Ich habe Deep Purple 2022 beim Festival „Lieder am See“ in Spalt das letzte Mal live gesehen. Damals war Simon McBride gerade frisch als Ersatz für Steve Morse eingestiegen und keiner wusste so recht, was man davon halten sollte. Skepsis oder Zweifel waren für mich damals sofort wie weggewischt. McBride hat an dem Abend gezeigt, dass er als Nachfolger von Steve Morse live absolut ebenbürtig ist. Er hat keinesfalls versucht, Ritchie Blackmore oder seinen direkten Vorgänger zu kopieren. Er spielt einfach seinen eigenen, rauen Gitarrenstil, der hervorragend zum Rest der Band passt. Das letzte Studioalbum „Whoosh!“ liegt auch schon wieder vier Jahre zurück. Dazwischen kam 2021 noch das Album mit Coversongs „Turning To Crime“ raus. Was bietet nun das Album mit dem etwas seltsamen Titel „=1“?
Voller Spannung lege ich die Scheibe ein und bereits der Opener „Show Me“ knallt so richtig zackig aus den Boxen. Man erkennt sofort den markanten Purple-Sound. McBride und Keyboarder Don Airey liefern sich im Mittelteil mit ihren Solos einen wahren Schlagabtausch, der sich gewaschen hat. Die Hammond gurgelt bedrohlich, die Gitarre feuert aus allen Rohren – genau so muss das sein. Der Sound ist genial und fasziniert vom Fleck weg. Wieder einmal zeigt sich, dass Produzentenlegende Bob Ezrin zu der Band passt wie die Faust aufs Auge.
Gillan schreibt nach wie vor sehr originelle und für ihn typische Texte. Ich höre ihm sehr gerne zu und fühle mich dabei bestens unterhalten. Dass er nicht mehr die steilen Höhen wie einst in den 70ern erklimmt, ist anlässlich seines Alters nachvollziehbar. Gillan nimmt einen bei „A Bit On The Side“ auf seine Gedankenspiele mit, bei der eine gewisse Charlene eine große Rolle zu spielen scheint. Auch bei „Sharp Shooter“, einer Gaunergeschichte, überzeugt Gillan mit überaus lässigem Gesang.
„Portable Door“ erinnert mich gleich zu Beginn an das legendäre „Pictures Of Home“. Das Zusammenspiel zwischen Bassist Roger Glover und Schlagzeuglegende Ian Paice ist einfach umwerfend. Das etwas ruhigere „If I Were You“ hat mich sofort gepackt und zeigt einmal mehr ein Stück Musik, wie es nur Deep Purple schreiben können. „Pictures Of You“ war die erste Single, die als Video im Internet präsentiert wurde. Auf der Stereoanlage bei ordentlicher Lautstärke klingt das Stück noch besser – warum kommt sowas nicht auch mal im Radio?
Der etwas abrupte Übergang zu „I’m Saying Nothing“ reißt einen sofort vom Sofa. Die etwas sperrigere Nummer enthält ein rabiates Solo von McBride und äußerst kraftvollen Gesang von Gillan. „Lazy Sod“ bringt meine Beine zum Wippen und mich immer wieder zum Lachen. Wenn Gillan die Passage „I’m hot“ mit seinen fast 80 Jahren mit voller Überzeugung singt, gibt es daran keinen Zweifel. „No Money To Burn“ enthält ein äußerst cooles Solo von Airey, bei dem dieser voll abgeht. Man kann sich förmlich vorstellen, wie er im Studio sein Instrument malträtiert. Ein sehr wuchtiges Stück mit einem Hammergroove!
Mit „I’ll Catch You“ enthält die Scheibe meinen persönlichen „Wasted Sunsets“-Moment. Gillan lässt Bilder vor meinem geistigen Auge entstehen, das Stück ist genial. Das recht progressive, teilweise an Rush oder Kansas erinnernde „Bleeding Obvious“ ist der wahnwitzige Abschluss. Es ist definitiv das verrückteste Stück auf der ganzen Scheibe und der krönende Abschluss eines bärenstarken Albums.
Deep Purple liefern im Herbst ihrer Karriere in der Kombination mit Bob Ezrin einen Knaller nach dem anderen ab. Dass dies nach dem Ausstieg von Steve Morse jedoch so eindrucksvoll klingen würde wie auf „=1“, war nicht abzusehen. Hier stimmt einfach alles. Die Band hat mit Simon McBride geradezu eine Frischzellenkur erhalten, die sich positiv auf die Songs auswirkt. McBride spielt sehr rockig und wuchtig, was den Stücken sehr gut zu Gesicht steht. Die Produktion ist vom Allerfeinsten und die Songs wachsen mit jedem Durchlauf. Dabei strahlen Deep Purple eine Gelassenheit und Souveränität aus, die im wahrsten Sinne für Gänsehautatmosphäre sorgt. Das Album gibt es in verschiedenen Varianten, natürlich auch als Schallplatte.
Für jeden Deep-Purple-Fan ein Muss!
Trackliste:
1. Show Me
2. A Bit On The Side
3. Sharp Shooter
4. Portable Door
5. Old-Fangled Thing
6. If I Were You
7. Pictures Of You
8. I’m Saying Nothin‘
9. Lazy Sod
10. Now You’re Talkin‘
11. No Money To Burn
12. I’ll Catch You
13. Bleeding Obvious
Titelfoto: Copyright: earMUSIC / Photo-Credit: Jim Rakete