Die schwedische Jazzgruppe Angels, angeführt vom Saxophonisten Marzin Küchen, hat sich für Ihr neues Album mit dem neuen Stern am schwedischen Jazzhimmel, der Sängerin Elle-Kari (Sander) zusammengetan.
Und das dabei entstandene Album „The death of Kalypso“ hat es so richtig in sich, ist es doch eine Jazz-Oper geworden. Ich bin nicht der aller größte Jazz-Kenner, aber zumindest für meine Ohren ist es die erste Jazz-Oper. Und es handelt sich natürlich nicht um einfachen Jazz, nein, das Ganze ist eine Verknüpfung aus jazzbeeinflusster Musik, Klassik, Avantgarde, einer Prise Contemporary, einer Prise Trip-Hop und noch vielen zusätzlichen Prisen anderer Musikarten.
Neben der zu Teilen sicherlich gewöhnungsbedürftigen, aber sehr ausdrucksstarken Stimme Elle-Kari Sanders wurde dieses Album neben der Jazz-Band Angels (Trompete, Posaune, Kontrabass, Saxophon, Klarinette, Glockenspiel, Vibraphon, Schlagzeug, Piano, Synthesizer und Orgel) noch mit einem Streichquartett realisiert. Aufgenommen im übrigen in erstklassiger Tonqualität bereits im Jahr 2022.
Die Musik ist auf die facettenreiche Stimme Elle-Kari Sanders zugeschnitten. Ich beschreibe Ihre Stimme mal mit „Mrs. Doktor“, was wahrscheinlich ein Insider ist. Mich erinnert die Musik, aber vor allem die Stimme an die Band „Devil Doll“, deren Mastermind „Mr. Doctor“ nicht eine so ausgebildete Stimme hatte, aber die Dame hier legt mindestens genauso viel Gefühl in Ihren Gesang. Das bedeutet, dass es auch mal Schreie gibt, die im ersten Moment ein wenig wehtun, aber sich wunderbar in den mehrere Oktaven umfassenden, sehr emotionalen Gesang einfügen.
Wenn ich die Musik mit der der Gothikrocker von Devil Doll vergleiche, dann betrifft das den klassischen Ansatz und die intensiven Gefühlswanderungen, der rockig bis hardrockige Anstrich Devil Dolls fehlt hier völlig und kommt im Jazz-Gewand vorbei.
Das erste Stück kommt noch mit einem sehr rockigen und eingängigen Stil daher. Das Schlagzeug arbeitet mit dem Bass zusammen sehr straight und rhythmisch und die Melodie ist hell und einladen, ja fast poppig. Auch der Gesang klingt hier angenehm, aber man merkt auch schon hier, dass es innendrin brodelt.
Dieses Bild wandelt sich im zweiten Stück „Une certaine paix“ in eine rumorende Mischung aus klassischen, aber auch kontemporären Streichern, Bläsersektionen zwischen Jazz und Freejazz und dazu dem Gesang, der zwischen sehr melodisch und aggressiv und schreiend wechselt.
Nach dem kleinem Streichquartett-Einsatz von „A campaign of tragedy (String Quartet)“ erklingt mit „Fetus of Dawn“ eine sanfte und melancholische Pianoballade, die den geheimnisvollen Gesang, der zwischen Sprechgesang und Gesang hin und herwechselt, untermalt. Der Kontrabass steuert einen wunderbar atmosphärischen Sound hinzu, der von sanften, verhallenden Streichern ummalt wird, die sich zusammen mit dem Piano in ein wuchtiges Ende arbeiten. Spätestens hier hatte ich meine erste Gänsehaut. Und ein wunderbarer Abschluss des ersten Aktes.
Der zweite wird von einem wundervollen Cello eingeleitet. „A campaign of tragedy (Aria)” ist so wundervoll traurig und da trägt der Gesang, der mich hier ein wenig an Beth Gibbons erinnert, viel dazu bei. Schummernde Keyboards ertönen aus dem Off, dann erklingt die Stimme mal völlig ohne Instrumente und kurz darauf setzten die Streicher wieder ein. Im zweiten Teil wird es dann etwas beschwingter. Gezupfter Bass, Glockenspiel (?) und Chorgesang – engelsgleicher Chorgesang. Ganz großes Kino. Doch diese Atmosphäre wird anschließend durch ein wildes Gemisch aus Freejazz und Contemporary Music gesprengt. Ich bin dieser Musik inzwischen eigentlich etwas überdrüssig, doch hier passt der relative kurze und wilde Ritt perfekt ins Soundbild und rüttelt den Hörer einmal richtig durch.
„The caves of Ogygia I” und “The caves of Ogygia II” kommen dann zwei kurze, bedrohliche Instrumentals aus Klavier und Bläsern. Unheimlich wabern die Sounds dahin und kündigen weiteren Tiefgang an.
„Kalypso in Karlsbad, haunted by dreams” startet dann als weitere große und melancholische Pianoballade. Dunkel werden die Mollnoten angeschlagen, über denen eine zarte Pianomelodie schwebt. Die einsetzenden Streicher werden von elektronischen Chören untermalt und kreieren eine wunderbare Bittersüße, die von nun echtem Chorgesang vollendet wird.
Dann wird es kurz vor dem Finale noch einma richtig pathetisch mit „A campagin of tragedy“, das mit Glockenspiel, Engelschören und viel Atmosphäre startet, um sich dann zu einem klassisch gepielten Trip-Hop-Song der ersten Güte entwickelt. Sofort muss man an Portishead denken, oder aber auch an den besten Bond-Song, der kein Bond-Song werden wird. Da das Lied dann noch mit Brassklängen endet, macht ihn für mich quasi unsterblich schön.
Abgeschlossen wird das Album vom dunkel atmosphärischen dahinmäandernden Instrumental „Outro and ouverture” und dem Titelstück, das ein sehr kurzes atmosphärischen Stück des Streichquartetts ist.
Für mich liegt hier ein heißer Anwärter auf das Album des Jahres 2024 vor, und das aus einer Musikrichtung, die ich sonst eher nicht so verfolge. Aber die wunderbare Mischung aus Klassik, Experimental, Jazz und vielen anderen Komponenten und diese unglaubliche Stimme hauen mich um. Ein wenig schade ist es, dass die Stücke nicht alle ineinander übergehen, dann wäre es mehr als perfekt. Aber auch so bleibt mir nur die Höchstnote für dieses ungewöhnliche und ungewöhnlich schöne Album.
- Messieurs-dames
- Une certaine paix
- A campaign of tragedy (String Quartet)
- Fetus of Dawn
- A campaign of tragedy (Aria)
- Cutting the woods
- The caves of Ogygia I
- The caves of Ogygia II
- Kalypso in Karlsbad, haunted by dreams
- A campagin of tragedy
- Outro and ouverture
- The Death of Kalypso
https://anglesellekari.bandcamp.com/album/the-death-of-kalypso
https://www.oosterop.com/artists/martin-kuchens-angles/