Interview – “Da hat man sich ein Sixpack geholt und sich bei jemandem zuhause getroffen, wo dann Bands gespielt haben” mit The Menzingers

Pennsylvania. Eine Brutstätte für großartige Punk/HC- und Emo-Bands. Egal ob Anti-Flag, Beach Slang, mewithoutYou, Title Fight, Tigers Jaw und wie sie noch alle heißen. Auch die symphatischen Jungs von den Menzingers kommen aus diesem Vorgarten des Midwest, sogar aus der gleichen beschaulichen Kleinstadt wie die jüngeren Kollegen von Tigers Jaw, namens Scranton, bevor dann in die große Stadt Philadelphia gezogen wurde. Welche Verstrickungen das Quartett sonst noch in der PA-Punkscene hat, erfahre ich in einer ruhigen Ecke des Vorhofs nahe der Hannoveraner Faust von Gitarrist und Sänger Tom May. The Menzingers supporten heute Abend ihre Freunde von The Bouncing Souls (ja, ein Punkrockabend par excellence).

Björn:
Es ist schön, euch wieder hierzulande begrüßen zu können, und dann auch noch in so einem großartigen Package zusammen mit den Souls. Soweit ich weiß, sind das gute Freunde von euch oder?

Tom:
Oh ja, wir waren jetzt fünf oder sechs Mal mit ihnen auf Tour und mittlerweile sind wir uns ziemlich nahe. Als ich jünger war, waren das eine meiner Lieblingsbands und im Laufe der Jahre dann mit ihnen zu touren und rauszufinden, dass das auch ganz großartige Menschen sind, ist eine der belohnendsten Dinge für mich. Manchmal bin ich in ihrer Gegenwart immer noch etwas nervös.

Björn:
Echt, bist du dann immer noch ein bisschen Starstruck?

Tom:
Ab und zu passiert das immer noch, ja.

Björn:
Kannst du dich noch an eure letzte Show in Hannover zusammen mit Bad Religion erinnern? Ihr wart damals ganz spontan als Support bestätigt.

Tom:
Ja, an die Show kann ich mich erinnern. Ich weiß nicht mehr genau wie das alles zustande kam, aber ich kann mich noch erinnern, dass das total Last Minute war.

Björn:
Das dürfte so zu der Zeit gewesen sein, als ihr gerade den Epitaph-Deal unter Dach und Fach hattet.

Tom:
Ja, das kommt gut hin.

Björn:
Wo wir über Epitaph und über Alben sprechen: Euer neues Album wird ja auch bei Epitaph erscheinen und ihr habt dieses Mal mit Will Yip zusammengearbeitet. Was hat euch dazu bewegt, ihn als Produzenten auszuwählen? Und wie wird das Album klingen?

Tom:
Will ist eine der konzentriertesten und fokussiert arbeitenden Menschen, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe und ich bin sehr froh, ihn mittlerweile einen guten Freund nennen zu dürfen. Er hat eine großartige Einstellung und ist in der Lage, das allerbeste aus einem und der Situation herauszuholen. Ein anderer Grund war, dass wir in Philadelphia bleiben wollten. Vielleicht liegt das daran, dass wir älter und bequemer werden, wer weiß. Wir hätten auch nach Kalifornien fliegen oder in Nashville ein Album aufnehmen können, aber wir wissen mittlerweile ganz gut was wir wollen und haben wirklich lange und intensiv an den Songs gearbeitet. Also haben wir uns mit Will getroffen und er wollte auch gern mit uns arbeiten.

Was das Album selbst anbetrifft: Wir haben länger daran geschrieben als an jedem anderen Album bisher, was denke ich, eine der positiven Dinge einer länger andauernden Karriere ist, dass man sich mehr Zeit bei diesem Prozess nehmen kann. Das Album orientiert sich mehr an „On The Impossible Past“ und wir haben viel mehr Zeit auf die Vocal-Produktion verwendet als sonst. Ich denke, es klingt insgesamt sehr fokussiert und kohäsiv. Es passt alles sehr gut zusammen.

Björn:
Das ist auch in ungefähr das, was viele andere über Will erzählen. Ich frage deswegen, weil mir die Alben, die er in der letzten Zeit produziert hat, allesamt ziemlich gut gefallen. Was war diesmal eure Herangehensweise beim Songwriting? Gab es da auch Unterschiede im Vergleich zu euren alten Alben?

Tom:
Abgesehen davon, dass wir uns mehr Zeit gelassen haben und lockerer an die Sache gegangen sind, haben wir viele Songs auch offen gelassen und haben uns nicht so festgelegt, damit wir im Studio mit Will noch weiter an Ideen arbeiten konnten.

