Foto: Thilo Vorderbrück

ERNTE 77 – Das Rote Album (Astroholz/Rookie Records, 25.11.2022)

Nein, nicht ERNTE 23! Dieser Lesefehler brachte mir einen guten Schwung Erinnerung ein… nämlich an die Zeit, als ich damals meinem Großvater immer zwei Stangen dieser gruseligen Lungenbrötchen vorbeigebracht habe. Meine klare Einstellung, dass ich diesbezüglich niemals in seine Fussstapfen treten werde, konnte ich dann später nur bedingt einhalten – aber das ist eine andere Geschichte!

Denn wir wollen hier vielmehr über Kalle, Kilian und Baum sprechen, die mit “Das Rote Album” am Freitag bereits ihren vierten Longplayer veröffentlichen werden. Wie die Kölner damals auf den Namen ERNTE 77 gekommen sind, ja was weiß ich denn schon?! Aber dass sie musikalisch durchaus etwas drauf haben, darauf konnte ich mich direkt im ersten Durchgang der vierzehn Songs überzeugen und mich gleichzeitig ärgern, dass mir die drei vorheringen Alben bisher nie über den Weg gelaufen sind.

Unter dem Motto “Wer feiern kann, kann auch ausschlafen” geht es munter drauf los, und die Jungs von ERNTE 77 machen es einem direkt schwer, nicht in den zivilen Ungehorsam zu verfallen und dem Hartzen zu frönen. Vielleicht hat man dann auch ein wenig Zeit um einen Zug durch die Gemeinde zu machen – aber dringend dran denken, “Nichts ist schön an Montabaur“.

Ein wenig NDW-mäßig und elektronisch geht es mit “Die goldene Mitte” weiter, bei welcher man sich um die gesellschaftlichen Extreme kümmert und einen gesunden Mittelweg sucht. Gibt´s den eigentlich überhaupt hier bei uns auf der Erde? Im Ernstfall suchen wir halt jenseits der Michstraße, vielleicht bestehen ja andere “Planeten im Test“?!

Eins kann man nach einem Drittel des Albums bereits feststellen, Humor wird bei den drei Kölnern groß geschrieben – nicht aber ohne immer auch den gehobene Zeigefinger zu beachten und sich selbst ein wenig in den runzeligen Hintern zu treten.

Wer Bock auf Ami-Punk ala NOFX hat, der sollte sich die nächste Nummer auf den Zettel schreiben, denn “Ernte 77 bereiten das zweite Punk-Revival vor” und hauen einem ordentlich Punkrock-Riffs aus “Kalliforniän” um die Ohren. Dazu eine gepflegte Gerstenkaltschale und ab geht die Online-Dating-Show – denn “Zu Bier sag ich nie no“!

Und sollte am Ende nichts dabei rum kommen, dann kann ich immer noch “Besoffen meditieren“… das hat zu meinen guten alten Punker-Zeiten auch immer geklappt. Wenn einem dann irgendwann die Decke auf den Kopf fällt, man den Wunsch hat den ganzen braunen Driss hier zu verlassen und sich woanders Alternativen zu suchen… dann bitte los – besser wird´s nicht mehr und ihr wisst ja, “Mein Dildo ist wichtiger als Deutschland“!

Scheinbar befinden sich ERNTE 77 komplett “Im Flugmodus“… schweben die einzelnen Nummer doch musikalisch gekonnt über alle Genre-Grenzen hinweg – denn nicht nur der Punkrock steht auf dem Zettel, nein auch Indie und Alternative-Klänge haben ihren Platz auf “Das Rote Album” und wer auf Garage steht, der/die darf sich auch gerne zurücklehnen.

Nichts gegen Kalle, Kilian und Baum… aber “Von der Musik leben” können werden sie zukünftig nicht – als nicht mehr ganz so “Junge Erwachsene” mit musikalischen Ambitionen werden sie sich eh schon damit abgefunden haben. Wobei, nimmt man die Modern Talking-Nummer “Xenon“, dann wird ja vielleicht doch nochmal was draus?!

Und wie war das noch gleich mit der “Filterblase“? Alle bekommen halt das was sie verdienen – oder wie sagte Marcus Wiebusch damals so schön, “Jede Zeit hat ihre Pest“!

So, jetzt will ich langsam mal als selbstständiges und weitestgehend alleine denkendes Individuum (“Ihr und euer Wir“) zum Schluss kommen:

Mich hat “Das Rote Album” auf seine humorvolle Art und Weise begeistert und dieses kurzweilige Stück Musik führt dazu, dass ich mir die ersten drei Scheiben nun auch schnell Mal besorgen muss – und in der heutigen Zeit ist jede Form von (nicht immer so ernst gemeinter) Ablenkung gern gesehen.

 

Titel:
1. Wer feiern kann, kann auch ausschlafen
2. Nichts ist schön an Montabaur
3. Die goldene Mitte
4. Planeten im Test
5. Ernte 77 bereiten das zweite Punk-Revival vor
6. Zu Bier sag ich nie no
7. Besoffen meditieren
8. Mein Dildo ist wichtiger als Deutschland
9. Im Flugmodus
10. Von der Musik leben
11. Junge Erwachsene
12. Xenon
13. Filterblase
14. Ihr und euer Wir

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