Die Alex Mofa Gang hat mit „Euphorie am Abgrund“ ein Album veröffentlicht, das Fragen stellt. Wir haben Sänger Sascha und Schlagzeuger Michi getroffen, um eben diesen Fragen auf den Grund zu gehen und sind bei Rechtsrock, Klimapolitik und privilegierten weißen Männern gelandet – alles noch vor den aktuellen Wahlergebnissen. Warum bei all der Scheiße, die gerade passiert, es wichtig bleibt, miteinander zu sprechen, sich die Hand zu reichen (Spoiler: Darauf sind wir alle angewiesen!) haben die beiden uns in einem extrem netten Gespräch verraten. Erwähnt haben sie auch, warum sich für sie das Bandleben nicht abnutzt und sie auch nach 12 Jahren noch immensen Spaß zusammen haben.
Wann habt ihr denn die Idee zu „Mann von gestern“ entwickelt?
Sascha: „Ich könnte keinen Zeitpunkt nennen, aber das Thema treibt uns schon eine ganze Weile um. Es ist ein Thema, wo wir einfach für uns fünf festgestellt haben, dass wir uns in den Blasen, in denen wir uns bewegen, für sehr aufgeklärt halten, für sehr fortschrittlich, und auch das Gefühl haben, dass im Bereich der Gleichberechtigung und Gleichstellung schon sehr viel passiert ist. Wenn man die Blase nur einen kleinen Schritt verlässt, merkt man, dass das gar nicht stimmt. Innerhalb ist das immer noch total rückwärtsgewandt. Man selbst ist überhaupt noch nicht an dem Punkt, wo man überhaupt von Gleichberechtigung sprechen kann. Das ist einfach ein gesellschaftliches Bild, welches durch die Erziehung, durch die Schule und durch die Prägung einfach noch so viel im Argen liegt – was für einen selbst gar nicht sichtbar war. Dann merkt man, wie wichtig es ist, sein Handeln zu überprüfen, gerade als privilegierter Mann in einem reichen Land. Es gibt oft kleine Momente, wo du denkst, da läuft so viel Scheiße – aber wir müssen bei uns selbst anfangen. Das war der Impuls, so eine Geschichte zu erzählen, von einem Typen, den wir wahrscheinlich alle irgendwie kennen.“
Was ich an dieser Debatte spannend finde, ist, dass es eigentlich nie eine Fehlerkultur gibt. War das auch ein Part mit dem ihr euch auseinandergesetzt habt?
Sascha: „Es geht nicht nur um dieses Thema. Das haben andere kluge Köpfe schon vor langer Zeit gesagt: Die linke Szene neigt immer dazu, sich selbst zu zerfleischen. Natürlich ist an vielen Stellen auch ein bisschen Angst dabei, und das ist auch völlig legitim. Das wollen wir gar nicht verurteilen. Ich habe mir noch nie direkt darüber Gedanken gemacht, aber du hast völlig recht. Fehler zugeben zu können, ohne dafür gesteinigt zu werden oder einen Shitstorm zu bekommen, ist ein wichtiger Punkt, damit das legitim wird. Dass ich sagen kann, ich sehe das jetzt anders und damit gebe ich automatisch zu, dass ich das mal falsch gesehen habe. Es ist wichtig, dass das nicht gleich zu einer Verurteilung führt. Wenn sich Dinge ändern, muss Protest laut sein dürfen und vielleicht auch müssen, auch zu laut und auch über das Ziel hinausschießend. Dinge, die wir vor 10 Jahren so gesehen haben, sehen wir heute nicht mehr so, weil wir mehr wissen und weil sichtbar geworden ist, dass es offensichtlich immer noch falsch läuft. Auf diesem Weg wollen wir unseren kleinen Beitrag leisten, so gut wir können – aus oder mit dem Habitus eines Mannes: miteinander reden, aufeinander zugehen und daraus lernen. Das gehört hoffentlich zur Veränderung dazu.“
Michi: „Es wird immer schnell über alle geurteilt und die Fehler der anderen sieht man dann immer als Erstes und haut darauf. Es gibt natürlich Grenzen innerhalb derer man diskutieren kann, aber die muss man auch ausreizen und miteinander sprechen und nicht nur verurteilen und die Leute ausschließen. Natürlich ist das z.B. im Umgang mit der AfD besonders schwierig, aber generell ist es schon wichtig, dass man jemandem auch die Hand reichen muss und dass man für den Fortschritt Fehler machen muss, um sie sich einzugestehen und voranzukommen, deswegen geht der Song am Ende ja auch in den Spiegel. Fehlerkultur fängt ja am besten bei einem selber an. Wenn uns selber auffällt, dass wir manchmal noch Männer von gestern sind und wir es, weil es uns auffällt, ändern können und nicht, weil es uns auffällt, werden wir verurteilt und sind raus, sondern deswegen kann es vorangehen, das ist schon wichtig.“
Sascha: „Das ist schön gesagt, die Hand reichen: Das können wir als Männer natürlich nicht, wir sind darauf angewiesen, dass uns die Hand gereicht wird. Aber das geht natürlich nur, wenn man auch sagt, ich bin nicht fehlerfrei, aber bereit zu lernen und zu verändern und darum bittet, die Hand gereicht zu bekommen.“
Michi: „Natürlich ist die Fehlerkultur auch begrenzt und man kann nicht für alles, was man tut “Entschuldigung“ sagen und dann ist es gut. Da geht es natürlich um nicht so harte Sachen.“
Vermutlich bin ich nicht die Einzige, die als Erstes diese Single gepickt hat, um mit euch darüber zu sprechen. Ist es schwierig, immer über so persönliche Dinge zu sprechen?
