© Andreas Hornoff
© Andreas Hornoff

Kettcar – Ich vs. Wir (Grand Hotel van Cleef, 13.10.2017)

Wie die Zeit rennt ist an diesem Beispiel hier so arg zu erkennen. Da haut die Band, die dein Leben verändert hat im August einen Song raus, der einem umgehend die Gänsehaut hervorlockt und so sehr berührt, dass man sich denkt: “was? das dauert jetzt noch zwei ganze Monate bis die Platte erscheint?”. Und zack – auf einmal ist es soweit und am morgigen Freitag erscheint das fünfte Studioalbum von Kettcar über das Grand Hotel van Cleef. In meinen Augen die wichtigste Platte des Jahres.

“Ich vs. Wir” erscheint in einer Zeit, in der es einfach erscheinen muss. Kettcar werden hier in der Musik sehr deutlich politisch. Das passiert alles in Geschichten verpackt, wie sie nur Marcus Wiebusch erzählen kann. Mein kleines …But Alive Herz springt bei jeder Zeile im Dreieck! Kettcar ist für ihre politische Ansicht ohnehin schon bekannt, das nun aber in elf Tracks zu verpacken, die so um die Ohren gepfeffert werden, dass man sich wünscht, jemand würde auf die nickende Zustimmung reagieren und ein Gespräch eröffnen über diese Texte. Man will sich austauschen, ich will die Platte gewissen Menschen unter die Nase halten und sagen “jetzt hör dir an, was hier erzählt wird und nimm dir das zu Herzen, du Arsch!” Mit “Sommer ’89 (er schnitt Löcher in den Zaun)” und “Wagenburg” zündeten die fünf Hamburger vorab schon ein riesen Feuerwerk und zeigten in welche Richtung “Ich vs. Wir” gehen wird.

Die politische Thematik gipfelt meiner Meinung nach im Song “Mannschaftsaufstellung” – in einem Fussballsong – so viele von uns lieben Fussball -, der die Thematik dieser beschissenen nationalistischen Gedanken in dieser Sportart aufgreift.

“Und als wir gemeinsam vor dem Radio saßen // die Aufstellung hörten und unser Abendbrot aßen // nahmst du meine Hand und sagtest // Liebling, ich bin gegen Deutschland“

Aber auch zwischenmenschliche Dinge (Freundschaften – Song “Benzin und Kartoffelchips”, Familie “Die Straßen unseres Viertels”) kommen auf “Ich vs. Wir” selbstverständlich nicht zu kurz, keine Angst! Die obligatorische “Ballade” wird dann mit dem Song “Das Gegenteil der Angst” abgedeckt, auch wenn ich bei der Nummer nicht in erster Linie von einer Ballade reden würde! Der Rausschmeißer “Den Revolver entsichern” mit den einprägsamen Zeilen

“Von den verbitterten Indioten nicht verbittern lassen // […] //
jemand sagt Gutmensch // und du entsicherst den Revolver”

rundet diese Platte so sehr ab, wie ich es selten erlebt habe. Wow!

Fazit:
Als ich damals in dieser Kneipe saß, in der wir unsere Jugend verbrachten und das erste Mal diese Stimme hörte, den klassischen – mir aber damals noch unbekannten – Kettcarsound wahrnahm und sich mein Leben mit den Zeilen “Die Haustür hinter dir und vor dir der Nachdurst…” umgehend veränderte, war mir noch nicht so ganz klar, was diese Band mit mir machen wird. Heute, fast 15 Jahre später, bekomme ich eine Platte auf die Ohren, welche mich schlagartig an diesen – meinen – ersten Kettcar Moment erinnert. Und alles ist so wie früher. Eine deutschsprachige Band, die etwas mitzuteilen hat, die weiß wie Musik eingesetzt werden muss, um auf wasauchimmer hinzuweisen – aber es wird auf Dinge hingewiesen. Nichts inhaltsloses befindet sich im Rahmen dieser elf Tracks. Alles ist authentisch (jaaaa, sorry. aber es ist so), alles wird ehrlich vermittelt. Der rockige druckvolle Kettcarsound und Hymnen, welche niemals als peinliche Versuche wahrzunehmen sind, zeigen in den elf Songs das breite Spektrum, welches Kettcar abzudecken weiß. Das hat alles Hand und Fuß.
Daher ist “Ich vs. Wir” nicht nur die wichtigste, sondern auch eine der besten Platten des Jahres. Eines der besten Alben der letzten Jahre sogar. Danke ans Grand Hotel van Cleef (wie immer, ey!), danke Kettcar! Bitte nicht wieder so lange ohne neues Album! Absolute Kaufempfehlung!


Tracklist:

01. Ankunftshallte
02. Wagenburg
03. Benzin und Kartoffelchips
04. Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)
05. Die Straßen unseres Viertels
06. Auf den billigen Plätzen
07. Trostbrücke Süd
08. Mannschaftsaufstellung
09. Das Gegenteil der Angst
10. Mit der Stimme eines Irren
11. Den Revolver entsichern

Tourdaten:

18.01. Saarbrücken, Garage
19.01. München, Tonhalle
20.01. A – Wien, FM4 Geburtstagsfest
21.01. A – Graz, Orpheum (verlegt aus PPC)
22.01. CH – Schaffhausen, Kammgarn
23.01. CH – Bern, Bierhübeli
24.01. Erlangen, E-Werk
25.01. Stuttgart, Theaterhaus
26.01. Dortmund, FZW (ausverkauft)
27.01. Bremen, Schlachthof (ausverkauft)
28.01. Kiel, Max
30.01. Magdeburg, Altes Theater
31.01. Dresden, Schlachthof
01.02. Leipzig, Haus Auensee
02.02. Wiesbaden, Schlachthof
03.02. Köln, Palladium
06.02. Hamburg, Große Freiheit 36 (ausverkauft)
07.02. Hamburg, Große Freiheit 36 (ausverkauft)
08.02. Hannover, Capitol
09.02. Bielefeld, Ringlokschuppen
10.02. Berlin, Columbiahalle (verlegt aus Huxleys)
23.03. Essen, Weststadthalle
24.03. Bremen, Schlachthof

Beitragsbild: © Andreas Hornoff

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