“Brainrage over Europe” – die Überschrift der gemeinsamen Rundreise trägt die beiden Hauptprotagonisten schon im Tourtitel. In stürmischen Zeiten müssen sich selbst zwei angestammte Bands wie Rage und Brainstorm zusammentun, um eine solch umfangreiche Tour wie diese hier durchziehen zu können. Dem Fan kann es recht sein, bekommt man damit doch die volle Ladung an packendem Stoff serviert. Das zog am Ende doch eine ansehnliche Menge an Leute ins Wizemann in Stuttgart, um eine satte Ladung Schwermetall zu hören zu bekommen. Dass zumindest einer der drei Auftritte etwas anders ablaufen sollte als sonst, wusste man beim betreten des Clubs noch nicht. Doch dazu nachher mehr. Kommen wir erst einmal zum Aufwärm-Act des Abends:
Das deutsch-polnisch-griechische Qurtett Tri State Corner ist nicht das erste Mal mit Rage unterwegs, was ja durchaus nahe liegt. Es sitzt ja deren ehemaliger und etatmäßiger Refuge-Drummer Chris Efthimiadis hier am Schlagzeugschemel, zum anderen ist gerbt Drumroadie und Sänger Lucky schon seit einigen Jahren auch die Felle bei der Herner Metal-Institution. Also quasi Familie. Dabei sind Tri State Corner im alternativen Hardrock selbst schon so etwas wie eine kleine Institution mit fünf Alben und einer EP in der Hinterhand. Ihr „Bouzouki-Rock“ hat eben den besonderen Touch. Der folkloristische Touch durch die griechische Laute zieht seit rund eineinhalb Jahrzehnten immer noch, was vor allem an den guten Songs und dem mitreißenden, äußerst positiven Auftreten der Band liegt. Gerade Sänger Lucky versteht es, die Leute mit sein einnehmenden Ausstrahlung immer wieder mitzureißen. So vergeht die Zeit wie im Flug und die Herzen fliegen der Band, trotz der stilistisch etwas anderen Ausrichtung recht schnell zu. Dürfen gerne mal wieder mitkommen.
Setlist Tri State Corner:
Faster
Nothing at All
Free Prison
Schemer
Sooner or Later
Hypocrisia
Tomorrowland
Run Away
Daydreamer
Stereotype
Die Pechvögel des Abends waren eindeutig Rage. Bandkopf Peavy Wagner hatte sich eine böse Lungenentzündung eingefangen und sich striktes Sprech- und somit auch Gesangsverbot erteilt. Aufgeben war deswegen aber nicht angesagt. Man hatte einen Plan B, was den Abend heute auch anders als sonst werden ließ. Die Band spielte live (inklusive dem Bandboss unauffällig mit seinem Bass im Hintergrund), der Gesang kam von einer vorbereiteten Tonspur, welche man anscheinend bei einem der Konzerte in letzter Zeit aufgenommen hatte. Eine komische Situation und sicherlich auch eine spielerische Herausforderung, aus welcher das Quartett das Beste machte. Es lag an den beiden Gitarristen Stefan Weber und Jean Bormann das Publikum anzupeitschen. Letzterer übernahm die Rolle des Ansagers, was ihm merkbar schwer fiel. Aber nicht jeder ist die geborne Rampensau.
Peavy kämpfte sich dafür wacker und gesundheitlich deutlich gezeichnet durchs gekürzte Set. Jenes war ein netter Zusammenschnitt aus ein paar Songs jüngeren Datums wie „Let Them Rest In Peace“ und „Ressurection Day“ sowie beliebten Klassikern wie „Great Old Ones“, „Sent By The Devil“ oder „From The Cradle To The Grave“. Dabei gab die Band alles, um das Publikum trotz der seltsamen Gegebenheiten mitzureißen. Das gelang vor allem deshalb, da die Leute in Stuttgart Rage nicht hängen lassen wollten und die Songs noch ein bisschen mehr als sonst abfeierten, was die vier Musiker sehr nah ging. Mit den beiden unverwüstlichen Standards „Don’t Fear The Winter“ und „Higher Than The Sky“ endete dieser dann doch (hoffentlich) recht einmalige Auftritt, den man aufgrund seiner Umstände nicht vergessen dürfte.
