Erklärtes Ziel von Fjørt war es seit jeher, möglichst überall spielen zu können. Damit haben sie sich in den letzten Jahren einen Ruf erarbeitet, der ihnen nun vorauseilt und vor enthusiastischen Synonymen nur so strotzt: Gigantisch. Monumental. Brachial. Episch. Oder anders – es ist nur sehr schwer an dem Aachener Trio vorbeizukommen. Als sie sich jetzt für eine kurze Mini-Tour nach Österreich aufgemacht haben, um die kleinen Läden zu bespielen, haben wir die Band in Innsbruck getroffen. Die Züge, die über die Innsbrucker Viaduktbögen donnern, lassen den gesamten Raum leicht vibrieren, als wir uns mit Bassist David zum Interview einfinden. Vibrieren ist ein gutes Stichwort, denn genau das ist es, was ein Fjørt-Konzert zu Beginn in den Raum zaubert – zunächst leicht surrend, sich aufbauend, bis es sich mit den ersten Akkorden Raum bricht und sich donnernd über Band und Publikum entlädt.
Gibt es bei einer Clubtour irgendwelche Herausforderungen, die man bei größeren Shows nicht hat?
„Am meisten für Technik und Crew. Unsere Crew ist eigentlich so angelegt, dass man Platz hat für alles und das ist jetzt etwas kompakter. Das ist die Competition hier. Wir sind unglaublich froh, dass wir jetzt ein paar mehr Shows in Österreich spielen können und dass wir so eine tolle kleine DIY Booking Agentur (Lässig Booking) haben, mit der wir hier zusammenarbeiten. Allgemein spielen wir super gerne Clubshows, weil das eine ganz andere Betriebstemperatur ist. Man kann sich ein Set ausdenken und nimmt es viel intensiver wahr. Festivalshows sind auch immer ganz schön, aber man muss das sehr gut timen, dass man nicht über den Slot hinausgeht. Das ist dann immer so ein bisschen Fließbandarbeit. Im Club kommen die Leute für die Show, wollen die Band sehen – deshalb haben wir gerade extrem Bock auf diese Touren.“
Ihr arbeitet ja schon viel mit Licht und Effekten bei den Shows. Seid ihr dann da auch offen?
„Ja, voll. Man muss nur immer auf die Größe der Clubs schauen. Was kann man überhaupt machen, wann überstrapaziert man es? Wir sagen immer, dass uns Sound und Licht super wichtig sind. Das ist die nächste Dimension in der Musik. Wenn ich beispielsweise zufällig neue Tracks höre, interessiert mich immer sehr schnell, wie die live klingen. Wenn der Sound geil ist, kann ich darin versinken, das ist anders als auf Platte. Zusammen mit dem Licht entsteht dann eine Symbiose. Wir sind sehr glücklich, dass wir über die Jahre mit den gleichen Leuten zusammenarbeiten, die das supergeil abstrahieren können, wie wir das machen.“
Ihr benutzt oft mehr oder weniger Kunstwörter in den Songtiteln – ist das immer Pflicht und gehört es zum Erscheinungsbild von Fjørt?
„Es entsteht oft so, dass Musik und Text zusammenwachsen. Dann überlegt man sich, wie man das bezeichnet. Der Klassiker ist, etwas aus dem Song zu nehmen, das sich einprägt. Das finde ich immer eher angweilig. Wir versuchen dann, ein Wort zu finden, das das Ganze auf den Punkt bringt. Das ist manchmal auch abstrahiert oder fantasiert. Wir haben einen Song auf der letzten Platte, „lakk“, wo es ein wenig um die Werbeindustrie geht. Wir fanden, dass etwas, das mit Lack bemalt ist, was nicht ganz real ist, ziemlich gut passt. Außerdem gab es mal eine Band, die so hieß, so kam das zusammen.“
Wenn du „lakk“ gerade schon ansprichst: Darin habt ihr bereits getextet, dass die Umstände keine andere Musik zulassen. Wie düster wird euer Nachfolgewerk?
„Darüber habe ich letztens erst mit Chris gesprochen. Es ist halt leider eine Zeit, in der man verdammt gut texten kann. Allerdings möchte man in diesem Zusammenhang „gut“ gar nicht sagen. Ich glaube nicht, dass wir texten könnten, wenn alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre. Wir brauchen schon ein Stück weit das Negative oder das, was aus unserer Sicht falsch läuft, um das in Akkorde und Musik zu übersetzen. Die letzten drei Jahre bieten – wir reden über Kriege, die begonnen haben, eine US-Wahl, bei der man denkt, Alter, was ist denn da los – schon sehr, sehr viel Futter. Inwieweit sich das aber musikalisch bei uns einspielt, kann man nicht sagen. Künstlerisch kann das auch einen komplett konträren Weg nehmen: Dass sich aus dieser Hoffnungslosigkeit keine Aggression kreiert, sondern etwas anderes. Die Zeiten, um Musik unserer Ausdrucksart zu machen, sind jedenfalls extrem. Leider.“
Aus welcher Stimmung heraus schreibt ihr – ist es immer Wut oder Melancholie?
