Interview – “Ich warte immer noch darauf, dass mich jemand antippt und meint: „Das war alles nur Spaß, du arbeitest ab jetzt als Buchhalter“ oder sowas” mit PUP

Es kann kaum etwas Schöneres geben als an einem Freitag nach Feierabend in Richtung eines hervorragenden Festival-Abends in der Münsteraner Sputnikhalle zu düsen. Gut gelaunt werden Nico und ich Verlauf des Abends ganze sechs Bands bejubeln können, darunter u.a. Luca Brasi, Apologies I Have None, mit denen wir vergangenes Jahr schon sprechen konnten, und Headliner Moose Blood. Ebenfalls mit auf dem Tableau: PUP aus Kanada, von dessen zweitem Album „The Dream Is Over“ wir sehr angetan sind. Bevor der ganze Spaß losgeht, nimmt sich Gitarrist Steve Sladkowski die Zeit in einer ruhigen Ecke des Sputnikhallen Innenhofs mit uns zu plaudern.

Björn:
Ihr seid derzeit zusammen mit Moose Blood auf Tour. Wie kommt ihr miteinander aus und was sind die Unterschiede zwischen ihnen als englischer und euch als kanadischer Band?

Steve:
Wir kannten uns schon im Vorfeld, weil wir in den USA schon zusammen auf der Warped Tour unterwegs waren. Es gibt eigentlich keine wirklich großen Unterschiede. Ihre Crew ist vielleicht größer, aber sie sind ja auch der Headliner, das ist also nur natürlich. Naja uns sie haben mehr Tattoos als wir (alle lachen), aber das wäre auch schon alles. Wir kannten Luca Brasi auch schon vorher, weil wir in Australien mal zusammen getourt haben. Jetzt mit Bands auf Tour zu sein, die man schon kennt, macht vieles einfacher. Man findet schneller den Rhythmus.

Björn:
Dann freust du dich auch auf das kleine Festival hier nehme ich an?

Steve:
Ja absolut, außerdem habe ich noch nie Apologies I Have None gesehen, da freue ich mich also auch drauf.

Björn:
Was hat euch angetrieben, nach dem vernichtenden Satz „The Dream Is Over“ von Sänger Stefan Babcocks‘ Arzt mit der Diagnose von ernsthaften Stimmproblemen trotzdem weiter zu machen und diese Worte sogar zum Albumtitel zu küren?

Steve:
Naja, irgendwie hatten wir das Gefühl, gar keine andere Wahl zu haben. Weißt du, wir haben lange an den Songs gearbeitet und mussten dieses Album liefern. Ich spiele schon seit Ewigkeiten in Bands. Mein ganzes Leben dreht sich um Bands, Gigs und Musik machen. Wenn du deinen Job kündigst um dich Vollzeit der Band zu widmen, dann musst du solche Widrigkeiten einfach mit akzeptieren. Denn am Ende des Tages musst du irgendwie deine Miete und deine Rechnungen bezahlen. Es hat jetzt mit Stefans Stimme natürlich einfach nur etwas länger gedauert, bis er sich erholt hatte, weil er natürlich erstmal Ruhe und eine Auszeit brauchte. Wir haben auch unseren Lebensstil ein wenig verändert. Wir können nicht mehr jede Nacht Party machen und auf Fußböden schlafen wie wir das in der Vergangenheit getan haben. Ich meine, ab und zu machen wir das immer noch. Aber wir achten jetzt mehr auf unsere Gesundheit.

Björn:
Das neue Album wird überall sehr positiv aufgenommen, gab es irgendwo einen bestimmten Punkt, an dem ihr realisiert habt, dass diese Band das Potential hat, dass mehr daraus wird als nur eine Aktivität in einer lokalen oder regionalen Szene?

