Dass man auf einer quasi Verkehrsinsel mitten in der Stadt mit genügend Willen ein tolles, mehrwöchiges Festival etablieren kann, hat der Augsburg Kneipier Stefan „Bob“ Meitinger zusammen mit seinem Team bereits vor einige Jahren mit seinem „Sommer am Kiez“ bewiesen. Mittlerweile ist das Ganze eine regelrechte Institution und Highlight im Jahreskalender von Augsburg geworden, das durchaus eine Reise in die Fuggerstadt wert ist.
Die Rostocker Dritte Wahl gehören dabei regelrecht zum Festival-Inventar sind so gut wie jedes Jahr mit dabei. Beim letzten Mal leider nur als eine Band von vielen auf der „Ruhrpott Rodeo“-Rundreise. Dafür ist man 2024 zum Helmut-Haller-Platz zurückgekehrt und spielt (nicht zum ersten Mal) ein Doppelkonzert – einmal ein Kneipenkonzert Bob’s Fast & Slowfood Oberhausen und einmal ein Open-Air-Gig auf dem Festivalgelände. Da musste der Redakteur nicht lange überlegen und recht schnell war klar: da muss eine Karte her!
Nach langem Fiebern war es dann endlich soweit. An einem ziemlich heißen Donnerstagabend enterten Dritte Wahl pünktlich um 20 Uhr die kleine Kneipenbühne, welche nicht viel größer als zwei zusammengestellte Schreibtische ist. Da lautete das Motto des Abends „mittendrin statt nur dabei“. So ca. 150 Nasen dürften es dann gewesen sein, die sich der Band hingegeben hatten und schon nach den ersten paar Takten der Band im eigenen Saft kochten. Da brauchte die Band eigentlich gar nicht so viel Energie reinstecken, um die Fans zum Schwitzen zu bringen. Dafür sorgten die kuschelige Enge und der Hitzepegel von ganz alleine. Trotzdem hatten die Leute auf und erst recht vor der Bühne so richtig Bock die Sau rauszulassen. Dass es eigentlich gar keinen wirklichen Platz für einen Pogopit gab, interessierte keinen. Bald war das ganze Bob’s eine wogende Menge, die eigentlich nie stillstand und die Songs der Band ordentlich mitgrölte.
Damit es für die Besucher beider Konzerte nicht langweilig wird, versprach man zwei unterschiedliche Sets. Und man hielt Wort. Unter anderem konnte man Songs wie „Hoch im Norden“ (natürlich auf Platt), „Mainzer Straße“, „Dritte Wahl“, „Melodien für Millionen“, „Immer auf der Reise“ oder „Was weiß ich schon von der Liebe“ nur heute hören. Unverwüstliches der Marke „Der Himmel über uns“, „Auge um Auge“, „So wie ihr seid“ oder natürlich „Zeit bleib stehen!“ müssen natürlich immer dabei sein. Dazwischen waren auch wieder viele süffisante Ansagen von Frontmann Gunnar zu hören, der beim ersten Zugaben-Triple aus „Miltär“ (Wehrpflicht), „Hash“ (Legalisierung von Cannabis) und „Ikarus“ (Julian Assange) verkündete, wie weit Dritte Wahl der Zeit bereits voraus waren.
Und ehe man sich versah, waren auch schon zwei Stunden viel zu schnell vorbei. Mit „Sirenen“ entließ man die Besucher ein eine laue Sommernacht, welche auch gleich mächtig Lust auf Tag Nr. 2 machte.
Setlist Kneipenkonzert 27.6.:
Dritte Wahl
Und jetzt?
Der Himmel über uns
Zu wahr um schön zu sein
Keine Zeit für weiße Fahnen
Das regelt der Markt
Melodien für Melonen
Urlaub in der Bredouille
Hoch im Norden
Panama
Der Spiegel
Schaum auf der Ostsee
Immer auf der Reise
So wie ihr seid
Radio
Mainzer Straße
Auge um Auge
Was weiß ich schon von der Liebe
Runde um Runde
Zeit bleib stehen!
—
Militär
Hash
Ikarus
—
Zusammen
Die Zeit
Sirenen
Tag 2: selbe Band, anderes Setting. Nach der Saunaveranstaltung tags zuvor war jetzt frische Luft angesagt. Der Wettergott meinte es gut mit Augsburg und die Sonne strahlte trotz einiger Wolken tagsüber mit voller Kraft über dem Helmut-Haller-Platz zwischen Bob’s Kneipe und dem Oberhausener Bahnhof. Der Andrang war dementsprechend groß und man konnte das „Ausverkauft!“-Schild am Eingang anheften. Knapp vierstellige Besucherzahlen dürften es damit wohl gewesen sein.