„Da unterscheiden wir uns. Bei mir ist es sehr oft Unverständnis über unsere Gesellschaft und die menschliche Spezies im Allgemeinen. Wie ist es möglich, so miteinander umzugehen? Das ist bei mir sehr, sehr oft der Trigger. Was gerade in der Welt abgeht, dass Menschen aufeinander schießen, das verstehe ich nicht. Aber es passiert und es wird von Staaten gesteuert. Ich weiß nicht, wie sich die Leute gerade an der Front in der Ukraine gegenüberstehen. Das sind ja keine Menschen, die persönlich ein Problem miteinander haben. Das ist für mich so krass, da erwächst bei mir eine Wut, wie wir so sein können. Wir haben als Menschen dieses unglaubliche Talent, miteinander reden zu können, über Sachen zu sprechen und auch Lösungen zu finden. Aber die Lösung ist nicht, dass wir uns umbringen. Welches Tier macht das denn?“
Bei Chris ist es eher die Melancholie?
„Ja, da Chris auch noch andere Themen behaftet, wogegen ich etwas resistenter bin. Vielleicht das Zweifeln, also das Anzweifeln von Strukturen oder die Art und Weise, wie man miteinander umgeht, wenn man mit Themen nicht gut klarkommt – dann geht es öfter ins Melancholische.“
Ihr textet viel am Puls der Zeit – wie sehr wünscht ihr euch manchmal, dass es anders wäre? Aktualität bleibt ja nicht bestehen, sondern verändert sich.
„Als wir 2015 den Song „Paroli“ geschrieben haben, der sich mit Pegida und HoGeSa und den ganzen Sachen beschäftigt hat, dachte ich, das ist ja unfassbar krass, was hier abgeht. Du stehst auf den Gegendemos vor so Hools und denkst, was ist denn mit euch verkehrt? Ich dachte wirklich, schlimmer kann es nicht mehr werden, jetzt regelt das die Gesellschaft, also dass wir mehr sind.“
Das dachten wir alle…
„Genau. So ist auch dieser Text aufgebaut, mit „Wir halten Stand“. Aber es ist unfassbar viel krasser geworden. Wenn man sich die Landtagswahl in Thüringen anschaut, ist der Vibe ja jetzt so, dass das in der Gesellschaft akzeptiert wird, normalisiert wird. Gerade das ist ja dieses supergefährliche.“
Dagegen Ballern
“Aus der Sicht eines Musikers denkt man, man schreibt einen Song, aber was hat man eigentlich wirklich getan? Daran habe ich mich auch schon in Texten abgearbeitet. Aber wir wurden bei diesen sehr vielen guten Gegendemos oft verlinkt und es gab Schilder mit Zitaten. Da denke ich mir, wenn das bei den Kids angekommen ist, dann ist es doch gut. Ich hab auch keine Ahnung wo das hingeht, man kann halt immer nur sehr stark sein und dagegen ballern.“
Gegenseitiges Empowerment ist ja nicht verwerflich.
„Du hast das Talent, mit Musik etwas zu platzieren, was für andere geil ist und hilft, dadurch hast du ein bisschen was beigetragen, aber es fühlt sich nie so an. Das ist mein innerer Konflikt.“
Auf euren ersten Platten habt ihr textlich noch viel Interpretationsspielraum zugelassen. Jetzt ist es oft direkter, sowohl musikalisch als auch textlich. Du lachst schon … Wie kam es zu dieser Entwicklung?
„Wir haben eben über Wut geredet. Wut in der Poesie, also in einer poetischen Darstellung von Dingen, funktioniert nie gut. Das kann man ja nicht steuern, Texte kommen eher so aus einem heraus. Wenn ich an „Demontage“ zurückdenke, da war es eher kryptisch. Da sind zwar auch brettharte Zeilen drin, aber ohne so ein direktes Bild zu haben, was gemeint ist. Natürlich denken wir alle auch simpel und wenn man etwas direkter benennt, tut es manchmal noch mehr weh. Eigentlich will man ja in den Texten viel sagen – mindestens sieben DIN A4 Seiten, aber vor allem auf „nichts“ war es noch mehr auf den Punkt gebracht. Also ja, das hat sich etwas gewandelt, aber wir haben jetzt auch kein Regelkorsett bei den Texten.“
Euch gibt es jetzt auch schon gut zehn Jahre. Wie viel Veränderung innerhalb der Bandstrukturen möchte man da zulassen, bevor es unangenehm wird?
