Zum Abschluss ihrer Frühjahrstour in Augsburg haben wir uns mit dem Sänger Sven von Hi Spencer getroffen. Wir haben mit ihm über das Tourleben gesprochen und darüber, warum es nicht immer die großen Dinge sein müssen, die die Fähigkeit haben, die Welt zu verändern. Aber auch, warum in unserer Gesellschaft der Dialog so sehr abhandengekommen ist und was das mit Aushalten zu tun hat, war Thema des Gesprächs.
Der Zettel mit den Interviewfragen wäre fast weggeflogen, so stark war der Wind an diesem Tag. Doch auch das konnte dem wunderbaren Interview nichts anhaben. Nachdem die Fragen schnell mit einem Aschenbecher gesichert worden waren, ging es aber auch schon los mit der Fragerunde.
Was ist für euch das Schönste am Tourleben – gibt es einen Moment, auf den ihr euch bei jeder Tour besonders freut?
„Grundsätzlich muss man sagen, dass wir das ja nicht erst seit Kurzem machen. Wir sind jetzt richtig routiniert im Tourleben. Vor allem fällt man in eine super chaotische Struktur zurück, sobald man in diesem Bulli sitzt.“
Schon fast 13 Jahre.
„Natürlich stehen die Konzerte an erster Stelle, aber das, was drumherum so unfassbar viel Spaß macht, ist, dass wir zusammen unterwegs sind. Oft sind James, unser Mercher, unsere Tourmanagerin Lea und die Techniker dabei. Wir sind wirklich befreundet miteinander und deswegen ist das so wie eine Klassenfahrt.Das ist im besten Sinne ein sehr anstrengender Urlaub. Es ist kein Wellnessurlaub, aber es ist einfach schön.“
Wie erlebt ihr den Alltag unterwegs im Tourbus und wie sorgt ihr dafür, dass ihr als Band auch nach Wochen „on the road“ harmoniert?
„Wir respektieren die eigenen Bedürfnisse der anderen Personen sehr intensiv. In den letzten Jahren haben wir das noch sehr verstärkt. Wir achten zum Beispiel darauf, dass einige von uns – mich inbegriffen – wenn zwischen Soundcheck und Show Zeit ist, laufen gehen. Die anderen finden sich zusammen, und schauen sich die Stadt an. Also hängen wir nicht die ganze Zeit zwangsläufig aufeinander. Wenn wir aber im Bulli sitzen, dann haben, glaube ich, alle so ihren persönlichen Weg gefunden, sich auch mal rauszunehmen.“
Ihr habt euer 10jähriges Jubiläum groß mit den Doppelkonzerten im Hyde Park in Osnabrück gefeiert. Was habt ihr daraus so mitgenommen?
„Wir nehmen vor allem mit, dass wir sowohl große Bühnen als auch kleine Clubs bespielen können. Das ist irgendwie cool, dass wir flexibel sind und uns auf die Umstände einstellen können. In unserem Kosmos fällt oft der Satz: ‘Mit dem, was man hat, muss man arbeiten.’“
Euer Tourabschluss heute ist in einer ganz kleinen Location. Empfindet ihr das dann gar nicht als Rückschritt oder etwas, was auf die Stimmung drückt?
„Nee, überhaupt gar nicht. Wir haben das ja alles schon gemacht. Alles, was größer ist, ist für uns sozusagen on top. Wir haben nicht damit angefangen, auf großen Bühnen zu spielen, sondern wir kommen von solchen kleinen Bühnen. Klar, wir sind halt mehr oder weniger in Norddeutschland zu Hause. Da gibt es immer ein Nord-Süd-Gefälle. Wir würden das aber niemals so sehen, dass das etwas Negatives ist. Ganz im Gegenteil, es ist eher ein geil, da sind 120 Leute gekommen. Damit die Stimmung kippt muss bei uns schon viel passieren.“
Ihr habt mit verschiedenen Initiativen zusammengearbeitet. Gibt es eine Aktion, auf die ihr besonders gerne schaut?
