Chuck Ragan – Feast or Famine (SideOneDummy, 07.08.2007)

Mein Beitrag für die Classics markiert einen kleinen Wendepunkt  auf dem Weg meiner musikalischen Vorlieben. Eigentlich sogar einen ziemlich einschneidenden. Schließlich gibt es Zeiten im Leben in denen man meint alles zu wissen über Musik. Man weiß das große Label der Ausverkauf sind und Geld verdienen eh kein Punkrock ist. Pop ist böse und elektronische Musik der Feind. Es gibt tausende Schubladen in die man sich und andere stecken kann. Da kann man dann auf engstem Raum vor sich hindödeln. Aber ich kann Entwarnung geben… das wächst sich raus!

Chuck Ragan und “Feast or Famine” steht für mich beispielhaft für eine Szene die groß geworden ist. Punkrockmusiker die sich treu bleiben können, ohne dabei lächerlich zu wirken. Obwohl es mittlerweile beim Versuch zu sein wie Chuck Ragan doch sind. Traditionelle Musik, ohne dabei ein konservatives Arschloch zu sein. Aus dem “HWM-Punkrocker wird der Angel-Dude” und das ist völlig in Ordnung.

Einer der großen Trends um die 2010er war der Karohemdtragende Ankertattoosongwriter, der mit umgeschnallter Mundharmonika Folkpunk macht. Und auch mich hat es dabei erwischt. Allerdings hat diese Öffnung für mich persönlich viel mehr bewegt. Ich bin offener geworden. Und das nicht zuletzt dank Chuck Ragan und diesem Album.

Klar gab es auch schon vor 2007 Leute, zumindest in den Staaten, die diese musikalische Schiene bedient haben. Aber der große Hype in Deutschland blieb eigentlich aus. Und vor allem ging es um Authenzität. Wem sollte man die teils “schnulzigen” Lyrics (in anderen Fällen auch Pathos genannt und damit völlig ok) abkaufen, wenn nicht dem Mann, der sie vorher schon in ein Post-Hardcoregewand verpackt gebrüllt hat?

Bereits vor Feast or Famine hat Chuck Ragan mit Chris Wollard zusammen als Rumbleseat Folk/Folkpunk gemacht. Aber während Ragan zur eingeläuteten Bandpause seine Solokarriere in Schwung gebracht hat, hat der Rest von Hot Water Music mit The Draft sehr gut, aber leider nicht sehr lange Punkrock/Post-Hardcore gezaubert.

 

Und 2007 kam sie dann also. Feast or Famine. Und für mich persönlich war das, was der ehemalige Frontmann meiner Alltime-Lieblingsband da macht das höchste der Gefühle. Mittlerweile war ich auch keine 18 mehr und konnte mich also viel mehr damit identifizieren. Folk mit einer Stimme zu Niederknien und dazu die ständig mitschwingende Punkattitüde.

Wir haben auf dem Album 12 Songs, die durch die Bank nicht wie vom Folkpunk-Songwriter Rulebook abgeschrieben wirken, sondern sie sind das, dem zahlreiche weitere Musiker weltweit viele Jahre nacheifern. Zum Teil mit guten Ergebnissen und zum Teil eher mit peinlichem Scheiß. Aber immer mit Karohemd.

Meine persönlichen Highlights werden auf ewige Zeit “Don’t Cry”, “Between the Lines” und “Do You Pray” sein. Wobei das schwierig zu sagen ist, weil man bei jedem Hören den Hitfaktor neu entdeckt.

In vielen Gesprächen an den Bars dieser Welt habe ich über dieses Chuck Ragan Phänomen gesprochen und gelallt. Mit Leuten die auf ihn und seine Musik stehen und auch mit denen, denen dieser “Trend” als Hardcore/Punkmusiker plötzlich Songwritersachen zu machen auf die Nüsse geht. Aber bei einer Sache waren wir uns immer einig. Es ist einfach ein guter Prozess, wenn einer dieser Musiker, der dich fast dein ganzes Leben begleitet, mit dir älter wird. Und das dann nicht auf eine peinliche Art und Weise. Denn wenn ein Chuck Ragan auf seiner Tour routiniert seine Show durchzieht und man ihm im Gespräch einfach anmerkt, dass er jetzt lieber bei Frau und Kind wäre, nimmt es ihm niemand übel. Die coole Art vom Spießertum erwischt viele von uns. Und das ist gar nicht schlimm.

Für mich ist dieses Album also ein Wegbegleiter. Ein Meilenstein musikalisch. Ein gutes Gefühl zwischen den Zeilen und nickendes Lächeln, das dir das Leben zuwirft. Und zeitgleich das am Ende des Tages mit Bier in der Hand Sonnenuntergang gucken. Ein “Alles wird gut”. Einfach unfassbar viel. Danke Chuck Ragan !

 

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  1. The Boat
  2. For Broken Ears
  3. California Burritos
  4. Geraldine
  5. It’s what you will
  6. Do you pray
  7. Don’t Cry
  8. Symmetry
  9. Between the Lines
  10. Hearts of Stone
  11. The Grove
  12. Do What You Do