Das Lumpenpack – Das Hinterview zum Halbum

Vor ihrem Tourstopp in der Münchener Tonhalle haben wir das Lumpenpack zum Interview getroffen. Wenn wir schon ein Hinterview zum Halbum führen, soll der Blick auch mal hinter die Fassade gehen – ja, ja, ich hör ja schon auf mit diesen Wortwitzen. Da es aber manchmal durchaus hilfreich sein kann, die Perspektive zu wechseln, haben wir das Interview im Riesenrad geführt. Zwei sanft schaukelnde Runden lang gab es feinste Antworten, über die Entwicklung der Band, dass man sich von Songs auch mal lösen können muss oder warum sie den Glauben an die Szene bei aller Kaputtheit nicht verloren haben. Das Riesenrad setzt sich langsam in Bewegung, und mit dem Blick auf die Lichter der Stadt und die schon beachtlich lange Schlange vor dem Club beginnt das Gespräch.

Ihr habt euch vom anfänglichen Duo hin zu einer Full Band entwickelt. Gibt es für euch einen Song oder ein Album, das diesbezüglich den Wendepunkt darstellt?

Max: „Ich würde sagen, es sind zwei Alben. Das „Emotions“-Album, das während Covid entstand, wo klar war, dass es mit einer Band gespielt werden sollte. Aber zu der Zeit wussten wir noch nicht, wie es ist, mit einer Band zu spielen, also haben wir es so ins Blaue hinein geschrieben, wo wir dachten, okay, so fühlt es sich an. Ich glaube, ich habe das letzte Mal mit 14 in einer Band gespielt und wusste gar nicht mehr, wie sich das anfühlt. Wir haben versucht, das dahin zu schreiben.“

Jonas: „Wir sind dann mit Band auf Tour gegangen und haben quasi erst da gemerkt, wie wir eigentlich als Person mit dieser Band funktionieren und wie wir als Band für das Publikum funktionieren. Was für Energien wollen wir? Ich finde, die theoretische Arbeit, die wir in „Emotions“ gesteckt haben, konnten wir dann auf „WACH“ geil umsetzen. Genau diese beiden Alben markieren meiner Meinung nach diesen Umbruch, und ich finde es gut, dass es zwei Alben sind, weil es dafür steht, dass wir auch irgendwie eine prozesshafte Band sind, die sich gerne weiterentwickelt und auch Dinge hinterfragt.“

Ihr habt auf dem Halbum gleich zwei Collabs [Anm. d. Red.: Adam Angst und Alligatoah]. Wie war die Zusammenarbeit mit so unterschiedlichen Acts?

Max: „Die sind gar nicht so unterschiedlich!“

Jonas: „Nee!!! Die sind beide wahnsinnig akribisch.“

Ihr seid euch ja total einig.

Max: „Die sind beide wahnsinnig akribisch, irrsinnig zuverlässig und fleißig.“

Jonas: „Na klar, also als Typen finden Sie in zwei völlig unterschiedlichen Welten statt. Aber was die kreative Arbeit angeht, war es mit beiden ganz, ganz toll. Wir hatten letztes Jahr angefangen, diese Zusammenarbeiten zu planen, sowohl mit Felix von Adam Angst als auch mit Alligatoah. Wenn man sowas anfängt, will man erst mal gucken, wie funktioniert das überhaupt. Kommt da was Gescheites zusammen, dass man der Welt auch zeigen möchte ? Das hat in beiden Fällen sehr gut funktioniert. Gerade die Nummer mit Adam Angst, die ja quasi aus dem Nichts entstanden ist, ist jetzt nach zwei Shows…“

Max: „…ein absoluter Klimax.“

Wie hat eure Erfahrung aus dem Poetry-Slam eure musikalische und lyrische Entwicklung beeinflusst? Gibt es spezifische Elemente aus dem Slam, die ihr integriert habt?