„Es sind Sachen wie „Pfand gehört daneben”. Ich glaube, das ist eine individuelle Betrachtung. Wir achten schon darauf, dass, wenn jemand von uns eine Initiative entdeckt, wir schauen, ob wir mit dieser zusammenarbeiten können. Für mich persönlich ist dieses “Pfand gehört daneben” sehr intensiv, weil ich finde, dass das sehr präsent im Leben vieler Menschen ist. Das ist im Zweifel hilfreich, wenn auch nur kurzzeitig. Mit dieser Tatsache, die Pfandflasche neben den Mülleimer zu stellen, rettet man natürlich nicht die Welt. Aber ich finde es immer gut, mit dem zu arbeiten, was man hat. Sehr oft hat man eine Pfandflasche in der Hand. Bevor man sie in den Mülleimer wirft, kann man sie besser daneben stellen.“
Wie geht ihr als Band mit Phasen der Unsicherheit oder Selbstzweifel um – sowohl künstlerisch als auch privat?
„Ich habe keinen Bock, über Dinge zu schreiben, die ich noch nie gefühlt habe. Das nehmen einem die Leute auch nicht ab. Das ist gerade ein sehr präsentes Thema, denn wir schalten gerade den kreativen Motor wieder an. Im Sommer gehen wir nämlich ins Studio, um eine neue Platte zu produzieren und aufzunehmen. Es sollen 10 bis 12 Songs werden. Da ist es sehr hilfreich, dass wir uns gegenseitig Impulse geben, auch wenn manche davon im Nichts verlaufen. Wir sind keine fünf Individuen, die gucken, dass sie das für sich irgendwie gerödelt kriegen, sondern wir sind ein Team. Bei dem einen oder anderen hängt es viel mit Lob zusammen: War das eine geile Zeile? Mach doch mal mehr davon! Wir sind eben auch eine Pädagogen-Band. Ich wollte ursprünglich Lehrer werden, Malte und Ja sind Lehrer, und alle anderen haben schon mal irgendwas pädagogisches gemacht mit z.B. Jugendarbeit. Da haben wir gelernt, wie man Menschen motivieren und begeistern kann – das können wir auch füreinander sein. Wir sind sozusagen unser eigener Motor. Wenn eine Person mal ein bisschen zurück fällt, dann heißt es nicht das schwächste Glied der Kette, sondern dann sind wir zusammen sehr stark.“
Ihr seid das aber auch für andere. Ich kenne kaum eine Band, die an einem Abend alles schlechte des Tages so wegfegen kann wie ihr.
„Das finde ich mega toll, das so zu sagen. Das ist doch der beste Ansporn überhaupt, das zu tun, was wir machen. Dankeschön.“
Viele eurer Songs handeln von Freundschaft und Zusammenhalt. Was bedeutet die Freundschaft in der Band für euch?
Sven überlegt ein bißchen…
Alles?
„Das war das Erste, woran ich gedacht habe, aber ich wollte es vermeiden, weil es so plakativ ist. Aber es ist einfach der Motor dieser ganzen Sache. Abgesehen davon, dass wir zusammen auf der Bühne Spaß haben, können wir uns auch am Sommerabend zum Grillen treffen, ohne auch nur eine Sekunde über die Band zu reden. Das ist sehr förderlich, wenn man teilweise Wochenenden ohne Unterbrechung miteinander verbringt.
Wir haben gar keine andere Wahl, als miteinander klarzukommen. Deswegen ist die Freundschaft unser größter Vorteil – so könnte man das vielleicht sagen.“
Ihr engagiert euch ja auch gesellschaftlich und politisch. Findest du, dass man dadurch auch angreifbarer wird?
„Eigentlich würde ich das fast gegensätzlich bezeichnen. Man macht sich weniger verwundbar, wenn man mit offenen Karten spielt. Um jetzt ganz am Anfang zu starten: Als ich mich geoutet habe – ich habe mich in großer Unsicherheit geoutet und war viel verletzlicher. Ab dem Moment, in dem ich offen damit umgegangen bin, ist diese falsche Rüstung abgefallen, die ich vorher um mich herum aufgebaut hatte, und dann ist eine echte Rüstung dazugekommen… komisches Wort.
