Johann Scheerer – Unheimlich Nah [Buchrezension] (Piper Verlag, 11.01.2021)

Jetzt mal ehrlich, wie würdet ihr euch verhalten, wenn einer eurer Familienangehörigen oder Verwandten entführt und erst nach bangem Warten wieder freigelassen worden wäre?

Keine tolle Vorstellung, oder? Das macht was mit einem!

Was hier wie ein Krimi klingt, dass ist so dem liebenswürdigen Johann Scheerer in seiner frühen Jugend bzw. Kindheit passiert – wer es noch nicht weiß, Johann ist nämlich der Sohn von Jan Philipp Reemtsma, der 1996 u.a. von Thomas Dracht entführt wurde und nach 33 Tagen und einer Zahlung von umgerechnet 15 Millionen Euro wieder freigekommen war.

Nach seinem ersten Roman “Wir sind dann wohl die Angehörigen: Die Geschichte einer Entführung” aus 2018, in welchem Johann emotional und mitreißend über diese bangen 33 Tage berichtete, welche das Leben der Familie für immer verändern würde, ist vor gut einem Jahr mit “Unheimlich Nah” sein zweiter Roman heraus gekommen.

Inhaltlich kümmert er sich hier vor allen Dingen um die Zeit danach… und speziell um die Schwierigkeiten, die mit der kontinuierlichen Überwachung und Begleitung durch Sicherheitsleute verbunden ist – eine sorgenfreie und “normale” Jugend sieht anders aus.

Auf über 300 Seiten berichtet der ehemalige Frontmann der Teenie-Band Score!, mit der er es fast zu einer internationalen Musik-Karriere geschafft hatte und nun schon seit vielen Jahren als Chef des Hamburger Studios & Labels Clouds Hill fungiert (u.a. The Mars Volta, At the Drive-In, Pete Doherty), wie schwierig es als Jugendlicher und junger Erwachsener war, ständig und 24 Stunden lang bewacht zu werden.

Mit dem gebotenen Maß an Ironie erzählt er von den ersten Versuchen, die große Liebe zu finden und auf Partys akribisch darauf zu achten, dass man dank seiner anwesenden “Babysitter” nicht als versnobter Sohn eines reichen Hamburger Mäzens (der u.a. auch für die Wehrmachts-Ausstellung in den 90ern verantwortlich war und alleine deshalb regelmäßig in den Medien stand) zu wirken – was natürlich alles andre als einfach ist, möchte man in dem Alter doch ganz normal sein!

In gewissen Kreisen bzw. nach solchen einschlagenden Ereignissen, kann man sowas aber nun einmal nicht – ich meine wenn man nicht einmal zum Bäcker auf der anderen Straßenseite gehen kann, ohne diesen “Ausflug” vorher anzukündigen, wieviel Bock macht der ganze Driss denn dann bitte noch?

Alles ist irgendwie peinlich, Lügen werden zum Tagesgeschäft… wie kann man so einen Freundeskreis aufbauen, der einem vertraut und der einem auf längere Sicht die Treue halten kann?

Mich persönlich hat “Unheimlich Nah” sehr nachdenklich gemacht… und ich bin froh, dass ich erstens nie eine solche Erfahrung machen musste und zweitens nie so in der Öffentlichkeit gestanden habe – so sehr sich ein jeder immer auch ein wenig Ruhm und Bekanntheit in seiner Jugend wünscht.

 

Herausgeber ‏ : ‎ Piper; 1. Edition (11. Januar 2021)
Sprache ‏ : ‎ Deutsch
Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 331 Seiten

Titelbild: Stefan Schmidt

 

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