„Wir sind sehr, sehr glücklich, dass wir seit 2012 in dieser Besetzung Musik machen können. Damals wollten wir schauen, in welcher Steckdose wir spielen können. Wir sind, glaube ich, von Krankheiten sehr verschont, sodass wir alles irgendwie machen können, dass bei jedem auch der Beziehungshintergrund oder der familiäre Background funktioniert – oder auch der elterliche Background, das kann auch schnell sein, dass man da gebraucht wird. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster – aber ein Besetzungswechsel würde in dieser Formation überhaupt nicht funktionieren. Ich möchte nur Musik spielen, wenn Frank am Schlagzeug sitzt und Chris neben mir steht. Mit einer anderen Person ist der Track zwar derselbe, aber nicht, wie er entstanden ist und was wir damit erlebt haben. Dann bricht ein wichtiges Element ja komplett weg.
Wir wollen unseren Weg mit coolen Leuten weitergehen, Designer*innen oder Produzent*innen, Videograf*innen oder Crew. Wir werden weiterhin mit unserem Team zusammenarbeiten – klar, das ist super konservativ und rückwärtsgewandt, aber wir fühlen uns da wohl und geschützt.“
Viele Bands durchleben auch eine Art Ermüdungsphase, wenn es schwierig wird, das Bandleben mit dem restlichen Leben in Einklang zu bringen. Ist das für euch intensiver, weil ihr zu dritt seid?
„Das ist schon so ein Auffangprinzip. Wenn einer sagt, ey, ich hab jetzt den Kopf voll, ich kann nicht, dann springen die anderen ein. Als Frank beispielsweise Kiddies bekommen hat, war es völlig klar, dass er in einem Prozess für eine neue Platte, wo viele Aufgaben anfallen, freigestellt wird. Umgekehrt ist es genauso. Für uns funktioniert das sehr gut, weil wir alle zeitintensiven Themen wie das Booking ausgelagert haben. Das hält uns den Rücken frei.”
Das braucht man ja auch für die Kreativität.
„Ja, sonst wäre es schwer. Alles an Fjørt in der Musik, in den Videoproduktionen, dem Merchdesign und was den Ideenkosmos anbelangt ist komplett DIY, da redet uns niemand rein. Aber bei Promo, worauf wir überhaupt nicht stehen, oder Social Media, da lassen wir uns unterstützen. Wir wissen, dass das manchmal notwendig ist. Wir überlegen uns, was wir den Leuten schreiben wollen, aber bei dem Rest lassen wir uns helfen.“
Ihr macht euch also angenehm frei von dem Zwang, ständig stattfinden zu müssen?
Wir kennen die Voraussetzungen, was man tun müsste, damit man den Content oder das eigene Wachstum mehr befeuert. Diesen Weg verfolgen ja auch viele, viele Künstler*innen im Moment. Was ich überhaupt nicht kritisiere, weil das eine Spielwiese ist. Nur unser persönlicher Maßstab ist es eben nicht. Das Schöne ist, dass die Leute, die unsere Musik gut finden, das auch gar nicht wollen. Wir nutzen das schon, um eine Tour anzukündigen oder uns zu bedanken, aber nicht, um Joko und Klaas-mäßig zu unterhalten.”
Aber ist das für euch nicht auch eine etwas charmante Ausgangssituation? Ihr habt doch schon eure Basis?
„Das sage ich immer wieder. Wir sind in dieser Band, als wir uns gegründet haben, ich nenne es mal, auf der letzten Social Media Welle geschwommen. Damals hat eine Empfehlung auf Facebook noch wirklich den Freund*innenkreis erreicht, abseits von Ads und Werbemaßnahmen. Aber klar, da sind wir schon in einer verdammt glücklichen und privilegierten Ausgangslage.“
Für das Artwork arbeitet ihr ja schon lange mit Freya Paul zusammen. Wie entstehen ihre Ideen – ist das text- oder musikbasiert?
„Das läuft beides parallel und es ist so wunderschön, dass es mit Freya immer so geil klappt. Bei „D’accord“ hatte sie dieses unglaubliche Foto geschossen, wo so vieles falsch war: die ganze Aufmachung, der Blick der Frau, die Pelzmütze (das Falscheste überhaupt!) … Es war so viel Unbehagen in diesem Bild. Dann kam der Kontakt zustande, ob sie nicht Lust hätte, eine Platte irgendwie zusammen zu kreieren. Bei der nächsten Platte war es ein Foto von meinen Eltern, das auch wieder so falsch war, aber anders falsch. Für uns war immer wichtig, Personen zu verwenden, die in irgendeiner Form etwas Falsches haben, das war immer unser Gedanke dahinter“.
Fotocredit: Sophia Roßberg