Björn:
Ihr habt euch von Album zu Album immer ziemlich entwickelt und euren Sound immer wieder verändert. Das sieht man im Punkbereich nicht so wirklich häufig. Was initiiert diese Umbrüche bei euch und wie bewusst seid ihr euch ihrer überhaupt?

Tom:
Bei Punkrock passiert es glaube ich häufig, dass Bands eine Formel finden, die für sie funktioniert, und dann dabei bleiben und das weiter verfolgen. Und da ist überhaupt nichts Verwerfliches dran, finde ich. Viele, sehr großartige Bands haben das im Laufe der Jahre so gemacht. Bei uns war das aber einfach anders. Wir waren immer sehr neugierig darauf, unbekannte Dinge auszuprobieren, neue Bands kennen zu lernen und aus allen möglichen Bereichen zu lernen und Dinge zu adaptieren.

Björn:
Kannst du mir etwas über die Anfangszeit der Menzingers erzählen und die regionale Musikszene, in der ihr groß geworden seid? Ich habe das Gefühl, dass Pennsylvania eine ganze Menge guter Bands ausgespuckt hat über die Jahre. Ihr kommt ursprünglich aus Scranton oder?

Tom:
Richtig, genau wie Tigers Jaw und Title Fight, die sind auch aus der Gegend. Scranton liegt ungefähr zweieinhalb Stunden nördlich von Philadelphia.

Björn:
So viele Bands aus einer Region, die es auf die internationale Karte geschafft haben. Gibt es eine große Punkszene bei euch?

Tom:
Inwiefern Pennsylvania jetzt eine große Punkszene hat, ist schwer zu sagen, weil die Stadt so riesig ist. Genau wie die USA allgemein. Da leben einfach so unglaublich viele Menschen. Pennsylvania ist ein sehr rar besiedelter Staat mit vielen verschiedenen Gegenden und Landschaften. Da kannst du ganz unterschiedlich aufwachsen. Was die Scranton-Gegend angeht: Die Community da ist sehr eng und wortwörtlich familiär: Mein Bruder hat bei Tigers Jaw Schlagzeug gespielt und Greg (Barnett, Gitarre und Gesang bei The Menzingers) war auch mal kurz in der Band. Ihr Sänger und Gitarrist Ben (Walsh) ist mein Cousin.

Björn:
Echt? Wow, das wusste ich gar nicht.

Tom:
Jup, und die Title Fight-Jungs sind auch gute Freunde. Wir waren immer eine sehr aktive Szene, haben unsere eigenen Shows gebucht und die Szene selbst aufgebaut.

Björn:
Also sehr DIY-ish?

Tom:
Ja, aber das hat dann auch die Tür für andere geöffnet, die Musik machen wollten. Es ist eine sehr kulturell reichhaltige, irisch-italienische Gegend. Ich bin mit viel Musik aufgewachsen. In Philadelphia hat uns dann die ökonomische Situation sehr zusammengeschweißt. Viele von uns wollten eigentlich in New York wohnen, konnten sich das aber nicht leisten. Als wir 2008 nach Philly gezogen sind, war die Immobilienkrise gerade in vollem Gange. Jeder war arm und hat in ziemlich schäbigen Verhältnissen gelebt. Das hat dazu geführt, dass eine Hausshow-Szene entstanden ist, weil sich keiner von uns leisten konnte, in Bars zu gehen. Da hat man sich ein Sixpack geholt und sich bei jemandem zuhause getroffen, wo dann Bands gespielt haben. Und dabei sind viele gute Bands entstanden, da das alles mittellose Musiker waren.

Björn:
Lass uns bei den Musikerfreundschaften bleiben. Mit wem könnt ihr ziemlich gut, jetzt außer den Bouncing Souls und wie nehmt ihr die Szene, in der ihr euch bewegt, wahr?

Tom:
Wir machen da manchmal schon Witze drüber, aber wir kommen tatsächlich mit allen Bands gut klar. Die einzigen, mit denen wir schlechte Erfahrungen gemacht haben, sind für gewöhnlich die, mit denen alle schlechte Erfahrungen machen. Roger Harvey, der auch auf dieser Tour mitspielt, ist einer meiner besten Freunde, wir sind mit den Jungs von The Flatliners und Fake Problems aufgewachsen – es gibt einfach so viele Bandfreundschaften, weil wir alle einer Nischentätigkeit nachgehen. Man versteht die Probleme des anderen einfach viel schneller, weil man sie selber auch kennt.

Die Szene generell verändert sich sehr stark, habe ich das Gefühl. Es gibt bei weitem nicht mehr so viele Punkbands wie früher, momentan sind emotionale und Indie-Bands mehr angesagt. Das macht aber auch Spaß, da sind eine Menge wirklich guter Bands dabei. Es ist komisch so darüber nachzudenken, dass wir auch so langsam alt werden. Also vielleicht nicht komisch, so ist das Leben nun mal, wir werden alle älter, aber jetzt wird man sich Veränderungen glaube ich viel mehr bewusst. Auch wenn man nicht genau benennen kann, was sich jetzt eigentlich verändert.

