Eigentlich wollten wir mit Sänger Willem von Antillectual nur ein klitzekleines Interview zum Tourleben machen, ist das niederländische Trio doch gerade durch Deutschland und die Schweiz unterwegs. Doch gut 25 Jahre Hardcore- und Punksozialisation lassen uns gleich auf Themen wie Gentrifizierung, gesellschaftliche Spaltung und nötige Freiräume kommen.
Was hat dich zu dem Song „Whose Streets? Our Streets!“ inspiriert?
„Die Themen für unsere Songs „wachsen“ normalerweise mehr oder weniger organisch. Wenn Trends in der Gesellschaft deutlicher werden und problematische Aspekte aufweisen, stößt das mein Gehirn an und ich mache mir normalerweise Notizen zu Dingen, die mir einfallen, wenn ich über das spezifische Thema lese oder höre. Feindliche Architektur und Gentrifizierung sind interessante Entwicklungen mit einem politischen Aspekt. Sie passieren nicht einfach so, sie sind geplant und Teil einer Strategie. Wer hat das Recht, den öffentlichen Raum zu nutzen und wer nicht? Sind die Parks, Straßen und Plätze nur für Menschen da, die es sich leisten können, ein Getränk auf einer Außenbestuhlung eines Restaurants zu kaufen, oder sollten sie auch den Menschen zur Verfügung stehen, die einfach nirgendwo anders wohnen können? Für Menschen mit einem Skate-Hintergrund ist die Nutzung des öffentlichen Raums immer interessant. Auf welchen Flächen und Hindernissen darf geskatet werden und warum?“
Welche Botschaft wollt ihr mit diesem Song vermitteln?
„Ich denke, das Hauptziel ist es, die Aufmerksamkeit der Menschen auf all die scheinbar unschuldigen Designentscheidungen zu lenken, die in unserem öffentlichen Raum getroffen werden. Diese Entscheidungen sind nicht so unschuldig, wie sie scheinen. Der Grund, warum die meisten Parkbänke heutzutage Armlehnen haben, ist nicht, damit man bequemer sitzt, sondern um zu verhindern, dass man sich hinlegt und die Nacht darauf verbringt. Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass Menschen auf der Straße schlafen müssen, machen wir es ihnen noch schwerer. Feindselige Architektur wird mit der Absicht entworfen, bestimmte Menschen aus unseren gemeinsamen Lebensräumen auszuschließen. Die Gentrifizierung ehemals ärmerer Viertel fördert feindliche Architektur. Sie verdrängt die ursprünglichen Bewohner und macht sie nur noch für diejenigen zugänglich, die sich höhere Mieten leisten können. Die wollen eine schönere, „sauberere“ Nachbarschaft, die möglichst wenig stört.“
Welche Rolle spielt die Skatepunk-Kultur in eurem neuen Song?
„Menschen, die den öffentlichen Raum für ihr Hobby wie Skaten nutzen, leiden nicht so sehr unter feindlicher Architektur wie Obdachlose, die auf die Verfügbarkeit von Freiräumen angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dennoch gibt es Parallelen: Urbane Sportarten wie Skaten oder Straßenkunst wie z.B. Graffiti nutzen den öffentlichen Raum für andere Zwecke als ursprünglich vorgesehen. Das Ergebnis ist das, was die einen als Vandalismus (und die anderen als Kunst) oder Unruhe stiften (und die anderen als Sport) bezeichnen. Aufkommende gesellschaftliche Prozesse wie Gentrifizierung und feindselige Architektur in Verbindung mit Aspekten des Skatens haben uns dazu inspiriert, einen Song darüber zu schreiben.“
Wie beeinflusst das Leben auf Tour eure Musik und die Texte?
