Kettcar – Du und wieviel von deinen Freunden (Grand Hotel van Cleef, 28.10.2002)

Kettcars Du und wieviel von deinen Freunden hat mein Leben verändert.

Nunja, sowas ist ja immer sehr schnell dahin gesagt und steht oftmals auf der gleichen Inhaltsebene wie z.B.:
“Musik ist mein Leben.” von Castinggeilen-Dummbatzen.

Aber mir könnt ihr diesen Satz wirklich glauben. Solche Superlative hole ich nur raus, wenn ich diese auch wirklich und wortwörtlich so meine. Ehrlich!

2002 saß ich in der Kneipe, in welcher ich meine Jugend verbrachte. Auf einmal drang ein mir bis hierhin
unbekannter Song aus den Boxen direkt in meine Ohren, der sich dort auch sofort verankerte.

“Und wenn das alles ist okay / Nur schade, wenn man mehr erwartet / Der Teil den ich versteh’ /
Ist home ist nunmal where your heart is.”

Verdammte Axt! Ich habe zuvor noch nie einen solchen Moment erlebt, in welchem mich ein Song, ein Text, eine Musik, eine Stimme so berührt und mitgenommen hat, als es bei Ausgetrunken von Kettcar, im Jahr 2002 in einer kleinen Vorstadtkneipe der Fall war. Solche Musik läuft da normalerweise gar nicht und umso erfreulicher für mich in diesem einen Moment der guten Musik in diesem Etablissement vor Ort gewesen zu sein! Ich danke auch heute noch vielmals! Nachhause, den Rausch ausschlafen und am nächsten Tag dann umgehend ab zum Plattendealer!

Kein Song wirkt irgendwie überflüssigt, nichts ist auf der Platte austauschbar. Alles was in den elf Tracks passiert hat seine absolute Daseinsberechtigung. Folgend ein Track-by-Track mit meinen liebsten und bewegensten Textstellen von Du und wieviel von deinen Freunden.

Bereits Volle Disztanz nimmt mich umgehend mit. Akustische Gitarren und dann Wiebuschs Stimme & Text. Der Albumopener zeigt umgehend auf, was uns in dem weiteren Verlauf der LP erwarten wird.
Musikalisch hochwertige und intelligente deutschsprachige Pop-Musik.

“Und nichts ist beliebig und nichts ist egal / Atme ein, atme aus, du hast immer die Wahl /
Keine Stufen von grau, sondern schwarz oder weiss / Und du weißt was es heißt /
Wenn man tut was man hasst / Und du kannst ja gehen / Und wir sagen dir dann, wie’s war.”

Das einleitend bereits zitierte Ausgetrunken fesselte mich dann entgültig, nachdem ich mir die Platte gekauft hatte. Ein Song in dem einfach alles stimmt und der auch in meinem Freundeskreis zu einer absoluten Hymne wurde.

“Die Haustür hinter dir und vor dir der Nachdurst / Dazwischen wir, immer auf dem Sprung aus der Tiefe /
Und ist es vermessen zu sagen / Um alles und uns zu vergessen /
Wir waren die Ersten, die kamen / Die Letzten, die gingen / Benommen von den Impressionen.”

Money left to burn ein Song der mich textlich erst finden musste – oder andersherum. Vielleicht lag das auch an meinen zarten 15 Lebensjahren. Musikalisch holte mich der Track umgehend ab und ließ mich dann auch nicht mehr los.

“Zeig mir einen, dem das egal ist / Und ich zeig euch einen Lügner / Wir bezahlen mit unserem Namen /
Und gestorben, wenn wir tot sind / Na, ein Glück, dass wir das klären / Money Left to Burn.”

Ein Song über den Schmerz, welcher noch nie wunderbarer, ehrlicher und mit so wenig Peinlichkeit besungen wurde: Wäre er echt ist auch für mich schon seit jeher ein kleiner Geheimtipp auf meinen favorisierten Albumsong.

“Stell dir nur mal vor, er wäre echt / Als der Anruf kam / ‘Entschuldigung, sind Sie…?’ / ‘Ja, das bin ich.’ /
‘Wir müssen ihnen mitteilen…’ / Und das Leben, das du kanntest, das Leben war vorbei.”

