Unsere Gastredakteurin Birgit war neulich beim MAIFELD DERBY und hat uns einen ausführlichen und wunderschönen Bericht mitgebracht…
Ich sitze am Schreibtisch, die Sonne scheint durch das Fenster, und ich denke an das vergangene erste Juni-Wochenende zurück, als wir bei richtig miesem Wetter unfassbar guter Musik lauschen durften. So gut, dass das Wetter kaum noch eine Rolle zu spielen schien – sowas passiert eher selten. Die Rede ist vom Maifeld Derby, das am Reitstadion des Mannheimer Maimarktgeländes stattgefunden hat und 2023 mit dem European Festival Award zum Best Small Festival ausgezeichnet wurde. Zum 13. Mal wurde das Musik- und Popkulturfestival abseits des Mainstreams von Gründer und Veranstalter Timo Kumpf und seinem Team ausgerichtet, unterstützt durch etliche ehrenamtliche Helfer:innen. Das Festivalprogramm las sich bereits im Vorfeld anders als die oft recht ähnlichen Line-Ups bekannterer und größerer Festivals: Weniger sehr große Namen, dafür viele Newcomer:innen, und eine hohe Diversität hinsichtlich der Genres sowie der vertretenen Nationalitäten und Geschlechter der Künstler:innen. Bereits beim ersten Hineinhören tat sich die eine oder andere Überraschung auf und die Vorfreude wuchs kontinuierlich. Mit Blick auf den Time Table wurde jedoch auch deutlich, dass uns aufgrund der vielen unvermeidbaren Überschneidungen bei solch einer Auswahl an interessanten Acts ein wilder Ritt durch das Programm und zwischen den Bühnen erwarten würde. Aber nun eins nach dem anderen.
Freitagnachmittag angekommen, erkundeten wir zunächst das Festivalgelände. Dort gab es an allen Ecken etwas zu entdecken. In den (Mai-)Bäumen flatterten bunte Bänder, Reifen und Lampions wogten im Wind. Es gab kostenloses Trinkwasser und einen Food Court, der von Handbrot über Tacos bis hin zu Piroggen diverse Leckereien offerierte. Die Getränkestände boten eine Auswahl u.a. regionaler Spezialitäten, die ich in diesem Ausmaß von keinem anderen Musikfestival kannte. Heraus stach ein kuratiertes Bier-Line-Up vom Feinsten – es handelt sich wirklich in jeder Hinsicht um ein Liebhaberfestival. Neben Speisen und Getränken luden weitere Stände mit Merch, Vinyls, Postern, Klamotten, recycelten Accessoires und vielem mehr zum Stöbern ein. Mittendrin bastelten Menschen gemeinsam bunte Papierdekoration. Und es gab eine Fotoausstellung zum ersten Teil der Bildband-Trilogie „Wasser im Zelt“, die eine Liebesgeschichte über das Festivalleben erzählt. Wenn man sich verlieben will, ist man hier vielleicht genau richtig.
Nachdem wir uns an der Wechselstube mit Derby-Dollarn – der Währung für die nächsten drei Tage – versorgt hatten, verschafften wir uns einen ersten Überblick über die Lage der verschiedenen Bühnen. In diesem Jahr gab es neben der großen Open-Air-Bühne, dem Palastzelt und dem Parcours d‘amour eine neue Arena2-Open-Air-Bühne, auf der an diesem Wochenende vor allem rockigere und punkigere Töne erklungen und der ein oder andere Moshpit zu sehen war. Zudem gab es noch den Clubraum, der Freitag- und Samstagnacht verschiedene DJ-Sets beherbergte. Zum Glück waren die Wege zwischen den Bühnen recht kurz, so dass bei Überschneidungen ein Wechsel problemlos möglich war. Obwohl wir Sorry3000 als ersten Programmpunkt anpeilten, blieben wir direkt im Parcours d‘amour bei Piya hängen, einer jungen Künstlerin des Bandsupport Mannheim Förderprogamms, die uns mit ihrer gefühlvollen Stimme und dem Song „Allesfresser” in ihren Bann zog. Im Parcours d‘amour steht die Bühne auf dem eigentlichen Reitplatz und die Zuschauerinnen sitzen davor auf der überdachten Tribüne – gute Sicht garantiert und perfekt für das verregnete Wochenende. An den Tribünenfenstern klebten analog zum diesjährigen Corporate Design des Festivals bunte Papierherzen und -schmetterlinge, auf denen die Besucher:innen sich verewigen konnten. Statt Hindernissen gab es nun im Parcours viel Liebe. So konnte man hier bald Zeilen lesen wie „Maifeld ist wie nach Hause kommen“, „Maifeld = bestes Festival! #ganzvielliebe“, „I love Maifeld Derby 2024“, „Maifeld 4-ever“ oder „Na Regen komt Zonneschijn“. Die Menschen hier haben richtig Bock auf das Festival und wissen es zu schätzen. Das merkte man, immer wieder, überall.
