Bad Religion – Suffer (Epitaph, 08.09.1988)

Erstmal hoffe ich, dass die Kollegen in der Redaktion mich fürs Wegschnappen dieses Klassikers nicht lynchen. Ich kann mir nämlich einige Kandidaten vorstellen, die dieses Album früher oder später auch gewählt hätten.

„Suffer“ war nicht mein erstes Bad Religion-Album, es war auch nicht eines der ersten Punkalben, die ich je zu Gehör bekam. Es war vielmehr ein Meilenstein, den ich retrospektiv aufarbeiten musste, dabei dann aber sehr schnell die immense Bedeutung des Tonträgers für die Punk/HC-Szene begriff.

Mitte der 1980er-Jahre befand sich jene Bewegung in einer Stagnation, nachdem sich Unmut und Zynismus über die Wiederwahl Reagans 1984 breit machten, und die Gewalt in der Szene immer unkontrollierbarer zunahm. Viele Schlüsselfiguren zogen sich entweder gänzlich zurück, oder begannen, die ästhetischen und musikalischen Grenzen des Genres weiterzuentwickeln. Dabei kam es zu einer kambriumexplosionsartigen Entstehung von Folgegenres, bei dem Vermischungen mit so gut wie „allem bis hin zu den Free-Jazz und Hendrix-Einflüssen“ (Diederichsen 1989, S. 208, zitiert in: Budde 1997, S. 139) stattfand.

Eines der Folgegenres war die logische Weiterentwicklung einer melodiefokussierten Spielart von Punk und Hardcore, die schon zu Beginn der 1980er-Jahre ein immenses Potential zur Weiterentwicklung der Szene in eine zugänglichere, fast schon poppige Richtung, barg. Meilensteine waren dabei sicherlich das selbstbetitelte Debüt der Adolescents, oder die legendäre „Milo Goes To College“ von den Descendents. Auch Bad Religion, 1979 gegründet, dümpelten zu diesem Zeitpunkt schon mit „How Could Hell Be Any Worse“ in einer melodischeren Liga als die Kollegen von Black Flag, Minor Threat oder Circle Jerks.

Danach begab man sich mit „Into The Unknown“ jedoch tatsächlich vorerst in unbekannte Gewässer mit einem dermaßen krassen Stilbruch, der viele Fans verschreckte und bis heute eine interessante Kuriosität in der Karriere der Band bleibt. Viele hatten die Band nach Mitte der 1980er schon abgeschrieben, die sich dann jedoch 1988 mit einem der wichtigsten Punk-Alben aller Zeit und dem zentralen, musikalischen Wegbereiter für eine ganze Folgebewegung der nächsten Dekade zurückmeldeten.

Es gibt kaum eine melodisch geprägte Punk/HC-Band nach 1988, die sich nicht auf Bad Religion bezieht. Und dieser Umstand setzt sich bis zum heutigen Tage fort. Während Graffin, Gurrewitz und co in Europa zwar auch Kultstatus genießen und von vielen Bands als Einfluss genannt werden, so ist jener Einfluss für US-amerikanische Bands scheinbar von noch wesentlich größerer Bedeutung. Egal ob NOFX, bekannt als die Band, die ihre gesamte Karriere lang so wie Bad Religion sein wollte und will, Pennywise, No Use For A Name, Ten Foot Pole, Pulley, Good Riddance, Strung Out, Lagwagon, Strike Anywhere, Rise Against, jüngere Vertreter wie Heartsounds und noch viele mehr.

NOFX setzten 2001 mit ihrer EP „Surfer“ dem ikonischen Plattencover ein Denkmal, bei dem sich der brennende Junge im Bad Religion-Shirt in der weißen, Mittelschichtsvorstadthölle in einen brennenden Surfer am Strand verwandelt, die Koloration, sowie Perspektive, Symbolik, Fonts und Bildsprache des Originals jedoch eins zu eins übernommen werden. Eine Liebeserklärung.

NOFX - Surfer

Das Cover des 1999 erschienenen, selbstbetitelten Album der kalifornischen Band Pulley hält sich zwar nicht ganz so genau an die Ästhetik des Originals, ein Junge, der aber eben jene Vorstadthölle wortwörtlich in Brand gesetzt hat und Schimpfworte mittels einer Comicsprechblase ausstößt, kann durchaus als Hommage an das rund 11 Jahre zuvor erschienene Original verstanden werden. Zumal Sänger Scott Radinsky in vielen Songtexten ein gleiches Bild jener Vorstadtsiedlung zeichnet.

Pulley - Selftitled

Am Ende ist es vollkommen unnötig, „Suffer“ musikalisch auseinander zu nehmen, oder einzelne Stücke zu highlighten. Wir haben es mit einem der bedeutendsten, melodischen Rockalben aller Zeiten zu tun, das sich diesen Status besonders durch eine, für den damaligen Zeitpunkt, Fortschrittlichkeit in Sachen Songwriting, Harmoniekomposition und Melodik verdient hat.

Bad Religion - Suffer

1. You Are (The Government)
2. 1000 Fools
3. How Much Is Enough?
4. When?
5. Give You Nothing
6. Land Of Competition
7. Forbidden Beat
8. Best For You
9. Suffer
10. Delirium Of Disorder
11. Part 2 (The Numbers Game)
12. What Can You Do?
13. Do What You Want
14. Part 4 (The Index Fossil)
15. Pessimistic Lines