Wir haben nicht das Gefühl, dass wir zwangsläufig queere Themen bearbeiten müssen. Im Grunde setzen wir uns dafür ein, dass alle Menschen die Chance bekommen, auf ihre ganz individuelle Art und Weise glücklich zu sein.“
Manchmal sind es die kleinen Dinge.
„Es betrifft einfach alle, aber die meisten Leute checken das nicht.“
Leider.
„Wir kommen alle aus dörflichen Kontexten, das bedeutet ganz, ganz oft, dass man richtig groß in Vorleistung geht. Wenn man auf absolut dämliche Gegenmeinungen stößt, egal ob es um die AfD oder queere oder allgemeine Dinge geht: Wenn man da sagt, ok, ich hör jetzt dem dummen Scheiß zu, den du gerade erzählst, erwarte dann aber, dass du mir auch zuhörst. Das klappt erstaunlich oft. Mit Menschen, die dachten, ihnen wird irgendwas weggenommen, konnte ich schon wirklich sehr fortschrittliche Gespräche führen. Am Ende haben die festgestellt, dass sie sich gar nicht ändern müssen, sondern nur akzeptieren.“
Das erleben wir doch alle, der Dialog ist es, was allzu oft einfach fehlt.
„Für mich persönlich ist das ganz klar: Der Griff an die eigene Nase hilft immer, und Kommunikation ist ganz bestimmt keine Einbahnstraße. Auch wenn jemand viel Unsinn redet, den man auf gar keinen Fall akzeptieren kann: Trotzdem hilft es, sich den Mist eben anzuhören und nicht sofort alles zu zerschlagen. Man sollte versuchen, die Leute in ihrer großen Unsicherheit und der unbegründeten Wut, in der sie das sagen, abzuholen. Klar, das funktioniert nicht immer. Aber man kann ihnen zeigen: Guck mal, es ist überhaupt nichts Schlimmes, was hier von dir verlangt wird. Natürlich ist es unfassbar nervig, sich diesen Müll anzuhören. Aber ich habe irgendwie gelernt, mich da durchzubeißen und das auszuhalten.“
Wie schafft ihr es, nach über zehn Jahren Bandgeschichte noch immer authentisch zu bleiben und euch nicht zu wiederholen?
„Wir gucken einfach, dass wir uns im Kontext dieser Welt, in der wir leben, betrachten, und die ist ja so sehr in Bewegung wie eigentlich noch nie. Dementsprechend tut sich da auch total viel, und dann haben wir da auch was zu zu sagen. Manchmal haben wir auch zu gewissen Dingen nichts zu sagen. Tatsächlich finden wir immer wieder irgendwelche Themen, über die wir noch nie irgendwas erzählt haben.“
Ich weißt nicht, ob Vorbildfunktion das richtige Wort ist, aber ihr inspiriert ja durch eure Musik die Menschen. Was war eine der schönsten Reaktionen, die ihr erlebt habt?
„Wenn wir den Leuten mit unseren Texten emotional so nah kommen und sie sich so sehr damit identifizieren, können wir vielleicht auch eine Tür aufmachen, damit sie sich nicht nur fallen lassen, sondern auch wieder aufstehen können… Ich mag dieses Bild.
Es sind wirklich unfassbar wunderschöne Momente entstanden. Bei dem Song ‚Richtung Norden‘ geht es um den Verlust eines geliebten Menschen durch den Tod. Da war eine Person, etwas weiter hinten. Ich schaue die Leute an, während ich singe, und diese Person ist bei diesem Lied fast zusammengebrochen. Aber beim letzten Refrain hat sie mitgepogt. Es ist doch irgendwie wahnsinnig, dass einen das so mitnimmt, dass man erst komplett am Boden ist und dann vorne vor Lebensfreude strotzt.“