Als wir uns von Piya loseisen konnten, ging es dann Richtung Open-Air-Bühne, um noch ein paar Lieder der fünfköpfigen Formation Sorry3000 aus Halle und Leipzig zu erhaschen. Bewölkt aber noch trocken, horchten wir ihren Real-Pop-Klängen und der eindringlichen Warnung vor Nasenspray. Nach dem Konzert liefen uns dann die Zeltnachbarn eines Teils unserer Gruppe über den Weg – Mario und seine drei Söhne, die bereits im zweiten Jahr als Familienausflug ein Musikfestival besuchten. Was für eine schöne Tradition. Es folgten ein netter Plausch über ihr Festival-It-Piece, der Elo-Lette, sowie im Laufe des Wochenendes viele weitere nette Gespräche bei wiederkehrenden Begegnungen auf dem Gelände. Generell waren die Besucher:innen, wie auch die Mitarbeiter:innen, allesamt richtig nett und entspannt.
Nach Sorry3000 ging es dann kurz zur US-amerikanischen Singer-Songwriterin Angélica Garcia ins Palastzelt, zur Berliner Band Isoscope in die Arena2, wieder zurück zur Open-Air-Bühne auf der die Australier Babe Rainbow performten, dann noch einmal kurz zur Arena2 zum Berliner Noise- und Krautrock-Trio Zahn und im Anschluss wieder zur Open-Air-Bühne auf der ebenfalls aus Australien Royal Otis auftraten. Letztere verzauberten das Publikum mit zeitlosem Indie-Rock zu funkelndem Lichtergewitter, bevor dann später am Abend tatsächlich wie befürchtet der Regen einsetzte. Zuvor führte es uns jedoch ins Palastzelt zu Edwin Rosen, Begründer der Neuen Neuen Deutschen Welle, der mit kraftvollen Klängen und emotionalen Tiefen überzeugte. Schlag auf Schlag ging es weiter und so fanden wir uns im Anschluss wieder vor der Open-Air-Bühne bei den britischen Indie-Rockern von The Vaccines ein, bevor zurück im Palastzelt niemand anderes als die Queen of Elektropop, Roísín Murphy, einen Mix aus ihren Solo- wie auch Moloko-Stücken zum Besten gab. Ihre Show war nicht nur ein musikalisches Highlight, sondern auch optisch durch ihre extravaganten Outfits von überragender Unterhaltung. Wer danach noch nicht genug hatte, konnte die Nacht beim organischen Elektro-Sound von Orbit zelebrieren oder im gut besuchten Clubraum weiterfeiern.
Der Samstag startete regnerisch und das Wetter wollte an diesem Tag auch nicht mehr besser werden. „Grey grey Germany” machte seinem Namen alle Ehre. Doch „Besser schlechtes Wetter als schlechte Bands.“, wie das Maifeld Derby per Instagram verkündete – wie wahr. Und so erhellte bereits der erste Act Yara bei strömendem Regen unser Gemüt. Die Band aus der Kurpfalz erinnerte vom Sound unmittelbar an Faber. Wir stellten uns an der nächsten Bierbude unter und verfolgten von dort aus das Konzert und spätestens zu „Champagner“ war der Regen nur noch Nebensache. Weiter ging es auf selbiger Bühne mit der Schweizer Band Soft Loft, die mit eingängigem Indie-Folk-Rock und sanftem Gesang einen musikalischen Safe Space schafften. Vor der Bühne bildete sich ein Meer aus bunten Regencapes und -hüten, Seifenblasen stiegen empor. Bereits jetzt kam der Wunsch auf, dass das Konzert niemals enden wird. Aber der Blick in das Programmheft offenbarte eine Welle interessanter Künstler:innen, die noch auf uns zukommen und wie wir später wussten, mitreißen würden. So ging es nach Soft Loft für ein Paar Songs ins Palastzelt zu Klaus Johann Grobe, ein Schweizer Duo, unterstützt von weiteren Live-Musikern, die mit deutschem und englischsprachigem Pop überzeugten und mit „Schlaufen der Zukunft“ die Zeit still stehen ließen. Vom Palastzelt ging es kurz zu Agit Pop in der Arena2, zu Lone Aires im Parcours d’amour und wieder zurück zur Open-Air-Bühne, auf der die Sängerin Nieve Ella mit ihrer Band bei ihrem allerersten Festivalauftritt in Deutschland mit Indie-Pop aus England für beste Laune sorgte. Es folgte ein Abstecher ins Palastzelt zu Balming Tiger, ein südkoreanisches Musikkollektiv, das alternativen K-Pop mit Hip-Hop-Einflüssen macht. Wir waren nicht sicher, was uns erwarten würde. Doch wir wurden – einmal mehr – positiv überrascht. Wie gerne hätten wir noch länger der durchchoreografierten Performance vor wehender LED-Band-Flagge zugeschaut, doch Nils Keppel spielte bereits in der Arena2 und Lampe im Parcours d’amour. Nach dem Hineinschnuppern in die beiden zeitgleich stattfindenden Konzerte fanden wir uns wieder an der Open-Air-Bühne für Midlife ein. Passend zum Bandnamen markierte ihr Auftritt auch die Halbzeit des Festivals. Die Australier erzeugten einen Soundflickenteppich aus diversen Genres wie Jazz, Psychedelic, Synth-Pop und Dance und ließen das Publikum den Regen vergessen.