„Wir haben keine Songs, die speziell vom Touren oder Unterwegssein handeln. Aber unterwegs zu sein und Menschen im Ausland zu treffen, erweitert deine Perspektive auf das Leben außerhalb deiner eigenen Blase/Land/Paradigma. Das ist unbezahlbar und eine Erfahrung, die man sonst nur schwer machen kann. Wenn man auf Tour ist und mit Menschen aus allen möglichen Ländern in Kontakt kommt nehmen dich die Leute manchmal bei ihnen zu Hause auf, kochen für dich und stellen dich ihrer Familie vor. Solche Erfahrungen kann man nicht machen, wenn man über Agenturen oder traditionelle Tourismusdienste organisiert reist. In unserem Song „From City To City“ geht es genau darum: Manchmal trifft man am anderen Ende der Welt Menschen, mit denen man leichter in Kontakt kommt als mit dem Nachbarn von nebenan.
Übrigens habe ich versucht, Musik zu schreiben und Demos aufzunehmen, während ich auf Tour war. Das funktioniert bei uns nicht, wie wir auf die harte Tour herausgefunden haben! Aber beim Soundcheck probieren wir manchmal neue Ideen und Songs aus, was eine gute Möglichkeit ist, neue Dinge in verschiedenen Umgebungen zu testen.”
Was hat euch zu der Entscheidung bewogen, keine traditionellen Alben mehr zu veröffentlichen?
„Nachdem wir eine Handvoll Alben gemacht hatten, fingen wir an, darüber nachzudenken, wie wir weiterhin neue Musik machen könnten, die für uns selbst und für die Leute, die uns zuhören, interessant ist. Mit den neuen digitalen Veröffentlichungsmöglichkeiten und Trends schien es sinnvoll, einen anderen Ansatz zu wählen. Andererseits haben wir schon immer mit Veröffentlichungsstrategien experimentiert, und wir haben auch schon Singles veröffentlicht, bevor wir das ganze Album herausbrachten. Aber die Albumtracks in separaten Stapeln zu schreiben und aufzunehmen und sie über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu veröffentlichen, war auch für uns neu, als wir damit anfingen. Bisher gefällt uns diese Art, neue Musik zu machen, sehr gut, und die Leute scheinen sich darauf zu freuen, öfter neue Musik von uns zu hören. Wir werden also wahrscheinlich noch eine Weile so weitermachen. Bald werden wir eine weitere Single veröffentlichen, die schließlich in ein neues Album münden wird.“
Gibt es Herausforderungen oder unerwartete Vorteile, auf die ihr gestoßen seid, seit ihr diesen Ansatz gewählt habt?
„Es hat definitiv Vorteile, die Dinge auf die altmodische Art und Weise zu machen, indem man alle Songs in einem Rutsch schreibt, aufnimmt und veröffentlicht. Man kommt in einen kreativen Fluss und kann sich wirklich ausschließlich auf die Musik und die Texte konzentrieren. Aber wenn man die Songs in kleinere Teile aufteilt, kann man sich mehr auf die Details konzentrieren. Das ist für uns wichtiger und vorteilhafter, verbunden mit der Möglichkeit, häufiger Musik zu veröffentlichen. Die verkürzte Aufmerksamkeitsspanne des Publikums und der Medien ist ebenfalls ein Faktor, der die Veröffentlichung eines kompletten Albums in einem Rutsch weniger attraktiv macht. Nachdem man mehrere Jahre an einem Album gearbeitet hat, wiegt die Aufmerksamkeit, die es erzeugt, nicht mehr alle Mühen auf, die mit seiner Entstehung verbunden sind. Wenn man die Veröffentlichung der Songs streut, wird auch die Aufmerksamkeit für die neue Musik gestreut. Auf diese Weise kann man sowohl den Leuten etwas bieten, die einzelne Songs bevorzugen, als auch denjenigen, die sich lieber ganze Alben hören, auch in einem physischen Format wie LP, CD oder Kassette.”
“Whose Streets? Our Streets!” Deutschland & Schweiz Tour 2025
19.03.25 Oberhausen Druckluft
20.03.25 Saarbrücken Tante Anna
21.03.25 Erfurt Tiko
22.03.25 Berlin Schokoladen
04.04.25 Zürich (CH) Dynamo
05.04.25 Nürnberg Heizhaus
06.04.25 Solothurn (CH) Kulturfabrik Kofmehl
08.04.25 Düsseldorf Pitcher
10.04.25 Eisen Bremen
11.04.25 Hannover Stumpf
12.04.25 Oerlinghausen Knup
Fotocredit: Peter van Esch