Es ist eines der früheren Festivals im Musiksommer, das Die Festung Rockt Festival in Kronach. Ein Umstand, der dem Festival im letzten Jahr wolkenbruchartigen Regen samt Unwetterwarnung beschert hat. Als hätte der Wettergott diesmal eine Entschuldigung parat, öffnen sich die Mauern der Festung Rosenberg in Kronach bei feinstem Sommerwetter und Sonnenschein. Man muss erst den kleinen Fußweg hinauf, um die Festung zu erklimmen, doch einmal angekommen kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus: Als hätte es schon immer so sein müssen schmiegt sich die Hauptbühne in die auf beiden Seiten aufragenden Felswände hinein. Essens- und Getränkestände erstrecken sich bis man am anderen Ende vor der Nebenbühne steht.
Den Anfang auf der Hauptbühne macht die Horst Frenzel Bänd, die Wohnheimband der Lebenshilfe Kronach. Um die Mittagszeit ist das Gelände natürlich noch nicht komplett gefüllt, aber man merkt der Band an, dass ihr Auftritt ein Highlight für sie ist, und diese Begeisterung schwappt auf das Publikum über. Wer meint, dass eine inklusive Band weniger Gas gibt als andere, wird eines Besseren belehrt.
Mit Grave Dogger steht ein Quartett aus Kronach auf der Bühne, das seine Musik selbst als Crossover-Trash-Metal beschreibt. Die im Jahr 2022 gegründete Band bietet tatsächlich von allem etwas: Shouts, Metalriffs, aber auch ein gecovertes Skatepunk-Brett haben die Franken im Repertoire, was die Fans gebührend feiern. Manchmal wirkt das noch ein wenig unentschieden, in welche Richtung die Reise gehen soll, aber ihre Fanbase haben sie dabei, kann also nichts schiefgehen.
Um nochmal auf die Horst Frenzel Bänd zurückzukommen: Ein Mädchen mit Down-Syndrom hat bei Grave Dogger den Moshpit für sich ganz allein gestartet. Diese Leidenschaft, diese Liebe zur Musik, diese Direktheit. Allein das war einer der schönsten Festivalmomente.
Ein guter Zeitpunkt, um zur Nebenbühne zu schlendern und einen Stopp beim Getränkestand einzulegen, denn die Mittagssonne brennt ziemlich erbarmungslos. Dort unterhält Flausen das Publikum mit Akustikpunk und seiner unvergleichlich verrucht-rauchigen Stimme, die immer ganz kurz vorm Kippen scheint. Die Anwesenden fläzen sich überwiegend im durch die hohen Mauern gespendeten Schatten, was perfekt zu den Vibes vor der Nebenbühne passt.
Auf der Mainstage übernehmen 12 Years of Silence aus Thüringen. Diese Combo kann irgendwie alles und sorgt für einen der Überraschungsmomente: Von melodiösen Gesangsparts bis zu Metalcore-Shouts ist alles dabei. Die Circle Pits werden mehr und mit einem beeindruckenden Set übergeben die Zweitplatzierten des Die Festung Rockt Bandcontests an die Erstplatzierten.
Die Bühne wird in Schwarz und Orange getaucht, als Sängerin Katharina und ihre Bandkollegen von Bury A Phoenix loslegen. Während man in den ersten Takten durch die Gesangsparts fast schon an Symphonic Metal erinnert wird, packt die Frontfrau die Growls aus und ändert damit den kompletten Stil. Wo diese Frau diese Stimme hernimmt, ist wirklich erstaunlich. Daher ist es mehr als legitim, dass es langsam voller wird und sich auch eine Wall of Death bildet.
Mit Shoreline werden die großen Namen des Festivals eingeläutet. Der Platz vor der Bühne füllt sich, und textsicheres Mitbrüllen ist ebenfalls deutlich zu hören. Shoreline bieten dafür aber auch allen Grund: Sie brettern los ohne halten, wirbeln, wüten und sind auf der Bühne nicht zu bremsen. Bei den Münsteranern passiert das ohne viele Worte, und trotzdem bringen sie das Publikum nach 50 Minuten Spielzeit an den Rand der Erschöpfung. Zum Verschnaufen wird sich in den Schatten verzogen.