Das nächste Highlight folgte im Galopp und wir wechselten wieder ins Palastzelt. Das Elektro-/Piano-Duo Grandbrothers zog alle mit spektakulärem Live-Set inklusive Lichtshow in seinen Bann und ließ Zeit und Raum vergessen. Nachdem ich ihr Konzert 2022 im Kölner Dom aufgrund einer Terminkollision nicht besuchen konnte, war es umso schöner, sie hier in Mannheim erleben zu dürfen. Dafür nahm ich dann auch in Kauf, die britische Songwriterin Sophie May, die derweil im Parcours d’amour performte, zu verpassen. Sie soll ebenfalls großartig gewesen sein. Beseelt von den Grandbrothers ging es zu Arc de Soleil, die auch ihren ersten Deutschland-Auftritt auf dem Maifeld Derby hatten und einen ihrer ersten Auftritte als Live-Band überhaupt. Hinter dem Projekt steckt der schwedische Komponist, Produzent und Multiinstrumentalist Danil Kadawatha. Ihr Sound klingt nach einer Mischung aus Surf-Funk und psychedelischen Tönen und lud zum Verweilen ein. Der nächste Höhepunkt ließ jedoch nicht auf sich warten. Deshalb wechselte ein Teil unserer Gruppe zum Parcours d’amour, um dem Auftritt der Oracle Sisters aus Frankreich beizuwohnen. Mit einer Mischung aus eingängigem Dream-Pop und Indie-Folk begeisterten sie die Tribüne und brachten den gesamten Parcours zum Tanzen. Berauscht vom Konzert ging es zurück zum Palastzelt, in dem derweil bereits die polnische Komponistin und Pianistin Hania Rani spielte. In ihrer Musik vermischt sich Neoklassik mit kunstvollem Synth-Pop. Sie stand vor einem Aufbau aus Klavier, Flügel und
Synthesizern. Ihre Performance wirkte sphärisch, ihre Stimme kraftvoll. Leider haben wir nur noch ihren letzten Song hören können und auch das Zusammenspiel mit dem Kontrabassisten, der mit ihr auf der Bühne stand, verpasst. Also kam sie auf meine Liste von Künstler:innen, die ich mir zukünftig auf jeden Fall noch live anschauen möchte. Von der Liste abhaken konnte ich nach dem nächsten Auftritt jedoch Roosevelt. Der Wahlkölner, der in den USA noch größere Erfolge erzielt als in seiner Heimat, spielte in diesem Jahr das erste Mal auf dem Maifeld Derby. Warum, das wusste so genau niemand. Mit mitreißendem Synth- und Dance-Pop versetzte er an den Synthesizern zusammen mit seinem Drummer und Bassisten das Gelände in eine riesige Open-Air-Disco, bei der niemand länger still stehen konnte. Ich habe ihn nach dem Konzert direkt erneut auf meine Liste gesetzt. Elektronischer ging es im Anschluss mit Kiasmos aus Island im Palastzelt weiter. Das Produzenten-Duo präsentierte unter ihrem monumental wirkenden Bandlogo, das mittig hinter den Musikern von der Bühnendecke hing, minimalistische und experimentelle Techno-Beats. Wer noch fit war, konnte im Anschluss zum DJ-Set des Berliner Elektro-Duos Modeselektor weiter tanzen oder im Clubraum zu elektronischen Klängen.
