „And we know what the time is – the time is now!“.

Musikalisch hätte die Band früher solche Slogans sicher noch kräftiger und lauter präsentiert. Aber der in den letzten Jahren eingeschlagene Weg ist ein etwas ruhigerer. Mehrer Poprock, etwas weniger Folk. Das trifft auch auf „Read The Sky“ zu. Etwas mehr Folk, ein stärkeres Auftreten von Geiger Ian Telfer hätte es vielleicht sein dürfen. Aber wenn man diese Wurzeln nach außen trägt, klingt das nach wie vor grandios, wie in der hymnischen Folknummer „Roll Away“, die wie gemacht für Liveauftritte ist.

Und da – auf der Bühne – möchte man die Oysterband möglichst bald wieder sehen. Gerne auch mit einigen Songs von „Read The Sky“. Denn das Album ist gut, auch wenn nicht mehr so euphorisch einnehmend wie in früheren Jahren. Aber werden wir nicht alle etwas älter?

 

Trackliste:
1. Born Under The Same Sun
2. The Corner Of The Room
3. Roll Away
4. Wonders Are Passing
5. Fly Or Fall
6. My Son
7. Hungry For That Water
8. Star Of The Sea
9. Streams Of Innocence
10. The Time Is Now

 

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