Von Brücken

von Brücken – Weit weg von fertig (Four Music / Sony Records, 30.10.2015)

Als im Mai 2014 Nicholas Müller seinen Ausstieg bei der Band Jupiter Jones bekannt gab, brach für mich eine kleine Musikwelt zusammen. In meinen Augen wird sich damit die schönste Stimme, mit den wunderbasten deutschsprachigen Texten aus der Öffentlichkeit zurückziehen und verstummen. Angststörungen waren dafür verantwortlich. 1 ½ Jahre später veröffentlich Müller, zusammen mit Tobias Schmitz und ganz vielen weiteren Musikern das erste Album der neuen Band von Brücken.

Heute erscheint also „Weit weg von fertig“ über das Label FourMusic.

14 neue Tracks gibt es auf diesem zu hören. In der „Limited Deluxe Edition“ sind es sogar 19 Tracks.
CD 2 beinhaltet da dann fünf der Songs auch noch in einer Akustik-Version.
Eine Platte mit 19 Tracks sehe ich in letzter Zeit wirklich selten! Dafür gibt es schon einmal ein dickes Plus!

Kommen wir aber nun zu dem, worum es wirklich geht: die Musik.
Ich darf mich zunächst als riesiger Jupiter Jones Fan outen, der schon über mehrere Jahre den Weg der Jungs verfolgte, bis Nicholas dann im Mai 2014 aus der Band ausstieg.
Umso erfreulicher war für mich dann die Nachricht, dass er zusammen mit Tobias Schmitz wiederkommen wird! Und wie!

Wir reden bei von Brücken ganz klar über Pop(-Rock)-Musik, die aber auch in verschiedene einzelne Genres blickt und sich diesen bedient. Es ist kluger Pop-Rock!
Nicholas Texte sind immer noch tief und bewegend, das hat sich – zum Glück – auch bei von Brücken nicht geändert, das kann ich schon einmal vorweg nehmen.

Heute mal Track by Track:

Das Türen-Paradoxon ist Track 1 der Platte. Textlich geht es hierbei um einen Neubeginn und stellt daher auch einen sehr guten Opener des Albums dar.
Musikalisch wird mit elektronischen Klängen gearbeitet, zumindest in den Strophen. Im Refrain haben wir dann ein treibendes Schlagzeug mit aufgerissenen Gitarren und Nicholas haut die Zeilen sehr druckvoll heraus! Wow!

„Schließ eine Tür vor mir / ich reiß‘ die Mauern aus /
bringe sie hinter mich / und stell‘ sie wieder auf“ 

Track 2 der Platte ist Gold gegen Blei. Den Song haben wir bereits vor ein paar Tagen zur Videopremiere angekündigt. Kim Frank hat dieses wunderbare Video dazu gemacht.
Der Song darf als Grund für die Bandgründung von Brückens angesehen werden – der erste Song der innerhalb des Projektes von Brücken entstanden ist.
Wundervolle Pop-Nummer mit einem Text, der mich direkt beim ersten mal Hören sehr bewegt hat.

„Vielleicht macht es Sinn sich nochmal neu zu verirren, denn jede Suche führt uns näher zu uns /
Das was wir finden nicht kaputtreparieren, des einen Fehler ist des anderen Kunst“


Lady Angst
, war der erste Song, den von Brücken dem Publikum vorgestellt hat und hier sagte ich: “Endlich! Diese Stimme ist zurück!“ In diesem Song schreit Nicholas der Angst ins Gesicht und rechnet mit dieser ab. Musikalisch eines der lauteren Stücke des Albums.

„Seit wir uns nicht mehr verkleiden / Nicht mehr jeden Streit vermeiden /
Sind wir wie Freunde, die sich hassen / Leben und leben lassen“!


Dann sammle ich Steine (L.K.M)
ist eine Liebeserklärung von Nicholas an seine Tochter und das schafft er in einer ganz tollen Art, ohne kitschig zu werden.