Jonas: „Ich würde nicht sagen, direkt erkennbare Elemente. Unsere Textverliebtheit oder unser Wunsch, einen sehr guten Text zu schreiben und nicht nur ein sehr gutes Lied, ist, glaube ich, nach wie vor sehr präsent.“

Max: „Voll. Ich frage mich aber, ob das etwas ist, was wir aus dem Poetry-Slam haben oder etwas, was uns damals schon zum Slam gebracht hat und wir uns einfach beibehalten haben. Wir beide lieben Sprache sehr und spielen auch total gerne damit, den anderen noch mit einer sprachlichen Verspieltheit zu überraschen. Das hat uns schon damals in Slam gutgetan und das tut es noch heute. „

Jonas: „Wir haben jetzt gerade schon über die Entwicklung gesprochen, mit den beiden Alben, die diese markieren. Wir zehren nach wie vor von Elementen, die wir im Slam verfeinert haben, aber auch Kleinkunst, Comedy – wir haben ja überall mal stattgefunden.“

Wie entstehen neue Songs oder Texte? Arbeitet ihr gemeinsam oder hat jeder seine eigenen Ideen?

Max: „Mal so, mal so. Es ist nicht immer ein Miteinander, wir machen es auch mal getrennt, dass jemand dann größere Stücke mitbringt. Aber es ist eigentlich nie so, dass ein Text, den einer schreibt, dann fertig ist. Wir schauen uns das nochmal gemeinsam an. Wir bringen fürs Texten auch unterschiedliche Skills mit: Jonas hat eine wesentlich griffigere Sprache, die mir manchmal fehlt. Er kann das treffender, prägnanter formulieren, und ich glaube, ich habe ein bisschen mehr Mut zu – ich würde sagen – Pathos.“

Jonas: „Das ist so negativ konnotiert.“

Max: „Dann vielleicht sprachliche Schönheit, ein Bild zu bedienen, wo Jonas sich schwerer mit tut.“

Jonas: „Total.“

Max: „Das ist ein geiler Synergieeffekt.“

Der Song „WZF?!“ hat einen Relaunch bekommen. Wie geht ihr damit um, dass sich die Zeiten gerade bei solchen Themen ultraschnell wandeln?

Jonas: „Ja, das ist spannend. Das ist zum Beispiel etwas, was wir von früher aus Comedy und Kabarett mitgenommen haben: Sich von Sachen auch wieder schnell verabschieden zu können. Manche Sachen haben nur eine gewisse Halbwertszeit und so ist das auch mit Songs. Lieder, die wir total mögen, sind auch aus der Zeit gefallen, einfach überholt. Das ist auch ein schönes Gefühl, finde ich, ein Stück Zeitgeschichte. Wenn ich jetzt die Version von 2020 nochmal höre, ist das eine Erinnerung an ein verrücktes Jahr. Ich glaube, das hören auch nicht mehr viele Leute täglich, einerseits will man damit abschließen und andererseits ist es aus der Zeit gefallen.“

Max: „Ich finde, 2020 hat wirklich noch überrascht, diese Kakofonie, diese Kaskade von Kapitalereignissen und jetzt ist man total abgestumpft. Ich glaube, es passiert genauso viel Scheiße, aber man lässt es halt so über sich ergehen und, deshalb wird der Song auch nicht ganz so lange halten wie der Vorgänger.“

Und wenn die alte Version ein Fanliebling ist?

Jonas: „Am Ende des Tages müssen wir auf der Bühne stehen und den Song singen. Wenn wir das nicht mehr fühlen, weil wir das Gefühl haben, der Song ist aus der Zeit gefallen, spielen wir ihn nicht mehr. Wir glauben fest, dass wir es schaffen, ein besseres Lied zu schreiben, das den Leuten diese Träne vielleicht trocknet.“

Thema Rechtsruck: Jamel ist ein gutes Beispiel, wohin es sich entwickeln könnte, 1 Jahr nach den Massendemos muss man wieder auf die Straße. Wie vele WZF schreibt ihr gerade?

