Interview – “Das Beste daran in einer Band zu spielen ist, Menschen zu begegnen” mit Touché Amoré

Und wieder hat mich das Déjà-Vu. Erneut ein ausverkaufter Skaters-Palace in Münster. Dieses Mal jedoch nicht die große Halle, sondern das Café. Heute geben sich Touché Amoré aus Los Angeles die Ehre und haben die Kollegen von Angel Dust und Swain als Support im Gepäck. Bevor der Palace jedoch seine Pforten öffnet und es zu einer unfassbar intensiven Club-Show der Kalifornier, nicht auch zuletzt durch die Fülle enthusiastischer Fans, die auch den letzten Winkel des Cafés ausfüllen und Touché Amoré (zurecht) frenetisch feiern, kommt, haben wir die Möglichkeit mit Gitarrist und Gründungsmitglied Clayton Stevens im Backstage ein Gespräch zu führen

Björn:
Hey Clayton, ihr habt hier in Münster schon öfters gespielt richtig? Wie ist die Stimmung heute so?

Clayton:
Richtig, einmal haben wir glaube ich noch woanders gespielt, aber hier im Skaters Palace schon zwei oder dreimal. Uns geht es allen gut, wir kommen gerade aus der Holiday-Season und haben um Weihnachten herum keine Shows gespielt. Wir sind daher ziemlich entspannt.

Björn:
Zuallererst, Glückwunsch zu eurem neuen Album „Stage Four“, wir finden das Album wirklich klasse.

Clayton:
Oh, vielen Dank.

Björn:
Mich würde interessieren, wie es zum Deal mit dem Indie-Giganten Epitaph gekommen ist, das ist jetzt das erste Album, was ihr dort veröffentlicht. Wie seid ihr mit ihnen ins Gespräch gekommen?

Clayton:
Wir kennen schon ziemlich lange viele Leute, die dort arbeiten, mit einigen sind wir seit gut 10 Jahren befreundet. Es war eigentlich ganz einfach. Wir wollten ein neues Album machen, wussten aber nicht, wo wir es veröffentlichen wollten. Daher haben wir es verschiedenen Leuten geschickt und Brett (Gurrewitz, der das Label gegründet hat und es führt) war superenthusiastisch. Das Büro liegt auch nur ein paar Minuten von unserem Wohnort, also ist es alles wirklich sehr simpel gewesen. Wir sind mit vielen dort befreundet, sie mögen unsere Band und akzeptieren außerdem unsere Entscheidungen und lassen uns freie Hand bei dem, was wir machen wollen.

Björn:
Wenn ihr die Leute also schon länger kennt, nehme ich auch mal an, dass ihr vorher auch schon Fans des Labels wart oder?

Clayton:
Ja, natürlich, man muss einfach das Vermächtnis von Bands wie Bad Religion respektieren und dem, was sie in der Punk-Szene der 80er-Jahre geleistet haben. Da sind wir große Fans von. Und heute bringen sie zum Beispiel Bands wie Converge raus. Dazu kommt auch die Haltung des Labels, das sind alles Dinge, die wir auch sehr respektieren.

Björn:
Ihr habt nun nicht nur ein neues Label mit „Stage Four“ gefunden, sondern habt auch einen neuen Sound gewählt, während ihr gleichzeitig die typischen Touché-Qualitäten beibehalten habt. Mich würde interessieren, wie ihr eure Songs schreibt, wie sieht dieser Prozess aus?

Clayton:
Generell läuft es so, dass irgendjemand mit einer recht losen Idee ankommt, das kann ein Riff, eine Kadenz, etwas in der Richtung sein, und von da ist es dann ein demokratischer Prozess. Wir steuern alle etwas dazu bei und wenn jemand nicht zufrieden mit etwas ist oder es nicht mag, dann lassen wir es liegen. Ich denke das ist eine gute Herangehensweise, denn sie führt dazu, dass wir das Beste aus der Band herausholen. Natürlich ist das aber auch ein sehr langsamer und zäher Prozess. Wir haben nun mal diese Regel, dass es wirklich alle mögen müssen.

Manchmal kommt es auch vor, dass jemand schon etwas mehr Ausgearbeitetes mitbringt aber für gewöhnlich ist es ein sehr kollaborativer Prozess.

Björn:
Bei euch ist also jeder einzelne am Songwriting beteiligt?

Clayton:
Ganz genau.

Björn:
Wie ist es dann genau zur Veränderung des Sounds gekommen?

Clayton:
Um ehrlich zu sein, ganz von allein. Wir haben nicht viel darüber nachgedacht. Wir haben einfach neues Material geschrieben. Ich denke das hängt auch damit zusammen, dass sich Geschmäcker ändern und entwickeln. Eigentlich ganz einfach und natürlich.

Björn:
Was dich in der Gitarrensektion betrifft: Ihr nutzt viel weniger Distortion, dafür aber Modulationseffekte, besonders Reverb und Chorus, was sehr an einen Gitarrensound der 80er-Jahre erinnert, also ein bisschen Vintage klingt. Es erinnert mich außerdem an einen Post-Punk-Sound von Bands wie The National, von denen euer Sänger Jeremy ja nach Eigenaussage auch ein großer Fan ist. Ist das eine konzeptuelle Entscheidung gewesen, die Gitarren so klingen zu lassen, oder hat sich das völlig unabhängig vom Rest der Band unter euch Gitarristen so entwickelt?

Clayton:
Ich würde sagen, ein bisschen von beidem. Wie schon gesagt, Geschmäcker ändern und entwickeln sich. Ich persönlich bin ein großer Fan von 80er-Jahre Gitarrensounds und Nick auch, besonders von Bands wie Sonic Youth. Ich habe dann ein paar Sachen geschrieben, die sich auch gut mit weniger Distortion angehört haben und bin dann einfach dabei geblieben, ohne mir jetzt viel Gedanken darüber zu machen.