Björn:
Kannst du dich noch daran erinnern, wie du zur Musik gekommen bist oder den Entschluss gefasst hast, dass du Musik machen willst?

Tom:
Klar, ziemlich gut sogar. Ich war schon immer mehr an Musik interessiert als mein gesamtes Umfeld. Ich hatte viele Geschwister, 24 Cousins und Cousinen auf der einen Seite und 16 auf der anderen, meine Eltern hatten auch schon viele Schwestern und Brüder…

Björn:
…woah, das ist in der Tat eine riesige Familie.

Tom:
Tja, irische Katholiken halt, die setzen immer viele Kinder in die Welt, haha. Naja und ich habe mich immer mehr für Musik interessiert als alle anderen. Meine Eltern hatten eine Best Of von Billy Joel, Genesis und ein paar andere Tapes. Ich habe die schon als Kind immer gehört, wenn ich im Haus herumgelaufen bin. Ich habe dann Geige und Piano gespielt und irgendwann mit Gitarre angefangen. Eigentlich wollte ich Schlagzeuger werden, aber das haben meine Eltern nicht zugelassen.

Björn:
Dann waren das so deine frühen Einflüsse, Genesis und co.?

Tom:
Genau, und viel Radio in meiner Kindheit.

Björn:
Wer beeinflusst dich bis zum heutigen Tag?

Tom:
Regina Spektor
hat gerade ein Album rausgebracht, das ich mir heute heruntergeladen habe und ich kann es kaum erwarten, es mir anzuhören. Ich liebe ihre Art, Geschichten aus der Perspektive von verschiedenen Leuten zu erzählen. Und ich höre mittlerweile viel Country-Musik. Das habe ich früher nicht, weil ich immer dachte, Country wäre nur Popmusik. Jetzt höre ich aber gern diesen Outlaw-Country, Johnny Cash, Merle Haggard usw. Das höre ich jetzt aber wie gesagt erst seit kurzem. Ich höre so viele neue Bands und merke manchmal, wie wenig ich ältere Bands kenne. Ich habe nie viel Talking Heads gehört, dabei sind die total super. Musik wird schon seit so langer Zeit produziert und aufgenommen, der Katalog ist also dermaßen riesig…

Björn:
…da kann man unmöglich immer alles mitbekommen und kennen…

Tom:
…richtig. Manchmal höre ich eine Weile lang nur Punkbands, um aufzuarbeiten, was ich alles verpasst habe. Irgendwann wird einem das zu viel und ich höre nur noch die Sachen, die mir Freunde empfehlen.

Björn:
Ihr seid jetzt als Band auch schon ziemlich lange dabei und konntet mit zahlreichen, etablierten Punk-Acts die Bühne teilen. Gibt es immer noch so etwas wie eine Wunsch-Band, mit der ihr noch nie getourt seid, das aber gerne mal tun würdet? Oder sind all eure Träume schon wahr geworden?

Tom:
Die meisten unserer Träume sind tatsächlich in Erfüllung gegangen. Aber ich würde gerne mal mit den Dropkick Murphys oder Flogging Molly touren. Oder Green Day. Das sind Bands, mit denen ich aufgewachsen bin. Descendents wären auch noch mit dabei. Wir haben zwar mal Shows zusammen gespielt, aber das waren dann große Festivals, das zählt nicht so ganz.

Björn:
Was hältst du denn vom neuen Descendents-Album?

Tom:
Es ist super, ich liebe es. Hat alle meine Erwartungen erfüllt.

Björn:
Klasse, meine auch.

Tom:
Einfach immer noch authentisch. Und das brauchst du, wenn du als Band lange überleben willst. Es reicht nicht nur, einen guten Sound und gute Songs zu haben. Du brauchst noch etwas mehr, womit sich die Leute identifizieren können. Persönlichkeiten.

Björn:
Da ist es gut, dass es solche Bands nach wie vor gibt, wie zum Beispiel die Souls, richtig?

Tom:
Ja absolut, die sind auch deswegen authentisch, weil sie nach all den Jahren immer noch das lieben, was sie tun. Wir sind schon mit vielen älteren Bands getourt und manchmal merkst du, wenn die das nur noch wegen dem Paycheck tun und eigentlich ihre Leidenschaft verloren haben, auch kaum noch gemeinsam abhängen. Bei den Bouncing Souls ist das nicht so. Die hängen immer noch die ganze Zeit zusammen rum und lieben, was sie tun.