Ob der Butterwegge gleich danach die Kräfte des Publikums mobilisieren kann? Ja, schafft er. Die Mischung aus räudigem Ruhrpott-Charme („Bier & Pommes”) und immer wieder die tanzbaren Bläserparts – das fährt einfach in die Beine. Doch es geht nicht nur leicht prollig zu, sondern auch psychische Gesundheit wird thematisiert („Wers fühlt der weiß es“).“). Der erste Kindercrowdsurfer des Tages wird über die Köpfe getragen, selbstverständlich mit dicken Micky Mäusen auf den Ohren. Mit einem Strahlen entschwebt der kleine Fan wieder zurück ins Publikum.
Dann wird es düster. Nein, nicht das Wetter, aber Fjørt kündigt sich an. Der Veranstalter weist zwar sicherheitshalber schon einmal darauf hin, dass es eine Unwetterwarnung gibt und was in diesem Fall zu tun sei. Kaum erklingen die ersten Töne, schmettert die Band der Festung ein charmantes „Fick dich, Kronach“ entgegen, aber natürlich nur um in das „Aachen, Kaiserstadt“-Intro überzuleiten. Während beim Butterwegge noch die Beine in Bewegung waren, fliegen bei Fjørt rhythmisch die Köpfe. Das Schlagzeugpodest hat noch nie so gewackelt wie bei der Bearbeitung durch den Schlagzeuger des Trios, das, wie Sänger Chris erzählt, seit einem halben Jahr kein Konzert mehr gespielt hat. Das wäre schließlich wie Fahrradfahren: Man packt sich erstmal auf die Schnauze. Bei „nichts“, „kolt“ oder „couleur“ explodiert die Energie förmlich und die gesamte Festung erzittert. Bei aller Leidenschaft muss aber auch Raum für Ansagen sein. Eine davon betont die Wichtigkeit solch kleiner, alternativer Festivals, die mit Sicherheit nicht mehr stattfinden werden können, wenn die Nazis im Parlament sitzen.
Uff, also an Fjørt müssen Annisokay erst einmal rankommen. Die Lichtshow, die Leinwände und das komplette Konzept, das das Quartett auffährt, zeigen, wo es gelernt hat. Oder anders ausgedrückt: Dass sie Support bei Electric Callboy waren, sieht man. Aber auch musikalisch muss sich das nicht verstecken: Cleane Pop-Elemente wechseln sich mit atmosphärischen Synth-Elementen und Breakdowns ab. Frontmann Rudi Schwarzer reißt die Menge mit, während seine Bandkollegen für den wuchtigen Sound sorgen.
Mittlerweile ist es Abend geworden, die Unwetterwarnung hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet und so startet Team Scheisse bestens gelaunt in das Set. Der Sound ändert sich, der Punk kehrt auf die Bühne zurück und es geht weiter mit 3-Minuten-Krachern wie „Schmetterling” oder „Kaffee die Tage”. Gastsängerin Julia kommt hinzu, als Sänger Timo, wie Bassist Thomas meint, „wie Ozzy Osbourne ins Sauerstoffzelt muss”. Zu „FA” recken sich die Fäuste, der Bewegungsdrang steigt.
Das Bühnensetup ist verhüllt, dann offenbart sich – das auf dem Kopf liegende Polizeiauto. Zeit für Betontod! Die Band legt mit „Das Kapital“ los, Sänger Meister steht oben auf dem Polizeiauto. Bei einer Band, die bereits so lange unterwegs ist, zeigt sich: Irgendetwas kennt man immer. Während die einen „Viva Punk“ feiern, bejubeln die anderen „Nie mehr St. Pauli ohne dich“. Betontod packen ihre Trademarks aus: stadiontaugliche Hymnen, treibende Beats und krachige Gitarren, wofür sich das Publikum mit frenetischem Applaus bedankt. Der Abschluss des Festivals war eine amtliche Rockshow. Noch lange hallen die letzten Töne nach, während wir mit seligem Grinsen im Gesicht die Festung hinunterstapfen und mehr als dankbar sind, dass der Wettergott ein Einsehen hatte.
Fotocredit: André Schnittker