Wir verwenden aber tatsächlich sehr viel Zeit auf die Gitarren wenn wir Musik aufnehmen. Wir setzen und wirklich hin und achten ganz genau darauf, dass es so klingt, wie wir es haben wollen.

Björn:
Gibt es bestimmtes Equipment, das ihr verwendet? Sowas wie das Rückgrat eures Gitarrensounds?

Clayton:
Für mich schon seit je her Twin Reverbs und Fender Gitarren. Also alles von Fender, Bässe, Gitarren, so gut wie jedes Modell. Jazzmaster, Jaguars, Strats, Teles, ganz egal. Also Fender-typischer Sound einfach.

Björn:
Wie du jetzt auch schon sagtest, ich habe auch das Gefühl, dass ihr da sehr viel Mühe in die Gitarrenarbeit investiert. Gibt es für dich bestimmte GitarristInnen, die dich maßgeblich beeinflusst haben?

Clayton:
Als wir mit der Band angefangen haben würde ich sagen, der Schreibstil von Kurt Ballou und Converge, genauso wie Envy aus Japan. Für mich persönlich auch noch Sonic Youth, das ist meine Lieblingsband, die haben ganz grundsätzlich einen gigantischen Einfluss auf mein Gitarrenspiel.

Björn:
Das wären dann so die ganz großen Vorbilder?

Clayton:
Definitiv, ja. Aber auch noch solche Dinge wie die Beatles. Ich stehe nämlich auch auf diese Melodiösität.

Björn:
Fast jeder liebt die Beatles.

Clayton:
Eigentlich schon, ich habe aber das Gefühl, dass gerade Leute aus unserer Generation dazu tendieren, die Beatles einfach zu übersehen.

Mir ist sonst noch die Herangehensweise und der Punk-Ethos sehr wichtig. Deswegen mag ich Sonic Youth auch so sehr. Die sind melodisch, aber auch noisy, letztendlich steht aber ihre Punkrock-Attitüde und diese Herangehensweise ans Gitarrenspiel im Vordergrund. Das ist mir sehr wichtig

Björn:
Ihr stammt aus Los Angeles und das ist ja eine sehr weite Region mit sehr vielen unterschiedlichen, auch kulturellen Szenen. Wie war es als Band in dieser Gegend anzufangen, wie habt ihr euch euren Weg gebahnt in Los Angeles?

Clayton:
Das ist schwer zu beantworten. Wenn man zum Beispiel von der L.A.-Szene spricht, dann assoziiere ich damit immer den Sunset Strip, die Bar-Szene und Bands wie Guns’n’Roses. Das passiert natürlich gar nicht zu uns. Die ersten Konzerte, die wir gespielt haben, waren immer Hausshows. Das ähnelte viel mehr dem Ethos von dem, was in der Bay Area passierte oder in Washington D.C. bei Dischord. Das hatte einen viel größeren Einfluss auf uns. Wir wollten einfach nur mit guten Bands, mit denen wir uns identifizieren konnten spielen. Wir haben uns also nie als Teil einer regionalen Szene oder der L.A.-Gegend gesehen. Einige von uns sind auch in kleineren Vororten der Stadt aufgewachsen, und dort gab es auch keine wirkliche Musik-Szene. Wir hatten nicht so etwas wie D.C., wo alle coolen Bands aus der gleichen Gegend kamen und sich eine regionale Szene aufgebaut hat. Wir haben unsere Freunde eher im ganzen Land, wären wir auf Tour waren, kennen gelernt.

Björn:
Das macht Sinn, wenn man sich anschaut mit wem ihr so befreundet seid. Das sind ja auch viel Bands von der Ostküste oder der Great Lakes-Area. Wie habt ihr euch angefreundet?

Clayton:
Als wir die Band gestartet haben, haben wir uns zwei Dinge vorgenommen: 1. Wir wollten unbedingt unsere Musik auf Vinyl veröffentlichen, weil wir das vorher noch nie gemacht hatten und 2. wir wollten auf Tour gehen. Und da haben wir all diese Bands kennen gelernt. Dadurch, dass wir Shows in Häusern, Kellern und DIY-Venues gespielt haben. Viele der Leute sind auch in unserem Alter, aber auch da kommt es gar nicht so zwingend drauf an. Als wir die Leute von Converge kennen gelernt haben, sind wir super mit ihnen ausgekommen, auch wenn sie wesentlich älter als wir sind. Dadurch, dass wir den gleichen Ansatz und Ethos verfolgen. Das Gleiche gilt für Envy, die haben wir kennen gelernt und uns auch auf Anhieb super verstanden.

Björn:
Und das ist wirklich das Interessant, wenn man bedenkt, dass die aus einer ganz anderen Gesellschaft und Kultur aus einem anderen Winkel der Erde stammen.

Clayton:
Egal ob sich die Musik stilistisches unterscheidet, man unterschiedlichen Alters ist oder von einem ganz anderen Ort kommt. Die Einstellung und die DIY-Attitüde verbindet einen über alle diese Grenzen hinweg.

Björn:
Dann wäre meine letzte Frage jetzt: Was bedeuten dir diese Freundschaften und Begegnungen auf der ganzen Welt, auf persönlicher und auf Bandebene?

Clayton:
Ich denke, dass das auf beiden Ebenen die schönste Sache ist, die die Band mir gegeben hat. Alles andere ist vergänglich. Das Beste daran in einer Band zu spielen ist, Menschen zu begegnen. Die Musik ist das was dich zusammenbringt, aber die menschlichen Beziehungen, die sich daraus ergeben, können dann noch weiter darüber hinausgehen und andauern.