Boris – Dear (Sargent House, 14.07.2017)

Ich hau jetzt einfach mal nicht das Forrest-Gump-Zitat mit der Schachtel Pralinen raus, auch wenn es bei den Japanern Boris verdammt gut passen würde. Denn bei einer neuen Veröffentlichung des Trios weiß man im Vorfeld wirklich nie so richtig, was drin sein wird. Garage Rock, Noise und Experimental, Alternative, Dreampop, Postrock, Drone und Doom, Psychedelic oder Ambient – hat man alles schon mal gehört von der spleenigen Truppe. Dabei ist nur eines sicher: „normal“ bleibt es nie.

Für „Dear“ hat man sich das allmächtige Zeitlupenriff zu Herzen genommen. Denn die Platte ist ein fast reinrassiges Doom-, Drone-Album geworden. Mit den üblichen eingeworfenen Stilschubladen-freien Spinnereien natürlich. Das originell betitelte „D.O.W.N. -Domination of Waiting Noise-“ ist schon mal eine gute Einführung in die seltsame Welt der Band. Strange und doch interessant. Ein Kollege verglich das Ganze mit „Sunn O))) meets Deftones“ und liegt in diesem Fall auch gar nicht falsch. Der „Deadsong“ zieht einen noch etwas weiter hinunter in den Kaninchenbau mit seinen fast unhörbar tiefen Riffs und dem rohen Sound, der mehr als nur ein wenig entschleunigt ist.

Im Folgenden vermeiden es Boris weiter gleichförmig zu werden. Jeder Song ein eigenes Klangerlebnis – das hin und wieder aber auch anstrengend und nervenzerrend sein kann, wie der abschließende, überlange Titeltrack zeigt. Aus dem getragenen Tempo bricht man vor allem mit dem derb rockenden, schweren und Sabbath-lastigen „Absolutego“ aus. Der Gegenpol dazu ist das verträumte „Beyond“, das mit seinem weiblichen Gesang Shoegaze-Feeling verbreitet, bevor sich die Nummer mit einer satten „Wall of Sound“ in luftige Höhen schraubt. Spannend.

Auch nicht uninteressant das ätherische „Biotope“, welches gleichzeitig das melodischte Stück darstellt. Der absolute Kontrast dazu sind das zeremonielle Instrumental „The Power“ sowie das wehklagende „Memento Mori“, das zum Doom mit Synth-Flächen ein sphärisches Flair eingehaucht bekommt. Etwas für sich steht „Kagero“, eine wilde Kombination aus Falsett-Gesang und noisigem Brummen, das fast Ambient-Feeling verbreitet. Zum Ende hin folgt dann das Highlight „Distopia Vanishing Point“, welches sich zuerst einem gebirgsbachklaren Postrock hingibt, bevor es am Schluss aufbricht und sich in einen breitbeinigen, mitreißenden Rocksong verwandelt.

Dieses Album zwischen Träumerei und handfestem, monolithischem Doom-Sound überrascht im Band-Kanon zwar nicht, lässt aber aufhorchen. Klar, anstrengend ist es irgendwie auch wieder geworden. Aber Boris ist ja nicht gerade für Easy-Listening-Mucke bekannt. Insgesamt: gelungenes Album zum Eintauchen – besonders in den songorientierten Momenten.

Trackliste:
1. D.O.W.N. -Domination of Waiting Noise-
2. Deadsong
3. Absolutego
4. Beyond
5. Kagero
6. Biotope
7. The Power
8. Memento Mori
9. Distopia Vanishing Point
10. Dear

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