Am Sonntag meinte es das Wetter endlich besser mit dem Festival. Es war zwar noch bewölkt, aber immerhin trocken und so lauschten wir vom Waffelstand aus der ersten Band des Tages. Auf der Open-Air-Bühne spielten Nusantara Beat aus Amsterdam, die traditionell indonesische Musik neu interpretieren und ihren ganz eigenen aufregenden Sound kreieren. Weiter ging es mit English Teacher aus Leeds mit einer Mischung aus Alternative-, Indie-Rock und Post-Punk oder wie sie es selbst beschreiben würden, mit Post-„Wonk“. Nach English Teacher knubbelte es sich wieder im Programm. Wir wechselten kurz ins Palastzelt zu Yeule aus Singapur, schauten bei Die Verlierer aus Berlin in der Arena2 vorbei und verharrten schließlich bei den schottischen Zwillingen Cloth im
Parcours d’amour. Cloth spielten heute ihre allererste Show außerhalb von UK und verzauberten die Besucher:innen mit sanftem shoegazeartigem alternativem Pop, während die an den Bühnenseiten hängende Pferdchendeko dazu mobileartig im Wind hin- und herschaukelte. Nach Cloth ging es kurz zurück zum Palastzelt, wo das Trio Brutus aus Belgien die Fans von progressivem Post-Metal auf ihre Kosten kommen ließ. Ein weiteres Trio folgte in der Arena2, der die Lambrini Girls aus Brighton mit wildem Post-Punk einheizten. Im Parcours d’amour ging es hingegen ruhiger zu. Der Singer-Songwriter Hannes Wittmer erzählte in seinen Liedern von Festgefahrenheit, Depression, Resilienz und vom Loslassen. Zum Abschluss gab es noch ein Selfie mit Publikum für Mama Isolde und man nahm ihm seine ehrliche Freude darüber, dass die Leute so nett in die Kamera winkten zu 100% ab.
Bei dieser Herzenswärme ließ sich dann auch die Sonne kurzzeitig blicken und die Sonnenbrillen kamen endlich zum Einsatz. Zügig wechselten wir zur Open-Air-Bühne, auf der die Londoner Post-Punk-Band Dry Cleaning spielte. Von dort ging es für einen kurzen Zwischenstopp ins Palastzelt zu Chelsea Wolfe. Im dunklen Gewand warteten die Amerikanerin und ihre Band mit schweren, düsteren und melancholischen Klängen auf. Zur gleichen Zeit rockten Mannequin Pussy aus Philadelphia die Arena2 mit Indie-Punk und gesellschaftskritischen Statements. Die Frontfrau Marisa Dabice erinnerte mich dabei in ihrer rebellischen Art irgendwie an Amy Winehouse. Kurz hineingeschnuppert, ging es von dort auch schon wieder zur Open-Air-Bühne, auf der Altin Gün aus Amsterdam das Finale einleiteten. Mit ihrer groovigen Mischung aus traditionellen türkischen Volksliedern und psychedelischem Rock sorgten sie für beste Laune und bewegte Körper. Wieder solch ein Konzert, von dem man sich wünscht, dass es nie enden wird. Obwohl wir uns kaum loseisen konnten, machten wir während des Konzerts noch einen kurzen Abstecher zur australischen Künstlerin Grace Cummings, die derweil im Parcours d’amours ihr neues Album „Ramona“ vor voller Tribüne präsentierte. Es folgte für das diesjährige Maifeld Derby ein letzter Wechsel durch die verschiedenen Bühnen. Angefangen im Palastzelt mit der britischen Shoegaze-Band Slowdive, ging es über die australischen Tropical Fuck Storm in der Arena2 zu To Athena aus der Schweiz im Parcours d’amour und von dort aus zurück zu Slowdive, bevor wir während der letzten Klänge dieses Wahnsinns-Finales auch bereits die Heimreise antreten mussten.
Überwältigt von all den Eindrücken, nutzten wir die Rückfahrt, um uns direkt noch einmal durch unsere Highlights zu hören. Die drei Stunden Autofahrt vergingen dabei wie im Flug, ähnlich schnell wie auch das Wochenende vorübergegangen war.
Ich scrollte mich währenddessen auf meinem Smartphone durch die Fotos der letzten Tage und stieß dabei auf das Gästebuch, in Form der bunten Papierherzen und -schmetterlinge im Parcours d’amour. Dabei sprang mir folgender Eintrag ins Auge: „Maifeld, dank dir habe ich so viele gute Bands entdeckt. Bleib uns erhalten!“.
Dem kann ich mich nur anschließen.
Vielen Dank Maifeld, ich freue mich schon auf das kommende Jahr!
Text und Bilder: Birgit Emm
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