Foto by; Jonathan Göpfert

Die Toten Crackhuren im Kofferraum – Gefühle (Bakraufarfita Records, 15.10.2021)

Fünf Uhr morgens, nach einer harten, durchzechten Festivalnacht finden sich unsere Autoren Alex und Sascha im dunklen Kofferraum eines Pink Caddilac mit überdimensionierten Lautsprechern und fettem Subwoofer wieder. Eben noch schön am Feiern und nun das. Der Wagen steuert ziellos durch eine in leichtes Neonlicht getauchte Gasse. In der Ecke sitzt ein abgeranzter Kater, der sich übergibt und ein abgerockter Punk sucht verzweifelt die letzten Reste in weggeworfenen Bierdosen.

Am Steuer die Toten Crackhuren. Willkommen zur kleinen Fahrt durch ihr viertes Album Gefühle”.

Wer kennt es nicht, das Gefühl alles zu verkacken. Dennoch kann das Leben auch dann positive Seiten haben, wenn man die sehen will. Und die Crackhuren haben da einige Ideen, die uns mit einem wummernden Bass ins Hirn geprügelt werden. “Alles verkacken” gibt direkt zu Beginn schon mal das Tempo für die wilde Fahrt vor.

Zwei mal links abbiegen und wir sind “Zurück in der Gosse”:

Dezente Sozialkritik, trifft sanfte NDW-Schlagerbeats. Gar nicht so schlecht hier, wenn einem die Crackhuren das so verkaufen. Zurück in der Gosse” kritisiert die Selbstdefinition über Markenklamotten und die Rolle von Geld in unser Gesellschaft. Frei nach dem Motto: Lieber ein schales Dosenbier in der Gosse als als Champagner auf Sylt.

Einen Gang zurückschalten, die Scheiben runter urbeln und die Abfahrt Richtung Ostberlin nehmen. Aus dem Auto schallt die Hymne auf Ost-Berlin “Living the Dream”, eine Ode an den Plattenbau, verdreckte Plätze und das ganz eigene Ghetto-Flair.

Gaspedal Richtung Boden und Mittelfinger aus dem Seitenfenster gegen Bodyshaming. “Bewerte mich” sammelt all die widerlichen Sätze, die insbesondere Frauen leider allzu oft hören müssen. Dieser Song hat Dampf und eine ordentliche Portion Aggressivität. Kurzer Boxenstopp zur Begutachtung der Lage. Bewertet werden sollen neben den Crackhuren u.a. auch Annette (Hans-A-Plast) und Echelmeyer, die auf dieser Scheibe tolle Gastauftritte abliefern.

Aus der Ferne hören wir etwas, was uns an eine alte Arcade-Game-Halle erinnert. 1000 kleine Ameisen”bringt einen interessanten Beat mit.

Kaum haben wir den Spieletempel passiert vernehmen wir ein streitendes Pärchen. Toxische Beziehungen sind das Thema des folgenden Songs “Ich will dich heulen sehen”. Tolle Umsetzung eines wichtigen Themas.

Chilliger wird es bei “Du könntest gehn”. Ein Lied über Ängste und Zweifel in einer Beziehung.

An der nächsten Ampel steigt Taby Pilgrim mit in die Karre, der Subwoofer wird aufgedreht und im “90iger Gedächnistechnosound” geht es mit quietschenden Reifen, Vollgas gegen Geschlechterklischees in “Bau mir einen Schrank”.

“HERZ” kommt mit einer hohen Drehzahl und massig Gefühlen um die Ecke. Was macht einen selbst aus, wofür schlägt das Herz, auch wenn es manchmal wehtut – ein ziemlich kluger Text der erst beim erneuten anhören richtig durchdringt.

Halt! Stop! Polizeikontrolle! Der Wagen kommt mit qualmenden Reifen und ordentlich Lärm zum stehen.

Jetzt wird es eng, womöglich ist der Wagen gestohlen und besetzt. Gerüchte überbordender Polizeigewalt, Knüppel und Tränengas machen die Runde. Doch die Crackhuren haben alles im Griff und den richtigen Text parat. Am Ende ist “Officer Sexy” am strippen.

Der nächste nicht ganz freiwillige musikalische Mitfahrer ist Petro Lombardi, dessen bekanntes Zitat “Du bist eine Schlampe…” zum fantastischen Song “Ich bin eine Schlampe” gegen idiotische Frauenbilder verarbeitet wurde.

Foto: Anja Sudbin

Wohin soll die Fahrt nun weiter gehen? Zahlreiche Entscheidungen auf der Straße des Lebens und die Unendlichkeit der Möglichkeiten in der heutigen Zeit sind Thema in “Woher soll ich wissen was ich will”.

Langsamer wir die Fahrt, echte Gefühle kommen auf. Am Ende eines musikalisch fröhlich gemischten Albums gehen die Crackhuren hart mit dem Punkrock ins Gericht. “Punkrock hat mein Herz gebrochen” setzt sich mit all den Themen auseinander die im Punkrock oft falschlaufen. Am Ende steht aber eine Versöhnung mit dem Punk.

Bleibt also am Ende die Frage was ist vom Punk in NDW und Schlagergewand zu halten?

Wir meinen:

Wieder ein sehr gelungenes, gefühlvolles und sehr abwechslungsreiches Album von den Crackhuren

Nach der Bewertung dürfen wir hoffentlich jetzt wieder aus dem Kofferraum raus, doch ganz schön eng hier… So torkeln wir mit einem letzten Bonustrack “Die Robbe und der Eisbär” sanft Richtung Weltuntergang.

Gefühle erscheint am 15.10.2021 bei Bakraufarfita Records.

 

  1. Alles verkacken
  2. Zurück in die Gosse
  3. Living the Dream
  4. Bewerte mich
  5. 1000 kleine Ameisen
  6. Ich will dich heulen sehen
  7. Du könntest gehen
  8. Bau mir nen Schrank (feat. Taby Pilgrim & Blond)
  9. Herz
  10. Officer Sexy (feat. Babsi Tollwut)
  11. Ich bin eine Schlampe
  12. Woher soll ich wissen was ich will?
  13. Punkrock hat mir mein Herz gebrochen

 

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