Sascha: „Die Sachen, über die wir singen, sind immer sehr persönlich. Wir machen – wie sagt man so schön – diesen Seelenstriptease. Mit jeder Geschichte fühlt man sich ein bisschen verletzlich, aber das ist total okay. Auf der anderen Seite ist das nämlich auch ein Ventil und sehr befreiend.“
Michi: „Im Gegenteil. Es gibt genug “ich habe die dicksten Eier und das schnellste Auto“-Songs. Wenn wir uns mehr Persönliches, mehr Engagement von jedem einzelnen wünschen, ist es ja nur logisch, das Visier hochzuklappen.“
Ihr sagt über euch selber, dass ihr zwar keine politische Band seid, positioniert euch aber immer öfter ziemlich klar. Glaubt ihr, dass man in den aktuellen Zeiten noch ohne klare Positionierung auskommt?
Sascha: „Es ist spürbar, dass selbst in der Unterhaltungsbranche, der Popmusik, teilweise sogar im Schlager Politisierung Einzug hält. Das deutet sehr darauf hin, dass die Zeiten wild sind. Was uns persönlich betrifft, hast du total recht. Die Musik und die Platten sind immer Zeitaufnahmen. Polaroids einer gewissen Zeit und der Dinge, die uns gerade am meisten beschäftigen – gesellschaftlich und politisch.“
Michi: „Also bei Heino hätte ich mir gewünscht, dass er sich nicht politisch positioniert.
Wir sind nicht diejenigen, die anderen Bands vorschreiben, wie sie sich zu positionieren haben, das muss jeder selber entscheiden. Für uns ist das undenkbar. Was sollte es für Gründe geben, sich nicht gegen Rassismus oder Diskriminierung auszusprechen?“
Euch gibt es jetzt schon 12 Jahre. Was ist für euch als Band immer noch der Antrieb?
Michi: „Seit dem ersten Konzert ist das Konzertspielen das, worum es in dieser Band geht. Das nutzt sich überhaupt nicht ab. Es gibt einfach viele verschiedene Phasen, die immer anders spannend sind. Für jedes Album hatten wir eine komplett andere Situation. Das letzte Album haben wir in einem Studio im Brandenburgischen Wald geschrieben, das war eine ganz neue Situation. Keine Ahnung, ob das anders wäre, wenn man immer am selben Ort wäre.“
Aber spürt ihr nicht auch ein Aufreiben zwischen all diesen Polen: Musikerleben, normaler Alltag, Wirtschaftlichkeit, usw.?
Sascha: „Das ist sehr nachvollziehbar. Wir sind da manchmal auch ganz bewusst sehr naiv im Umgang mit der Band. Solange wir alle sehr gut befreundet sind, zusammen Musik machen und uns die Konzerte so viel bedeuten, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich das ändert. Dieser Drang weiterzumachen, mit eben diesem Herzblut – dafür ist man schon auch bereit, viel in Kauf zu nehmen. All diese Lebensphasen – wenn die ersten Kinder kommen, man sich örtlich weiter voneinander entfernt – für uns war immer klar, das wird in die Band implementiert. Manchmal braucht das sehr viel logistischen Aufwand, aber auch das lernt man.“
Der Song „Ich sing nicht mehr“, diese Piano-Ballade, ist musikalisch für euch relativ außergewöhnlich. Habt ihr darüber in der Entstehung viel diskutiert?
Sascha: „Nee, gar nicht.“
Alle komplett dafür?