Steve:
Das ist kurz nach dem ersten Album passiert. Da sind wir zum ersten Mal in Europa gewesen. Für mich persönlich wurde es dann so richtig deutlich Ende 2014, Anfang 2015, als wir mit The Smith Street Band durch Australien getourt sind. Natürlich ist Europa auch schon weit weg von Kanada und in manchen Ländern gibt es vielleicht noch die Sprachbarriere, aber wir fühlen uns viel näher an Europa und im Endeffekt ist es für uns auch nur ein acht Stunden-Flug. Nach Australien sind wir 24 Stunden lang gereist. Das ist eine andere Hemisphäre und  noch mal ein ganz anderer Ort auf der Welt. Und ganz generell: Wenn Leute außerhalb unseres Heimatkontinents die Songs mitsingen, obwohl man sich vielleicht in einem ganz anderen Kulturkreis befindet und durch die Musik doch eine Verbindung entsteht. Das macht es so Wert. Und an dem Punkt verstehst du dann, dass das mit der Band wirklich etwas werden könnte.

Björn:
Du hast gerade von internationalen Shows und verschiedenen Kulturen gesprochen hast: Konntest du Unterschiede ausmachen bezüglich dem Touren auf verschiedenen Kontinenten?

Steve:
Klar. Die Gastfreundlichkeit in Deutschland ist die beste, die wir je erlebt haben

Björn:
Jetzt echt?

Steve:
Hundertprozentig. Wenn du in Deutschland in einen Backstageraum kommst, dann sind dort schon Brot, Wurst, Käse und frisches Obst vorbereitet. Und das ist noch nicht mal dein Abendessen. Normalerweise wäre das nämlich schon alles, was du bekommst, wenn du eine Show ausverkaufst in Nordamerika. Hier kommen wir zu einer Venue und werden behandelt, als wenn wir sie ausverkauft hätten, unabhängig davon, wie viel Tickets tatsächlich verkauft wurden. Das scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein. Und dann bekommst du noch etwas gekocht. Und wenn im Kühlschrank mehr als die Hälfte des Biers getrunken ist, wird schon wieder nachgefüllt. Wir witzeln in der Band immer: Ein leerer Bierkühlschrank in Deutschland ist stets halbvoll. Ein anderer Unterschied ist das Publikum. In Nordamerika würdigen die Leute es, wenn du in ihre Stadt kommst. Einfach weil alles so weit auseinander liegt und du mehr Strecke zurücklegen musst, um an einen anderen Ort zu kommen. Das gleiche gilt für Australien, die Distanz die es zu überwinden gilt bis zur nächsten Show sind einfach gigantisch. Hier fährst du nicht so lange von einer zur nächsten Stadt. Alles in allem sind wir sehr glücklich so viel touren zu können und all diese Unterschiede kennen zu lernen.

Björn:
Ihr seid seit Ewigkeiten miteinander befreundet, mich würde interessieren, ob du dich an so etwas wie die schönste Erinnerung, die ihr teilt, erinnern kannst?

Steve:
Für mich persönlich war das die Zeit als wir angefangen haben unsere ersten Shows selbst zu organisieren im lokalen Jugendzentrum. Abgesehen davon aber jedes Mal wenn wir in einen Flieger steigen und ich auf der Einreiseerklärung, die zwischen „Freizeit“ und „Arbeit“ unterscheidet, die Box mit „Arbeit“ ankreuzen kann, weil ich tatsächlich arbeite, obwohl wir so viel Spaß auf Tour haben. Ich warte immer noch darauf, dass mich jemand antippt und meint: „Das war alles nur Spaß, du arbeitest ab jetzt als Buchhalter“ oder sowas.

Björn:
Habt ihr enge Freundschaften zu anderen Bands?