Setliste Rage:
Resurrection Day
Let Them Rest in Peace
Great Old Ones
My Way
Sent by the Devil
Empty Hollow
From the Cradle to the Grave
Don’t Fear the Winter
Higher Than the Sky
Auftritte der Schwaben Brainstorm bleiben meist ebenso lange im Gedächtnis. Insbesondere wenn man in der Heimat aufspielt. „Heimspiel“ war als angesagt. Dementsprechend gelöst war die Stimmung auf beiden Seiten des Fotograbens. 1. war die Band besonders glücklich vor alten Freunden und Wegbegleitern auftreten zu dürfen, 2. wird die Band hier natürlich wie verlorene Söhne willkommen geheißen. Insbesondere nach drei solch entbehrungsreichen Jahren, wie Sänger Andy B. Franck es des abends noch öfter anmerken sollen. Und recht hat er: solche Gelegenheiten müssen gefeiert und ausgekostet werden, von der ersten bis zur letzten Sekunde!
Und das wurde nach allen Regeln der Kunst getan. Von den ersten Tönen des Auftritts war die Spannung im Publikum zu spüren, die sich mit dem Einsetzen der Riffs von „Where Ravens Fly“ sofort in Luft auflöste und der puren Begeisterung wich. Brainstorm hauten ihre Songs mal wieder mit gewohnter, aber stets beeindruckender Wucht ins Auditorium. Gerade Drummer Dieter Bernert pushte seine Kollegen mit seinem wuchtigen Schlagzeugspiel wuchtig voran, während Andy den Draht zum Publikum nie losließ (also ne echte Rampensau!). Die Augen waren zwischendurch auf Neu-Basser Andreas Armbruster gerichtet, der im Vergleich zum ruhenden Pol Toni Ieva noch recht ungewohnt wirkte, aber am Ende doch gut in den Haufen passte. Für das Spielen eine Basssolos gehört er zwar von der Bühne gepfiffen. Aber hey, packen wir das unter Welpenschutz.
In Sachen Setliste konzentrierte man sich zum großen Teil auf die letzten beiden Alben „Midnight Ghost“ und „Wall Of Skulls“. Alte Kamellen fanden damit nur selten den Weg ins Programm. Aber das war heute egal. Denn zum einen sind die beiden Dinger ja echte Knaller und zweitens war man einfach froh Brainstorm mal wieder live – und noch dazu in solcher prächtigen Verfassung – zu sehen. So wurden Stücke wie „Glory Disappears“, „Escape The Silence“ (leider ohne Gastauftritt von Peavy Wagner) oder „Jeane Boulet“ wie von einem Schwamm aufgesogen und euphorisch beklatscht. Stimmungshöhepunkt war erwartungsgemäß natürlich (mal wieder) die Mitsingnummer „All Those Words“. Andy konnte es am Ende nicht lassen in seiner Heimatstadt im VfB-Trikot aufzulaufen. Schließlich waren wir ja auch nicht allzu weit vom Stadion entfernt… Das dazu gespielte „Ravenous Minds“ setzte einen standesgemäßen Schlusspunkt an den grandiosen Brainstorm-Auftritt, dem hoffentlich noch viele weitere folgen mögen!
Setlist Brainstorm:
Where Ravens Fly
Worlds Are Comin’ Through
Devil’s Eye
Shiva’s Tears
Glory Disappears
Highs Without Lows (mit Schlagzeugsolo)
The Pyre
Jeanne Boulet (1764)
Escape the Silence (mit Basssolo)
Turn Off the Light
All Those Words
Ravenous Minds