Sascha: „Wir diskutieren irre viel, also wirklich. Aber in dem speziellen Fall war das einfach so schon fertig. Alles da, was man braucht: ein Instrument und eine Geschichte. Das war für alle klar, dass der so bleiben muss.“
Macht ihr euch viel darüber Gedanken, was nach eurer Band klingt oder seid ihr da eher offen?
Sascha: „Das ist Fluch und Segen. Segen für uns intern, weil wir immer gesagt haben, wir wollen uns da gar nicht festlegen. Auf der anderen Seite eben Fluch, weil es für Leute von außen manchmal schwer einzuschätzen ist. Für uns ist entscheidend, dass wir fünf das gut finden – egal ob das jetzt nach Rockband, Punkband oder Popband klingt. Das empfinden wir als totales Geschenk, es machen zu können, weil wir es geil finden.“
Michi: „Vielleicht ist das auch ein Grund, warum sich die ganze Chose nicht abnutzt. Wir haben alle sehr unterschiedliche musikalische Hintergründe, aber eine große gemeinsame Schnittmenge. Die größte Schnittmenge ist die Begeisterung für Musik. Wir können im Bus Dendemann hören oder Queen oder Metallica oder Bosse. Nicht jeder kann allem etwas abgewinnen, aber auf jeden Fall teilen wir die Begeisterung dafür, dass Musik sich nicht immer nur wiederholen muss. Wir achten schon darauf, dass auf einem Album keine vier Songs sind, die sich gleichen.“
Das macht es ja gerade auch spannend – auf für das Publikum.
Michi: „Auf jeden Fall. Unsere Konzerte, bauen wir auch so auf, dass es eine Dramaturgie gibt – natürlich transportiert die sich auch dadurch, dass die Songs unterschiedlich sind.“
Der Song „Mach neu“ ist wieder so ein Beispiel, wie selbstreflektiert ihr mit euren Texten umgeht. Wer Dinge so klar benennt, hat bestimmt auch einen ziemlich hohen Wertanspruch an sich selber. Wie geht ihr damit um?
Sascha: „Ganz oft mit Dankbarkeit, es zumindest aufschreiben zu können. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen dramatisch, aber es hat schon so einen selbsttherapeutischen Charakter. Ansonsten hilft, dass wir wirklich permanent im Austausch sind. Es ist auch eine Erkenntnis, dass man nicht alles richtig machen kann. Aber es zu probieren und miteinander zu sprechen und sich gegenseitig zu stützen, ist ein Motor, der bei allem hilft.“
Michi: „Ich empfinde das gar nicht als so eine Art moralische Messlatte, welche man unterbietet oder nicht schafft. Die Welt soll vorankommen und besser werden – manchmal kriegt man es hin, manchmal eben nicht. Bewusstsein und Sensibilität für Themen ist das beste Mittel. Klar, im Kleinen ärgert man sich auch, weil man Dinge hätte besser lösen können und es z.B. aus Faulheit nicht gemacht hat. Wenn alle bereit sind, diese Fehlerkultur, von der du vorhin gesprochen hast, auch zu leben, ist das eben nicht zu sagen: „Kannst du mal deine Scheiß-Plastikflasche wegwerfen?“ sondern gemeinsam zu sprechen, mach mal so oder so.“
Sascha: „Das ist ein entscheidender Punkt. Es sind gar nicht die anderen. Ich selbst bin zu faul oder zu müde oder zu ignorant oder zu satt als dass es mich tangiert. Wenn wir unseren Kindern in 10 Jahren noch gerade in die Augen schauen wollen, müssen wir jetzt anpacken und auch sagen, sorry, ich hab jetzt ganz schön lange gepennt, aber jetzt geht es los.“
Michi: „Das Bandleben beziehungsweise die Organisation einer Band besteht natürlich aus täglichen Entscheidungen. Gerade wo wir eben von der moralischen Messlatte sprechen: Wir fahren mit dem Bus durchs ganze Land – was sagt das Klima dazu? Unsere Songs sind bei Spotify – was ist das für ein Konzern, was für Chefs, welche Investitionen hängen dahinter, was für ein Vergütungsmodell unterstützen wir damit, mit der puren Anwesenheit oder dem Schweigen darüber, dass wir da sind? Da gibt es natürlich viele Verstrickungen. Da habe ich auch keine Lösung für. Würde man nur moralisch einwandfrei entscheiden, säße man schnell alleine im Wald. Man muss schauen, wo die Momente sind, wo man Dinge bewegen kann.“
Fotocredit: Timo Ehlert