Jonas: „Eigentlich ist das Schöne an der jetzigen Situation, dass es gerade so brodelt und so massiv ist, dass wir auf Tour sein können, um mit den Leuten darüber zu reden. Einen Ort zu schaffen, wo Leute zusammenkommen, die ähnlich ticken. Die haben sich mit dem Eintritt zu diesem Konzert darauf eingelassen.“

Max: „Ich finde die Frage nach den Liedern, die man jetzt noch dazu schreibt, eigentlich total traurig, weil sie uns einfach nicht helfen werden.“

Jonas: „Wenn wir sofort aufhören könnten, Lieder darüber zu schreiben und damit das Weltgeschehen aufhören würde, so eine Scheiße zu produzieren – Sofort, SOFORT hätten wir einen Deal!“

Wie seht ihr die Verantwortung von Künstler*innen, die Stimme verpflichtend zu nutzen und Stellung zu beziehen?

Max: „Natürlich würde ich mir wünschen, dass die Leute, wenn sie Ungerechtigkeiten sehen, das Maul aufmachen. Aber ich sehe auch, dass manchmal die Worte fehlen, oder Stars einer gewissen Größe Angst davor haben.“

Jonas: „Max und ich sind einfach zwei Typen, Mitte 30, mit Familien zu Hause, die das alles mitbekommen, an allen Fronten. Irgendwie betrifft uns das alles natürlich auch in unserem Schaffen und deswegen ist es uns wichtig, auch mit den Leuten darüber zu reden. Nicht nur für die Leute, die das hören, sondern auch für uns, um das irgendwie zu verbalisieren.“

Jetzt müssen wir nochmal auf „ Kruppstahl, Baby“ zurückkommen. Da hattet ihr mal einen Auszug an Kommentaren gepostet – wie fühlt sich das an?

Max: „Also es motiviert uns nicht, es überrascht uns nicht, manchmal ärgert es mich, manchmal bleibt irgendwie was hängen. Wenn ich merke, die schreiben das aus einer politischen Motivation heraus, dann ist mir das tatsächlich Latte. Ich stehle denen die Zeit: Es kostet Zeit, den Kommentar zu tippen, aber es macht emotional nichts mit mir.“

Jonas: „Dann haben sie alles verfehlt, was sie vielleicht versucht haben.“

Gleichzeitig bleibt bei euch immer auch genug Raum für Quatsch-Momente – sei es über eure Kanäle oder bei den Shows. Braucht ihr das auch als Ausgleich?

Max: „Nee, es ist für uns wichtig, weil wir es gerne machen, weil es unglaublich schön ist, zu lachen.“

Jonas: „Deshalb ist es uns einfach ein Anliegen, gerade auch für eine Show. Ich finde, das bricht das auch gut auf. Am Ende sind wir auch viel zu wenig theatrale Typen, um so eine durchgescriptete Show zu haben. Wenn es Momente gibt, wo man so ein bisschen aufmacht und vor den Leuten quatscht, ist das doch schön.“

Eure Tourstopps sind mittlerweile mehrheitlich die großen Dinger. Früher haben eure Texte oft von alltäglichen Kleinigkeiten gehandelt. Wie bewahrt ihr den Bezug?