Neben Dritte Wahl hatte sicher auch der zweite Headliner so manche Nase nach Augsburg gelockt. Denn man konnte niemand anderes als die schottische Punklegende The Exploited verpflichten. Eine Stunde lang gaben Wattie Buchan und seine drei Spießgesellen ordentlich Gas. Zwar musste man sich sein Publikum etwas schwerer erspielen als die anschließenden Rostocker. Aber vor der Bühne war trotzdem ordentlich Bewegung bei kampferprobten Smashern wie „Beat The Bastards“, „Let’s Start A War“, „Troops Of Tomorrow“, „Fuck The System“ oder „Fuck The USA“. Dabei präsentierte Mr. Buchan nach wie vor mit seinem charakteristischen roten Iro und wirkte trotz seiner angeschlagenen Gesundheit noch relativ fit, auch wenn er zum Ende des einstündigen Sets ganz schön schnaufen musste und auch mal kurz so wirkte, als würde er gleich umkippen. Aber die Band hatte offensichtlich Spaß an dem, was sie vor der Bühne sah und so entfleuchte ihnen doch der eine oder andere Grinser. Bei der letzten Nummer „Sex & Violence“ bat man die Fans engagiert, man solle sich doch zu ihnen gesellen und mit ihnen singen. Das ließen sich die Augsburger nicht zweimal sagen und recht schnell war es rappelvoll da oben und die Band gar nicht mehr zu sehen. Ein Dank an die Security, welche das wilde Treiben recht entspannt gewähren ließ und generell ein gutes Händchen für Deeskalation bewies. Etwas, das dieses Festival eben auch auszeichnet und jedes Jahr zu einem Vergnügen macht.
The Exploited hatten gut aufgedreht und Dritte Wahl griffen diesen Faden beherzt auf, wobei es erst ab dem dritten Song „Der Himmel über uns“ so richtig lief und die Stimmung regelrecht explodierte. Witzig, dass sich dabei im vorderen Bereich dieselben Grüppchen von Fremden bildeten, welche schon tags zuvor beisammen standen. Das heißt wohl: Musik verbindet. Und jene konnte auch gut den Daheimgeliebenen an diesem Abend die gestern etablierten Spielchen beibringen (z.B. neuer Song „Pfui!“, alter Song „Yeah!“).
Trotzdem beweis man, dass die Nummern des aktuellen Albums „Urlaub in der Bredouille“ live gut funktionieren. Besonders gut der Titeltrack, „Keine Zeit für weiße Fahnen“ und das harte „Panama“. Die dürfen gerne weiter in der Setlist bleiben, auch wenn sie mit Klassikern wie „Halt mit fest“, „Störung“, „Greif ein“ oder neueren Spaßkanonen wie „Runde um Runde“ oder dem ironischen Kracher „Zusasmmen“ um Aufmerksamkeit buhlen. Darüber hinaus sorgten auch Nummern aus der vermeintlichen zweiten Reihe („Alles nur Chemie“, „Zum Licht empor“) für viel Vergnügen und wildes Treiben vor der Bühne, welches vom Anfang bis zum Ende nicht wirklich nachließ. Hier hatten viele mächtig Bock zu feiern.
Die Stimmung war stets prächtig und so war es schön, dass Dritte Wahl zwei komplette Stunden durchzogen und nicht schon viel früher die Fahne schwenkten, wie bei ihrem letzten Auftritt am Bahnhofs-Vorplatz. Und wenn man sogar selbst Festivalboss Bob beim Crowdsurfen beobachten konnte, dürfte ein Auftritt des Quartetts für 2025 wieder gesetzt sein. Dagegen hätte wohl keiner der Anwesenden etwas!
Setlist Festival 28.6.:
Wir schießen die Milliardäre ins All
Was zur Hölle?
Der Himmel über uns
Wo ist mein Preis?
Keine Zeit für weiße Fahnen
Das regelt der Markt
Zu wahr um schön zu sein
Urlaub in der Bredouille
Halt mich fest
Panama
Der große Tag
Zum Licht empor
Alles nur Chemie
So wie ihr seid
Ikarus
Auge um Auge
Scotty
Runde um Runde
Zeit bleib stehen!
—
Zusammen
Greif ein
Störung
—
Zur See
Sonne & Meer
Fliegen