Landungsbrücken raus ist glaube ich einer der bekanntesten Kettcar-Songs und auch einer, welcher am wenigsten Erklärung benötigt. In jedem einzelnen Wort sehe ich Hamburg vor mir, mit der klaren Verdeutlichung, dass auch ich diese Stadt so sehr liebe!

“An den Landungsbrücken raus / Dieses Bild verdient Applaus / Und noch 200 Meter / Und jetzt geht der Fallschirm auf / Jetzt geht der Fallschirm auf / Na dann herzlich Willkommen zuhaus /
Ein letztes Mal winken und ich bin raus.”

Balkon gegenüber. Den Typen der mit einer Trennung kämpfen muss, kennen wir alle nur zu gut. Marcus Wiebusch findet für diesen Anblick und Gemütszustand dann auch noch die passenden Worte:

“Viel Glück heut Nacht und viel Glück demnächst / Wenn du weitermachst oder untergehst / Wenn du aufhören willst und einsehen musst / Zwischen komm zurück und wirklich Schluss / Und viel Glück heut Nacht und in den nächsten Tagen / Und ich Vollidiot hab dir hier gar nichts zu sagen / Du bist mir sowas von egal / Nur gibt es da draussen, die die kannten das auch mal / Nur gibt es da draussen, die die kannten das auch mal / Nur gibt es hier einen, der kannte das auch/ Und wünscht Glück.”

Jenseits der Bikinilinie ist dann der siebte Track von Du und wieviel von deinen Freunden und ebenfalls ein so kleiner, unscheinbarer Song, welcher eigentlich viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Eine Geschichte über die Gefahr und den Konsequenzen der Gewohnheit im Zwischenmenschlichen.

“In welcher Zeit, besser wie viele Leben? / Mit wieviel Raum und worüber noch reden? / Und die Möbel noch umstellen, nur damit man vergisst / Was man noch hat, aber trotzdem vermisst / Aber was noch viel wichtiger ist / Die Geschwindigkeit, mit der du aufbrichst / Als müsstest du dich beeilen / Und die Welt neu verteilen.

Lattenmessen:

“Wir können das alles diskutieren / Aber doch bitte ohne zu reden / Zwischen großem Verständnis und von wegen / Die Welt geteilt in Gut und Schlecht / Und wer bei 10 noch steht hat Recht / Wer von uns bei 10 noch steht hat Recht.”

Im Taxi weinen ist dann der nächste Hit von diesem Album. Hier könnte ich den gesamten Text zitieren, weil auch diese Nummer textlich einen Meilenstein darstellt. Ich habe mich daher für eine sehr kleine Textstelle entschieden.

“Aber irgendwie schon besser / Im Taxi zu weinen / Als im HVV-Bus / Oder nicht?”

Hiersein

“Und dann im Boden versinken / Einen letzten Schluck trinken / Alles andere vergessen / Mit anderen Maßstäben messen / Dann den Blick langsam senken und raus aus dem Licht / Dies ist eine Geschichte – meine ist es nicht”

Ich danke der Academy

“Muss die Pflanzen auch mal gießen, muss ein Start-Up-Arschloch erschießen / Die Apotheke noch ausrauben, zumindest mal dran glauben / Also tragt es in die Welt, haut es mit Edding an die Wände / So lang die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende / Verteidige die Seele, das lustige Gebilde / Bis dahin: Alle Energie auf die Reflektorschilde.”

Du und wieviel von deinen Freunden ist in meinen Augen eines der besten deutschsprachigen Musikalben ever! Kettcar gelingt hier ein Meilenstein der deutschen Musikgeschichte. Und auch fast 14 Jahre nach der Entdeckung dieser Platte sage ich: Hut ab & die tiefste Verbeugung vor Kettcar und dieser LP!

Du und wieviel von deinen Freunden wird – und da bin ich mir sehr, sehr sicher – mein ganzes Leben lang eine meiner absoluten Lieblingsplatten bleiben.

kettcar_cover_04

Tracklist:

01. Volle Disztanz
02. Ausgetrunken
03. Money left to burn
04. Wäre er echt
05. Landungsbrücken raus
06. Balkon gegenüber
07. Jenseits der Bikinilinie
08. Lattenmessen
09. Im Taxi weinen
10. Hiersein
11. Ich danke der Academy