„Zuhause ist, da wo der Schlüssel passt /
Ich gebe drauf acht, dass du immer einen bei dir hast /
Ich bin für dich da und wegen dir hier /
Nur wegen dir“

In Blendgranaten, der lauteste Song der Platte, kotzt Nicholas sich über Menschen aus, die ihren Komfort über den von vielen anderen stellen wollen. Dieser marschierenden Meute soll mit dem Song der Mittelfinger ins Gesicht gedrückt werden.
Nicholas ist nie als politischer Texter in den Vordergrund gerückt – das will er auch gar nicht – dennoch hat er eine klare politische Meinung (Aktionen, um auf die nationalistische Denkweise der Band Freiwild hinzuweisen und sein Song „Du und Jörg Haider“, sind Beispiele dafür).

„Ihr marschiert im Rückschritt / Mit Hass an den Sohlen /
Ihr baut ein Zuhause aus Schutt / Ihr seid Blendgranaten voller leerer Parolen“

Track 6, die Sache mit dem toten Clown, ist entstanden nachdem die Nachricht kam, dass Robin Williams sich entschieden hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Es geht darum aufzuzeigen, dass die Personen, welche am lautesten lachen und am fröhlichsten scheinen, oftmals die traurigsten Menschen sein können. Ein Tribut an große, witzige und feixenden Typen, die sobald das Licht ausgeht todtraurig sind.
Ein wirklich trauriges Lied, welches Gänsehaut verursacht! Für mich eine der stärksten Nummern des Albums!

„Der tote Clown hat sich gedacht: genug gefeixt, genug gelacht /
Und überhaupt was soll ich hier? /
Wenn alle lachen, außer mir“


Die Parade
ist der siebte Track des Albums und wird von Tobi und Nicholas als das Herzstück der Platte betitelt. Die zentrale Frage, mit welcher sich dieser Song beschäftigt ist: Was wird sein, wenn ich nicht mehr bin? Nicholas selbst stellt heraus, dass aber dann gesagt werden soll: „seid nicht traurig, dass ich weg bin, sondern seid glücklich, dass ich da war!“. Fette Nummer! Geiler Song!

„Wenn Gras über mich gewachsen ist, dann wird‘ ich ein Garten /
Erschafft man ein Bild, so schön wie dies /
Dann lohnt sich das warten“


Der Tanz
klingt für mich dann zunächst irgendwie nach Coldplay, nur halt deutschsprachig.
Musikalisch mit unglaublich viel Druck und Energie. Inhaltlich behandelt der Song das Thema des eigenen Weltuntergangs – es sei vielleicht gar nicht mal so schlecht, wenn alles mal zusammenbricht, um dann wieder ordentlich und besser aufgebaut zu werden, darf als Hauptaussage angesehen werden, so Nicholas im “Album Track by Track”.

„Und wir tanzen in den Weltuntergang /
Schreiben uns in den Staub, dass man sehen kann /
Hier wird Neuland aufgetan“


Mein furchtbar besoffenes Herz
ist textlich für mich ein weiteres Highlight des Albums. Der Titel ist saustark! Es geht um Personen, welche lange nach Mitternacht noch am Tresen der Kneipe sitzen und die Welt versuchen zu verstehen und zu erklären – betrunkene melancholische Dichtkunst, sozusagen!

„Wehmut und Wermut reichen sich launisch die Hand /
Und wir beide können nicht schlafen /
Und fahren unsere Gedanken vor die Wand“


Elephanten
ist dann auch wieder so ein Track bei dem die Gänsehaut kommt und bleibt:

„Nur weil es so scheint, als hätt man endlos breite Schultern /
Heißt das längst nicht, dass man alles tragen kann“

Ein äußerst treffender Satz, der die Gänsehautfestspiele erneut einleitet. Weil dann, nach einem längeren Instrumentalpart, Rocky Votolano mit in den Song einsteigt. Die Stimme haut dann nochmal so richtig um sich und macht diesen Song zu einer ganz, ganz großen Nummer! ALTER!