Steve:
Absolut. Jeff Rosenstock ist zum Beispiel ein sehr guter Freund von uns. The Smith Street Band und Luca Brasi durch die Australien-Touren. Moose Blood kennen wir jetzt auch eine ganze Weile, die Menzingers natürlich und auch Freunde aus Kanada, wie zum Beispiel The Dirty Nil. Das Gute an unserer Position ist: Bands, die etwas größer und schon länger unterwegs sind als wir nehmen uns mit auf Tour. Das war bei den Menzingers auf jeden Fall so. Und jetzt können wir wiederum Freunde unterstützen und mit auf Tour nehmen.

Björn:
Ihr habt ziemlich großartige Musikvideos: Wer kommt auf die Ideen dazu? Ich habe das Gefühl, Musikvideos sind heutzutage etwas verlorengegangen, da es kein wirkliches Musikfernsehen mehr gibt und kein Label mehr Geld da hinein investieren will. Außerdem habe ich das Gefühl, dass gute Musikvideos nicht mehr so geschätzt werden wie früher, weil man diese Kunstform langsam vergisst.

Steve:
Die Leute, die unsere Musikvideos machen sind zwei Freunde von uns namens Jeremy Schaulin Rioux und Chandler Levack. Als wir mit der Band gestartet sind, haben sie zufällig Filmproduktion studiert und waren ungefähr zu der Zeit fertig, als wir ein Musikvideo brauchten. Beim Rumhängen meinten sie zu uns, dass sie eine gute Idee für „Reservoir“ haben. Und seitdem haben sie so ziemlich jedes Video von uns gemacht. Wir haben also einfach Glück, dass wir mit ihnen befreundet sind.

Und was du zu der Bedeutung von Musikvideos gesagt hast: Es stimmt schon, dass es nicht mehr so viele richtige Musikvideos gibt und sie keine so große Rolle mehr spielen bei der Promotion von Künstlern. Auf der anderen Seite bieten Plattformen wie YouTube und Vimeo natürlich auch die Möglichkeit, dass du die Musikvideos drehen kannst, die du möchtest.

Björn:
Es gibt niemanden, der eine Idee erst abnicken muss, bevor du drehen kannst.

Steve:
Richtig, und wir haben das Glück, Freunde zu haben denen Musikvideos genauso wichtig sind wie uns und die sich deshalb so viel Mühe dabei geben. Auf der anderen Seite gibt es auch Künstler, die nicht daran interessiert sind, Videos zu drehen. Und das ist auch ok. Das Internet und Streamingdienste ermöglichen es kleineren Künstlern wie uns mehr kreative Freiheit zu haben und Wege so zu gehen, wie wir möchten, ohne dabei abgesteckten Pfaden folgen zu müssen.

Björn:
Das erste Musikvideo, das ich von euch gesehen habe, war das zu „Guilt Trip“. Das ist echt intensiv. Der Schauspieler, der euren Sänger Stefan spielt, ist auch Teil des Casts von Stranger Things, richtig?

Steve:
Absolut, ja, unsere Freunde haben ihn für dieses Video gecastet. Das war vor zwei Jahren, als er noch nicht bei Stranger Things war.

Björn:
Dann kennt ihr euch?

Steve:
Oh ja, bevor wir aus Toronto losgeflogen sind für die Tour haben wir noch zusammen rumgehangen und waren mit seiner Mom was Essen. Er hat einen hervorragenden Musikgeschmack. Er ist ein kleiner Punk. Seine Eltern sind auch cool, er hat schon einige Shows von uns besucht.

Björn:
Und Stranger Things ist ja total durch die Decke gegangen, was für ein Glücksgriff.

Steve:
Ja, es ist total surreal. Als wir mit seiner Mom und einem unserer Regisseur-Freunden im Café abgehangen haben, wurde er auch mehrmals erkannt und die Leute wollten Selfies mit ihm machen und so weiter. Aber er ist zum Glück ein cleveres Kerlchen und lässt sich davon nicht den Kopf verdrehen. Er ist super

(Steve zeigt mir zum Schluss noch ein Bild von allen zusammen im Plattenladen, vermutlich in Toronto).