Jonas: „Weil wir jetzt berühmt sind und so viel Geld haben?“

Max: „Aber es hat sich ein bisschen verändert, so dieses Alltägliche. Wir sind Familienväter, da fällt natürlich eine ganze Menge raus. Unser Alltag verändert sich und ist nicht relevant für ein Lied. Es ist nicht relevant genug, wie es ist, ein Kind in die Kita zu bringen.“

Jonas: „Das würde ich auch gar nicht fühlen. Als wir angefangen haben, kleine lustige kurze Lieder zu schreiben, waren wir Anfang 20, Studenten. Die Welt hat uns gehört und uns hat einen Scheiß interessiert, was die Welt eigentlich macht. Wir haben uns unsere Welt gebaut und uns Sachen ausgedacht, die wir lustig fanden. Wäre das jetzt noch genauso, hätte es einen komischen Beigeschmack. Wir sind jetzt in einem anderen Alter, wo man sich einfach mit anderen Dingen beschäftigt und die Interessen sich verschieben. Wir wollen ja nicht die Band bleiben müssen, die lustige Lieder schreibt.“

Die Wandlung hin zur Full Band birgt ja durchaus auch ein Risiko. Es gibt Projekte, die dabei die Fans der Anfangszeit verlieren, bei euch scheint das anders zu sein. War euch das wichtig?

Jonas: „Es war uns egal, wer mitkommt. Klar, wir haben schon gehofft, dass die Leute mitkommen. Diejenigen, die mitgekommen sind, sehen das wie wir. Als wir zu zweit waren, war es auch schon eine Vorstufe von dem, was es heute ist, mit der gleichen Haltung, dem gleichen Schmiss und auch schon zu zweit der Energie. Irgendwann war der Punkt erreicht, wo es nicht mehr gereicht hat, zu zweit mit Gitarre die Energie in den Raum zu bringen. Das macht immer noch Spaß, aber man braucht schon viel Wohlwollen vom Publikum.“

Max: „Die freuen sich so süß mit uns. Wir kriegen es wirklich regelmäßig nach Shows gesagt, von Leuten, die uns schon seit ein paar Jahren folgen. Das ist so niedlich. Natürlich verliert man immer Leute, bei einer Modernisierung oder Umgestaltung eines Projektes. Aber wir machen das, was aus uns rauskommt, und nicht das, was wir irgendwie konservieren müssen, um etwas zu erhalten, was nicht mehr ist.“

„Clubs dieser Stadt“ könnte man als Hymne interpretieren – für eine mittlerweile echt kaputte Szene. Wie erlebt ihr das?

Jonas: „Das Clubsterben ist natürlich ein multifaktorielles Problem. Während Covid haben viele Technikfirmen Mitarbeiter*innen verloren, die nicht zurückgekommen sind. Die Kosten sind so massiv gestiegen, kleine Clubs hatten es in den Städten schon immer schwer, weil sie einfach Anwohnerprobleme haben. Aber worüber meiner Meinung nach viel zu wenig gesprochen wird, ist, dass das Publikum einfach wegbleibt.“

Max: „Weil die Leute den schnellen Algorithmus wollen und auch gar nicht mehr so ausgehen, ehrlich gesagt. Ich weiß leider nicht, wie man das rettet, glaube aber, dass die Clubszene in irgendeiner Form überleben wird und wir auch eine Renaissance davon erleben werden.“

Jonas: „Dann ist es tatsächlich leider eine totale Verschiebung hin zu einem digitalen Publikum. Ich glaube schon, dass es so ein Golden Age of Live Music gab. Ein befreundeter Veranstalter hat mal gemeint: „Jetzt werden viele Glücksritter merken, dass es nicht mehr so einfach ist, sich mit Veranstaltungen eine goldene Nase zu verdienen wie in den 10er Jahren.“ Wie das zu lösen ist, ob es eine subventionierte Subkultur geben muss – ich habe keine Ahnung. Vor allem sollte es mehr Bundesländer geben, die nicht CDU-regiert sind. Aber wie Max gesagt hat: Livemusik wird nie sterben. Wir sind eine kreative Szene, nicht nur auf dem Papier oder auf der Gitarre. Wir sind auch eine kreative Szene, wenn es darum geht, Medien zu finden, Livemedien, um unseren Kram rauszubringen.“

Ein besseres Schlusswort kann man gar nicht finden.

Fotocredit: Marvin Ruppert