Der elfte Song auf “Weit weg von fertig” trägt den Namen Irgendwie alles. Der Song ist der einzige klassische Song der Platte, indem es um gebrochene Herzen und Liebeskummer geht. Fehlen darf sowas natürlich nicht! Der Song ist 5:30 Minuten lang, weil die Band einfach nicht aufhören konnte weiter zu spielen – das wurde dann weiter aufgenommen und beibehalten.
Genau das macht den Song für mich ganz rund! Bei so langen Instrumentalparts neige ich oft dazu, einfach abzuschweifen – anders hier! Die Liveshows werden mit dieser Band sicher ganz stark werden!

„Die größte der Fragen ist niemals verschwunden /
Haben wir eigentlich gesucht oder einfach nur gefunden“


Ist gut, Mensch
beinhaltet einen Rap-Part den Thomas D. übernommen hat. Auf seinem Hof M.A.R.S. wurde die Platte auch aufgenommen – es lag somit wohl recht nahe, dass wenn es passt Thomas D. für ein Feature dabei sein wird! Thema ist unsere gegenwärtige Gesellschaft, die „Gutmensch“ als Schimpfwort nutz.

„Wenn gut sein wollen falsch ist, dann lieg ich falsch und das ist gut


13. Yukon
: Akustikgitarre! Da freu ich mich ja immer sehr drüber und wenn die dann einen Song auch noch so besonder macht, erfreut mich das natürlich umso mehr. Übrigens der einzige Song der Platte, in dem Nicholas ein Instrument in die Hand nehmen durfte! Ein, instrumental reduzierter und akustisch klingender Lagerfeuer-Feeling Song über das Leben!

„Ist nicht, als wollt‘ ich nicht so sein /
Vor Freude heulen, vor Stille schreien /
ich will doch nur zu mir“

Der letzte Track des Albums trägt den Namen Immerhin (für die Trauer) und ist, wie Nicholas sagt, sozusagen eine Weiterführung von Die Parade + Elephanten. “Was passiert, wenn ich große Traurigkeit in mein Leben lasse und diese dann nicht mehr fliehen kann?”, wird als Hauptfrage von Nicholas angeführt.
Der Song ist über sieben Minuten lang und endet, wie auch schon Irgendwie alles mit einem Instrumentalpart. Drei Minuten spielt die Band ohne von Nicholas Stimme begleitet zu werden.
Somit klingt „Weit weg von fertig“ auch mit diesem Part aus und zeigt damit einen wirklich gelungenen Abschluss dieser Platte.

“Ich trage deinen Namen, wie ein Stein um meinen Hals /
Sollte ich ihn je vergessen, dann ertrinke ich allenfalls /
du bist des Wahnsinns eifrigster Verwalter und ich dein bester Schüler / Immerhin /
Und wann bringst du mich nachhause? / Egal wie weit, egal was immer das auch heißt /
Und wann malst du mir ein Zeichen an die Wand, damit ich es wiederfinden kann? /
Irgendwann”

 

Macht euch selbst ein Bild von „Weit weg von fertig“ – ihr bekommt jetzt von mir allerdings die absolute Kaufempfehlung! Für mich die beste Platte der zweiten Jahreshälfte, weil das einfach alles stimmt! Textlich bombe, musikalisch sehr durchdacht. Mir hat die Platte direkt nach dem ersten durchhören zugesagt und das passiert bei mir eher selten. UNBEDINGT kaufen!

Danke Nicholas Müller, danke Tobi Schmitz, danke von Brücken! Ich freu mich auf die Live-Shows und auf viel, viel mehr Musik!

album_vonbruecken

 Tracklist:

01. Das Türen-Paradoxon
02. Gold gegen Blei
03. Lady Angst
04. Dann sammle ich Steine (L.K.M)
05. Blendgranaten
06. Die Sache mit dem toten Clown
07. Die Parade
08. Der Tanz
09. Mein furchtbar besoffenes Herz
10. Elephanten
11. Irgendwie Alles
12. Ist gut, Mensch
13. Yukon
14. Immerhin (Für die Trauer)

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